600 Autos in 80 Motorsportserien im Einsatz
Gewaltige Dimensionen: Aus beim Kundensport von Audi schlägt weiter hohe Wellen

21.07.2023 | Stand 13.09.2023, 6:46 Uhr

Großer Schritt: Das Aus für den Kundensport betrifft vor allem die 14 Werkspiloten wie den dreimaligen Nürburgring-Sieger Markus Winkelhock. Foto: Audi

Die Wahrnehmung des Kundensports ist im Vergleich zu anderen Motorsportaktivitäten nicht besonders groß, doch die Dimensionen sind gewaltig: Aktuell hat Audi weltweit 600 Autos in mehr als 80 verschiedenen Motorsportserien im Einsatz, allein 49 Meisterschaften nach Fahrer-, Team- oder Herstellerwertungen führen die Ingolstädter nach eigenen Angaben im Moment an.



Die Boliden aus Neuburger Manufaktur bestreiten rund 900 Rennen im Jahr und sammelten in den vergangenen 15 Jahren beeindruckende 410 Titel. Darunter waren besonders prestigeträchtige Einzelsiege wie die insgesamt zehn Triumphe bei den 24-Stunden-Rennen am Nürburgring und in Spa.

Deshalb schlägt der Beschluss des Audi-Vorstands aus der vergangenen Woche, nach der laufenden Saison die finanzielle Unterstützung für Kundenteams einzustellen, hohe Wellen, auch wenn Spekulationen darüber schon lange kursierten. Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Kunden, die mit Audi-Boliden in ganz Europa, Nord- und Südamerika, Südafrika, Asien sowie Australien und Neuseeland im Einsatz sind. Aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Audi sowie die 14 Werkspiloten sind betroffen.

Bis Ende März 2024 können Kunden die GT2-, GT3- und GT4-Varianten des R8 LMS sowie den TCR-Boliden RS 3 LMS bestellen, danach werden die Partner noch weitere acht Jahre technisch unterstützt und mit Ersatzteilen versorgt. „Es ist eine signifikante Einschränkung, die wir vornehmen, dass wir keine strategischen Einsätze mehr mit eigenen Fahrzeugen fahren, dass wir unseren eigenen Fahrerkader so nicht weiterentwickeln dürfen oder sollen“, sagt Audi-Kundensportleiter Chris Reinke. „Der Kundensport als solches aber wird weiterlaufen, es gibt sogar ein langjähriges Bekenntnis: Wir werden die Pflege des Bestandes im Markt, die Investitionen unserer Partner zu respektieren wissen. Das heißt: Jeder, der unsere Produkte weiter einsetzen will, wird maximal unterstützt werden.“

Rene Rast: „Es tut natürlich ein bisschen weh, das zu sehen“



Reinke spricht von einem „Kundensport 2.0“, die glorreichen Audi-Siege in der DTM, bei 24-Stunden-Rennen oder der GT World Challenge gehören damit wohl weitgehend der Vergangenheit an. Die Ingolstädter setzen ihren Fokus dagegen voll auf den Formel-1-Einstieg im Jahr 2026 und bündeln dafür alle Motorsportkräfte. In Neuburg wird bereits mit aller Kraft die Antriebseinheit für den Formel-1-Renner entwickelt. Zuvor hatte Audi schon nach und nach das Werksengagement in der DTM und der Formel E beendet sowie zuletzt das Prototypen-Projekt LMDh für die Langstrecken-WM WEC eingestellt. Das Dakar-Werksprojekt wird nach 2024 wohl ebenfalls beendet.

„Das war ein schleichender Prozess, und es tut natürlich ein bisschen weh, das zu sehen“, sagte René Rast, der mit Audi große Erfolge im Motorsport feierte und inzwischen zu BMW gewechselt ist, gegenüber Motorsport-Magazin.com. „Audi hat immer viel Motorsport betrieben. Und das jetzt zu sehen, dass das komplett eingestellt wird abgesehen von der Formel1, ist schon ein bisschen traurig.“

Im Vergleich zum Engagement in der Königsklasse des Motorsports sind Kosten und Aufwand für den Kundensport äußerst gering. Warum es dennoch nicht die Möglichkeit gab, den Kundensport parallel zum Aufbau des Formel-1-Teams zu betreiben, kann auch Reinke nicht erklären. „Das ist eine gute Frage, die ich mal so im Raum stehen lasse“, sagt Reinke, der den Audi-Kundensport seit März 2016 leitet.

Große Konsequenzen hat der Beschluss vor allem für die 14 Piloten, die aktuell dem Audi-Werksteam angehören. „Ein bisschen hatte man das schon geahnt, aber für mich als Rennfahrer ist das natürlich schade, denn ich war seit 2013 fester Bestandteil des Kundensports“, sagte der frühere Formel-1- und DTM-Fahrer Markus Winkelhock unserer Zeitung. Der 43-Jährige triumphierte mit Audi allein dreimal am Nürburgring und zweimal in Spa. Auch weitere Nürburgring-Sieger wie Christopher Mies, Christopher Haase, Frank Stippler oder Pierre Kaffer müssen sich wohl neue Jobs suchen.

Vorstandsbeschluss von Audi: Emotional ein Rieseneinschnitt



Die Piloten, die teilweise wie Winkelhock seit vielen Jahren zum Audi-Fahrerkader gehören, weiterhin zu unterstützen, sei „mit Sicherheit die direkteste und konsequenteste Aufgabe, die wir da gerade zu erledigen haben“, sagt Reinke. „Denn ganz klar: Sie werden im nächsten Jahr nicht mehr für Audi Sport aktiv sein.“ Ideen für ein künftiges Engagement würden derzeit erörtert. „Wir müssen schauen, in welcher Form wir Modelle gemeinsam kreieren können, um vielleicht den einen oder anderen an der Marke zu halten.“

Auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hofft Reinke auf eine baldige Entscheidung, wenn auch die Abteilung „Audi Sport Customer Racing“ nicht geschlossen wird. „Wir versuchen natürlich, das, was dort an Aufwand wegfällt, durch andere Projekte zu kompensieren, die im motorsportnahen Bereich angesiedelt werden sollen“, sagt der Kundensportleiter. „Im Idealfall ist keiner so direkt betroffen, dass er die Abteilung wechseln muss.“ Angesichts der riesigen weltweiten Dimension des Kundensportprogramms der Ingolstädter sei der Beschluss für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter emotional aber ein Rieseneinschnitt.

DK