Halbzeit bei der Rallye Dakar
Audi-Sport-Chef Michl: „Audi fährt nirgends mit, nur um teilzunehmen“

14.01.2024 | Stand 14.01.2024, 10:41 Uhr

„Es kann noch so viel passieren“: Audi-Sport-Chef Rolf Michl freut sich zwar über die Gesamtführung von Carlos Sainz, und Platz zwei von Mattias Ekström, weiß aber auch um die Herausforderungen in Woche zwei der Rallye Dakar in der saudischen Wüste. Foto: Audi

Audi führt zur Halbzeit der Rallye Dakar in Saudi-Arabien. Wir haben Motorsport-Chef Rolf Michl zum Interview getroffen.



Herr Michl, zur Halbzeit die Plätze eins und zwei für Audi in der Gesamtwertung, das hätten Sie vor dem Start der Rallye Dakar sofort unterschrieben, oder?
Rolf Michl: Oh ja, das nehmen wir auf jeden Fall gerne mit. Das ist eine gute Grundlage, aber auch nur die halbe Miete. Es kann noch so viel passieren.

Vor einem Jahr standen wir am Ruhetag auch hier: Das erste Auto war nach einem Crash ausgeschieden, Beifahrer Edouard Boulanger dabei schwer verletzt. Am Tag danach folgte der nächste schwere Unfall, auch Carlos Sainz verletzte sich schlimmer und musste aufgeben. Nun sieht die Lage komplett anders aus. Fährt Audi den Lohn für die harte Arbeit des vergangenen Jahres ein?
Michl: Ich glaube, die Arbeit war in jedem Jahr sehr intensiv und hart. Vielleicht haben wir gerade aus den verschiedenen Rückschlägen gelernt und die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Das hilft, aber am Ende des Tages brauchst du die nötige Portion Glück. Letztes Jahr hatten wir die definitiv nicht. Dieses Jahr bisher, dreimal auf Holz geklopft, haben wir sie, und ich hoffe, dass es auch so bleiben wird.

Muss der Chef hier schon die Euphorie bremsen - so wie er im letzten Jahr nach den Rückschlägen aufbauen musste?
Michl: Die Euphorie brauche ich nicht zu bremsen. Die ist immer da, sie hilft uns auch, durch diese langen und harten Tage zu kommen. Hier spricht noch keiner von Platzierungen. Wir nehmen die Euphorie gerne, um weiterhin fokussiert und konzentriert bleiben.

Rallye Dakar: Was sind Audis Ziele?
Audi ist zumindest nach außen hin ohne konkret formuliertes Ziel zur dritten Dakar gereist. Ein bewusster Schritt?
Michl: Ja, ein bewusster Schritt, weil wir letztes Jahr trotz aller fundierten Vorbereitungen lernen mussten, dass viel dazwischenkommen kann. Um für Team und Fahrer keinen künstlichen Druck aufzubauen, war für uns wichtiger, dass wir uns klar sind über unsere internen Ziele. Aber Audi Sport fährt natürlich nirgends mit, nur um irgendwo teilzunehmen.

Was ist die größte Lehre aus dem Vorjahr, die Sie gezogen haben, um das Auto noch zu verbessern?

Michl: Es waren zwei Lehren: die eine sicherlich das Thema Zuverlässigkeit des Fahrzeugs. Aber auch das Thema Vorbereitung des Teams – also Mannschaft, Fahrer, Ingenieure und alle anderen darauf vorzubereiten, dass es jeden Tag auch Rückschläge geben kann. Wir wollten eine psychologisch stabilere Basis schaffen. Das heißt: Du bist erstmal demütig und dankbar für jeden Tag, der planmäßig und gut rumgeht. Die Anspannung muss aber bleiben unter Fokus.

Und was war zentral für die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs?
Michl: Das Fahrwerk-Setup war sicherlich das Kernthema. Wir haben mit den Spezialisten einen ganz großen Schritt nach vorne gemacht und damit aus meiner Sicht auch einen der wirklichen Risikofaktoren vom letzten Jahr deutlich verbessert.

Welchen Einfluss haben die 15 kW zusätzliche Power, die Audi im Vergleich zur Verbrenner-Konkurrenz dieses Jahr zugestanden bekommen hat?
Michl: Das ist die Herstellung von einem vergleichbaren, fairen Niveau. Und das sieht man, glaube ich, in der ersten Woche auch, dass jeder aus dem Wettbewerbsumfeld mal vorne ist. Für uns ist das einfach die notwendige Basis, um hier einen Wettkampf auf Augenhöhe führen zu können. Sonst sind wir vom Reglement unterlegen. Und das heißt, du musst mehr Risiko fahren, um den Speed mitzugehen. Mehr Risiko in Kombination mit schlechtem Wetter, mit einem anspruchsvollen Untergrund, führt zwangsläufig zu Fehlern.

Audi hat die innovative Antriebseinheit des RS Q e-tron mit Elektromotoren und Energiewandler in Rekordzeit entwickelt. Seit drei Jahren funktioniert sie absolut tadellos. Wie erstaunlich ist das für Sie?
Michl: Wir wollten mit dem Dakar-Einstieg den Beweis antreten und auch Pioniergeist wecken, dass Elektrifizierung selbst in unwegsamstem Gelände und unter den widrigsten Bedingungen bestehen kann. So unschön die Schäden an manchen anderen Komponenten sind, aber das Herz von Vorsprung durch Technik ist dieser Antriebsstrang. Auch getreu des früheren Mottos bei Audi Sport: Am Motor darf es nicht fehlen. Insofern freut uns die Zuverlässigkeit natürlich sehr.

So schwierig wird die Rallye Dakar
Wie schwierig und hart ist die Dakar in diesem Jahr?
Michl: Unter den Top Five der härtesten. Das haben wir in der ersten Woche schon gemerkt. Auf den ersten Etappen hat es viele Ausfälle gegeben. Die Etappe im Empty Quarter über 48 Stunden war auch eine unglaubliche Belastung: physisch, aber auch fürs Mentale eine ganz, ganz große Herausforderung. Deswegen sind wir umso froher, dass wir zur Halbzeit technisch fast reibungslos durchgekommen sind.

Wie sehr freut es Sie, dass die Spezialtaktik auf der Königsetappe aufgegangen ist: auf dem vorherigen Abschnitt absichtlich Zeit für eine bessere Startposition verloren, von der Carlos Sainz und Mattias Ekström dann die Führung im Gesamtklassement übernahmen?
Michl: Da gehört ein bisschen Glück dazu. Aber es ist definitiv schön zu sehen, weil natürlich im ersten Moment viele Menschen fragten: „Was ist da los, warum fahren die auf einmal da hinten rum?“ Man muss aber strategisch fahren. Wie in jedem Rennen - auch 24 Stunden auf dem Rundkurs - gibt man nicht immer 100 Prozent, sondern stellt sich auf die Bedingungen ein. Wir wussten, dass es eine extrem anspruchsvolle Etappe wird. Und damit war es für uns klar, dass wir aus dem Mittelfeld starten wollen, um das Risiko zu minimieren, das der „Eröffner“ der Etappe hatte. Profis wie Nasser Al-Attiyah oder auch Yazeed Al-Rajhi (Titelverteidiger beziehungsweise Zweiter 2023, Anm. d. Red.) sind in den Dünen fast unschlagbar.

Über den Status der Motorsport-Legenden Sainz und „Mr. Dakar“ Peterhansel muss man kein Wort mehr verlieren. Wie sehen Sie die Entwicklung von Ekström? Der hat das Auto bisher immer ins Rallye-Ziel gebracht. Und den Prolog müsste gar nicht mehr gefahren werden: Den gewinnt er immer.
Michl: Matthias und ich kennen uns seit vielen Jahren, ich durfte seine Entwicklung über viele Etappen bei Audi Sport mitverfolgen. Wenn Mattias etwas angeht, dann immer mit 120 Prozent. Von daher st die Entwicklung jedes Jahr wieder beachtlich, aber nicht nur seine, sondern auch die von Emil Bergkvist, der ein sehr junger Beifahrer ist. Ich bin sehr stolz auf die beiden, weil sie als junge Schnell-Lerner sich hier unglaublich konsequent in einem sehr, sehr starken Wettbewerbsumfeld behaupten können.

Wie sehr sind die Karten bei der Dakar neu gemischt worden, weil Top-Favorit Al-Attiyah das Toyota-Team verlassen hat? Das war davor eine anscheinend unschlagbare Kombination.
Michl: Das ist schwer zu sagen. Nasser ist sicherlich einer der besten Rally-Raid-Fahrer der Welt. Ich glaube, für jeden Fahrer braucht es eine Zeit, um sich an ein neues Fahrzeug, an ein neues Produkt zu gewöhnen. Bei aller Erfahrung: Die Dakar verzeiht natürlich keinen einzigen Millimeter. Ich würde mir aber nicht anmaßen, beurteilen zu können, ob sein Wechsel wirklich einen Effekt hatte. Sein technischer Defekt auf der Marathonetappe war sehr unglücklich.

Was ist von seinem Teamkollegen Sébastien Loeb mit fast 30 Minuten Rückstand auf Sainz noch zu erwarten? Der brennt nach drei zweiten Plätzen auf seinen ersten Dakar-Gesamtsieg.
Michl:
Seb Loeb ist auch einer der besten Piloten weltweit. Er hat letztes Jahr eine unglaubliche und sehr erfolgreiche Aufholjagd hingelegt und sich wieder auf Platz zwei vorgekämpft. Ich halte bei Sébastien alles für möglich. Deswegen schauen wir sehr aufmerksam, sehr akribisch auf alle Komponenten. Und die zweite Woche hat mindestens die gleiche Intensität wie die erste.

Rallye Dakar: Eine Etappe ist ganz besonders
Sie haben sich auf eine Etappe speziell vorbereit. Was hat es damit auf sich?
Michl:
Die letztjährige zweite Etappe wird uns als Vorletzte dieses Jahr noch einmal herausfordern. Damals hatten wir dort die meisten platten Reifen. Wir sind deshalb im vergangenen Mai bewusst an diese Stelle zurück. Um unter den wirklich schlimmsten Bedingungen, also im besten Sinne, alles auf Herz und Nieren zu testen. Dieses Gebiet ist bekannt für eine ganz spezielle Gesteinsform. Die sind nicht besonders groß, aber extrem spitz und extrem hart. Das findet man sonst nirgends auf der Welt. Und da gibt es kein Patentrezept.

Egal wie die Dakar ausgeht: Werden wir den RS Q e-tron in diesem Jahr noch bei weiteren Renneinsätzen sehen oder gehen die Autos direkt ins Museum?
Michl: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wir machen es davon abhängig, wie sich das Rennen hier entwickelt. Und ganz materiell gesehen, haben wir natürlich auch sehr spezifische Teile, oft mit langen Vorlaufzeiten für die Prototypen. Letztes Jahr haben wir überproportional viele Teile gebraucht. Im Einsatz, ob mal stehend oder fahrend, wird man das Auto mit so einem außergewöhnlichen Konzept aber sicherlich noch einmal sehen.

Aber 2025 nicht mehr bei der Dakar?
Michl: Das kann ich bestätigen: Das ist die letzte Dakar.