Vom Olympiasieger zum Bundestrainer
Nachfolger von Norbert Loch: Patric Leitner geht neues Amt mit „einer riesigen Freude“ an

27.03.2024 | Stand 27.03.2024, 10:15 Uhr

Patric Leitner ist der neue Rennrodel-Bundestrainer: Der 47-Jährige wuchs am Obersalzberg auf und wurde zusammen mit Alexander Resch das beste Doppelsitzer-Duo seiner Zeit. − Fotos: Bittner/imago images

Seinem sportlichen Partner Alex Resch begegnete Patric Leitner erstmals in der Trainingsgruppe mit dem damaligen Landescoach Norbert Loch. Der neue Rennrodel-Bundestrainer wuchs am Obersalzberg auf, seine Freunde rodelten. „Da ging ich dann einfach mal mit. Die schrieben mich sofort auf eine Liste, ich hatte Riesenschiss, setzte mich aber trotzdem im Kreisel auf einen Schlitten und fuhr runter. Zweitbeste Zeit. Ab da gab’s kein Halten mehr.“ Leitner und Resch waren erstmal im Einsitzer unterwegs, wurden Deutsche Meister in unterschiedlichen Altersklassen.

Patric Leitner war bereits im Junioren-Weltcup als Doppelsitzer unterwegs, mit Thorsten Ludewig. Doch irgendwann „bestimmten“ Bundestrainer Thomas Schwab und Landestrainer Norbert Loch, dass es Leitner und Resch mal zusammen probieren sollten. „Da sahen sie sportfachlich mehr Perspektiven“. Für Ludewig brach eine Welt zusammen. Resch war 18, Leitner 20. „Mit dem Alex klappte es auf Anhieb super.“ Auf der Startbahn waren sie gleich mal vier Hundertstel schneller als Leitner/Ludwig zuvor. Zunächst kam jedoch noch ein Motorradunfall von Resch dazwischen, so dass er ein Jahr nicht rodeln konnte.

Im Doppel standen die Chancen, nach oben zu kommen, besser

Im Einsitzer war ein Schorsch Hackl unterwegs, ein Jens Müller. Leitner/Resch wussten, dass sie im Einsitzer einen schweren Stand haben würden. Im Doppel standen die Chancen, zumindest mal im deutschen Team nach oben zu kommen, weitaus besser: „Es war die Zeit als Krause/Behrend oder Mankel/Rudolf aufhörten, es gab Potenzial für uns, den Sprung ins Nationalteam zu schaffen.“ Am Königssee ging’s mit dem Training los, gleich vom Damenstart weg: „Bei der dritten Fahrt erzielten wir Bahnrekord. Da meinten wir sofort, das ist eine gmahde Wies’n“, lacht Leitner heute drüber. Auf den anderen Bahnen zahlten die Beiden aber gleich mal ordentlich Lehrgeld, stürzten im ersten Jahr rund 50 Mal und mussten sich alles hart erarbeiten. Das Projekt „Doppelsitzer“ steckte damals, kurz nach der Wende, noch in Kinderschuhen, die Schlitten waren schwer lenkbar: „Zuerst fährst du ein Go-Kart und plötzlich einen Bus.“ Ihr erster Trainer im B-Team war Wolfgang Staudinger, am Ende lohnte sich die Akribie: Olympiasieger 2002, einmal Dritter (2010), viermal Weltmeister (zum ersten Mal gleich im ersten Jahr bei den Großen), siebenmal Gesamt-Weltcup-Champions. „Heute sage ich danke an die damaligen Trainer, dass sie uns quasi ,gezwungen‘ haben, zusammen zu starten – von selbst wären wir da niemals drauf gekommen. Wer weiß, was aus uns beiden geworden wäre, ohne deren Entscheidung.“

Jetzt ist Patric Leitner aus Marktschellenberg – verheiratet, zwei Kinder – der neue Chef-Bundestrainer. Wie kommt so etwas zustande? „Man wird darauf vorbereitet, es ist kein Sprung ins kalte Wasser und kommt nicht von heute auf morgen.“ Der 47-Jährige hatte ein lukratives Angebot aus Österreich, hätte zu seinem ehemaligen Trainerkollegen Schorsch Hackl wechseln können, mit dem er sich immer gut verstand. Doch nach scharfem Überlegen stand fest: „Ich bleibe beim BSD. Vor allem, weil ich ihm viel zu verdanken habe und etwas zurückgeben möchte. Und ich hänge einfach an meinen Sportlerinnen und Sportlern. Da gibt es mehr als nur Freundschaften zwischen Trainern und Sportlern. Ich weiß, wie sie ticken, sie wissen, wie ich ticke. Es geht auch nicht immer nur ums Geld, sondern um Wertschätzung.“

Thomas Schwab bot 47-Jährigem den Posten an

Thomas Schwab bot Leitner den Cheftrainer-Posten an. „Natürlich überlegt man, nach 25 Jahren in der Nationalmannschaft, seit 14 Jahren als Trainer, diese viel größere Verantwortung zu übernehmen. Hier sind ganz andere, nicht immer einfache, auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen – für den einen oder anderen vielleicht nicht nachvollziehbar. Ich stellte die Vertrauensfrage und bekam nur positive Feedbacks. Da dachte ich mir, diese Chance und Aufgabe, ist sie noch so herausfordernd, dann doch ergreifen zu müssen. Und jetzt freue ich mich brutal darauf.“

Die Fußstapfen nach Thomas Schwab und Norbert Loch sind riesig. Gleichwohl will Leitner einen eigenen Stil finden. Er weiß ein „verdammt geiles Team“ um sich, und aus dem Nachwuchs heraus ist ebenfalls einiges zu erwarten. Schließlich wird Leitner früher oder später einen Umbruch erleben, ja vollziehen müssen, da sich Felix Loch und auch Tobias Wendl/Tobias Arlt längst im Herbst ihrer sagenhaften Karrieren befinden. „Letztlich“, sagt Leitner, ist „es mir völlig egal, wer gewinnt, Hauptsache wir Deutschen holen die Medaillen“. Sein Wohnort im Berchtesgadener Land wird für keinen Vor- oder Nachteile haben: „Ich werde alle gleich behandeln und fördern.“

Erste Amtshandlung Leitners ist eine teambildende Trainingsmaßnahme im Juni am Gardasee, mit voller Teamstärke für alle, mit allen – rund 30 Leuten insgesamt –, mit Klettern Canyoning, Radfahren: Grenzerfahrungen. „Darauf freue ich mich riesig, weil es das lange nicht gab. Zuletzt hat das jeder Stützpunkt für sich gemacht. Ich möchte, dass wir alle an einem Strang ziehen und die erfolgreiche Arbeit von Norbert Loch fortsetzen.“ Leitner wird immer wieder alle deutschen Rennrodel-Destinationen – Oberhof, Winterberg oder Altenberg – aufsuchen. „Wir müssen sicher eine Schippe drauflegen, die Österreicher sind brutal stark, vor allem im Hinblick auf Olympia 2026.“

Das System möchte er nicht ändern

Das System möchte der neue Bundestrainer nicht ändern, weil „es ja sehr gut ist“. Es wäre ein großer Fehler, sagt er, jetzt alles über den Haufen zu werfen, nur damit man etwas ändert oder neu macht. „Es ist immer noch so, dass viele uns kopieren. Freilich werden wir immer wieder mal etwas anpassen oder optimieren, aber sicher nicht alles auf Links drehen – never change a running system.“ Dass Routiniers wie Felix Loch und Wendl/Arlt weitermachen, macht Leiter glücklich. Sie seien Zugpferde für die Jungen: „Wenn die sehen, wie viel Spaß die ,Alten‘ noch haben – ich hoffe, sie alle nehmen Olympia noch mit.“

Die endgültige Übergabe von Norbert Loch auf seinen ehemaligen Sportschüler Leitner wird wohl im Mai erfolgen. Noch ist die jüngste Saison auf- und abzuarbeiten. Und letztlich wird sich der 62-Jährige mit seiner enormen Erfahrung erstmal nicht komplett aus dem Geschehen zurückziehen (wir berichteten). Der fließende Übergang ist vor allem dem neuen Mann am Ruder wichtig. Denn er wird früher oder später die harten Corona-Jahre sowie die Teilzerstörung der Königsseer Kunsteisbahn „zu spüren bekommen“ – zwei bis drei Jahrgänge werden fehlen und seine Aufgabe erschweren. „Zur Talentgewinnung war ich letztes Jahr in 21 Schulklassen bis Reichenhall raus. Aber es ist und wird natürlich zäh, wenn du keine Bahn vor Ort hast, da brauchen wir gar nicht drüber reden. Es ist eine extrem schwierige Situation. Wir machen Sommercamps und bieten ein gutes Training an, haben die besten Voraussetzungen. Aber die Kinder sollen natürlich hier rodeln können und so viel Spaß an diesem Sport haben, wie wir das in diesem Alter hatten.“

Persönlich befindet sich Patric Leitner langsam auf dem Wege der Besserung: Kurz vor der WM Ende Januar in Altenberg stürzte er beim Rückwärtslaufen so schwer, dass er sich Schien- und Wadenbein links brach, das Syndesmoseband und alle Bänder in diesem Bereich riss sowie das Sprunggelenk kaputt machte. Ergebnis: Operation, zehn Wochen nicht auftreten, für alle Tätigkeiten auf andere – die Familie – angewiesen. In vier Wochen kommen die Schrauben raus, dann geht’s auf Reha...

− bit