Vom Hallodri zum Vorbild: Wieso sich für DSC-Rückkehrer Thomas Greilinger ein Kreis schließt

26.09.2019 | Stand 18.09.2023, 22:06 Uhr

Gibt die Richtung vor: Nach seiner Rückkehr nach Deggendorf koordiniert Thomas Greilinger die Nachwuchsarbeit des DSC – hier trainiert er gerade die U7. −F.: Roland Rappel

Zum Schleifer taugt Thomas Greilinger (38) nicht. Mit einem Lächeln dirigiert er die Eishockey-Knirpse des Deggendorfer SC über das Eis im Stadion an der Trat. Hier ein leichter Klaps mit dem Stock, da ein "hopp, hopp, hopp". Der Trainer Greilinger ist deutlich sanfter als der gnadenlose Stürmer Greilinger. Mit 643 Scorerpunkten in 834 DEL-Spielen ist er der fünfterfolgreichste Spieler der Liga-Historie. Es wird kein Spiel mehr hinzukommen. Im Sommer ist Greilinger in seine Heimat Deggendorf zurückgekehrt. Oberliga mit dem DSC statt DEL mit dem ERC Ingolstadt. Stimmt er damit den Abgesang auf sich selbst an?

"Es gibt keine Deadline für die Karriere", sagt der Ex-Nationalspieler, als wir ihn einige Tage vor dem Liga-Auftakt des DSC (Freitag, um 20.00 Uhr, gegen die Eisbären Regensburg) im Eisstadion treffen. "In meinem Alter muss man von Jahr zu Jahr schauen, wie lange es noch geht." Greilinger ist keiner, der sich gerne aus dem Fenster lehnt. Gegenüber Pressevertretern ist er eher kurz angebunden, aber nie unfreundlich. Er schwingt keine Reden, überlässt anderen den Mittelpunkt. Dafür lieben sie ihn hier in Deggendorf. Die Greilinger-Euphorie ist riesig. Schon in der vergangenen Saison und zuletzt beim Testspiel gegen seinen Ex-Klub Ingolstadt feierten ihn die Fans mit Sprechchören.

Man rechnet es Greilinger hoch an, dass er seine Heimat nie vergessen hat. "Für mich war klar, dass ich nach Deggendorf zurückgehe", sagt er. "Es ging eher um den Zeitpunkt." Als der DSC ihm das Angebot unterbreitet, die Nachwuchsarbeit im Verein zu übernehmen und nebenbei weiterzuspielen, hat Greilinger noch eineinhalb Jahre Vertrag in Ingolstadt. Seit 2008 spielt er dort, ist Rekordspieler des Vereins. Doch Greilinger will weg, auch seiner Söhne wegen. Er löst seinen Vertrag auf. Ein paar Monate später sind die Zwillinge Jonathan und Ben gerade in Deggendorf eingeschult geworden, das Haus der Familie – nur ein paar hundert Meter vom Eisstadion entfernt – ist fast fertig. "Für die Kinder ist es jetzt einfacher als in Ingolstadt", sagt Greilinger. Und für ihn?

"Oberliga ist nicht DEL. Aber ich bin jeden Tag im Eisstadion, das ist das Wichtigste." Ein Leben ohne Eishockey? Für Greilinger unvorstellbar – zumindest momentan. "Man weiß nicht, was in zehn Jahren ist." Nur nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

Thomas Greilinger ohne Eishockey – das gab es schon einmal. Und es funktionierte überhaupt nicht. Mit 24 verletzt er sich beim Inline-Hockey schwer am Knie. Die Prognosen sind so schlecht, dass er seine Karriere beendet. Greilinger, das zu dieser Zeit größte Eishockey-Talent des Landes, ist "ganz unten", wie er selbst einmal zugab. Er nimmt stark zu, wiegt zwischenzeitlich 130 Kilo. Es gibt Fotos, die ihn mit kahl geschorenem Kopf und dunklen Ringen unter den Augen zeigen. "Wenn du eineinhalb Jahre überhaupt nicht spielen kannst, ist das schwierig", sagt er heute.

In dieser Zeit zeigen sich seine beiden Gesichter: Da ist der faule, der feiernde Thomas Greilinger. "Ich war schon ein Hallodri", sagte er einmal rückblickend. Der "Tagesspiegel" schrieb einmal über ihn: "Sein Leben war sozusagen eine einzige Party, in der er sich zwischendurch ein bisschen mit Eishockey ablenkte." Als ihm die Ablenkung Eishockey fehlt, will er irgendwann auch nicht mehr feiern. Der Ehrgeizling besiegt den Hallodri. Der DSC, 2006 Bayernligist, nimmt den verlorenen Sohn auf. Greilinger kämpft sich dort zurück aufs Eis, wo er schon als kleiner Junge vor der Schule Zusatzschichten schob, um irgendwann Profi zu werden. Greilinger sammelt in 29 Saison-Spielen 80 Scorerpunkte. Der DSC steigt in die Oberliga auf, auch dort schießt er alles in Grund und Boden – 106 Scorerpunkte in 54 Spielen. Er steht vor der Entscheidung: "Will ich so weiter machen oder versuche ich es nochmal? Ich habe mich entschieden, es nochmal zu versuchen und es hat ja ganz gut funktioniert." Er geht zum ERC Ingolstadt, den er nun, elf Jahre später, als Legende wieder verlassen hat.

Nach Deggendorf kehrt er als Vorbild zurück. Nicht als Hallodri, wie damals vor 14 Jahren. Wenn er den Kindern der U7 des DSC Anweisungen gibt, folgen sie ihm blind – auch seine Söhne Ben und Jonathan. "Man sieht, sie haben ein bisschen Talent", sagt ihr Vater. Aber nur mit Talent kommt man eben nicht weit. Es braucht auch einen Schleifer. Thomas Greilinger fand ihn in sich selbst.