Hoeneß gibt tiefe Einblicke: Über kuriose Transfers, Freunde, Feinde und sein größtes Drama

01.04.2019 | Stand 19.09.2023, 0:57 Uhr

Uli Hoeneß. −Foto: dpa

Vor 40 Jahren begann Uli Hoeneß seinen Manager-Job beim FC Bayern − und kein anderer hat den Verein seither mehr geprägt. Hoeneß machte aus den Münchnern eine der weltweit besten, beliebtesten und finanzstärksten Fußballclubs der Welt – dazu waren ihm viele Mittel recht. Heute führt er die Bayern als Präsident und ohne seine Zustimmung geht nach wie vor nichts an der Säbener Straße. Im Bayern-Magazin "51" hat der heute 67-Jährige nun über seine Zeit beim FCB gesprochen − und dabei überraschend ehrliche Einblicke gewährt.

Uli Hoeneß über ...

... die Pressekonferenz im Herbst und ihre Folgen: "Die Zeit hat sich total verändert. Wenn du heute Klartext sprichst, ist ein Shitstorm fast unausweichlich. Für mich waren die Reaktionen im Herbst auf einige meiner Aussagen ein tiefer Einschnitt in meinem Leben. Ich werde mich in Zukunft zurückhalten. Früher war ich in den Talkshows ein gern gesehener Gast - weil ich Klartext geredet habe. Aber das ist heute nicht mehr erwünscht. Ich habe nach meiner Steuervergangenheit außerdem das Problem, dass ich mich bei gesellschaftlichen Themen zurückhalten muss. Aber generell finde ich es sehr schade, dass die Leute bei Klartext so empfindlich geworden sind. Dadurch wird die Welt nicht verbessert. Es ist auch kein Zufall, dass ich mich zunächst nicht zur Entscheidung von Joachim Löw geäußert habe, Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng auszubooten. Hätte ich gesagt, was ich denke, hätte das Internet erst einen Salto rückwärts und dann vorwärts gedreht. Das wollte ich mir ersparen - und Jogi Löw übrigens auch."

... Kritik an seiner Person: "Mich darf jeder kritisieren. Solange es sachlich bleibt. Auf der Jahreshauptversammlung war es zum Beispiel großteils unsachlich, das war ja die Krux. Schauen Sie: Ich habe eine Handvoll richtig gute Freunde. Nicht zu viele, aber schon einige. Und das sind alles Freunde, die mich kritisieren. Claqueure, Schleimer habe ich nicht als Freunde. Die mag ich nicht. Ich mag Leute, die mir ehrlich ihre Meinung sagen. Die darf durchaus kontrovers zu meiner sein. Ich diskutiere, ich streite - manchmal sprechen wir dann wochenlang nicht. Aber ich bin nie nachtragend, und dann geht es wieder weiter. Freunde bringen dich nur voran, wenn sie dich fordern, sie dich herausfordern, sie dir mal sagen: "Was du da heute wieder erzählt hast, war ein ganz großer Mist." Gute Freunde sagen es einem, wenn man schiefliegt. Ich bin dann vielleicht nicht sofort ihrer Meinung. Aber ich denke darüber nach."

... die neue Manager-Generation: "Es ist interessant, dass da lange eine Lücke klaffte. Mich freut, dass wir bei Bayern seit jeher Meinungsbildner hervorgebracht haben. Hasan und Oliver haben wir uns rausgepickt, es gibt noch Lothar Matthäus, Stefan Effenberg, Mehmet Scholl, auch einen Didi Hamann nenne ich, obwohl wir zuletzt nicht immer einer Meinung waren – sie alle haben beim FC Bayern viel gelernt, weil wir hier immer offen und ehrlich mit allem umgegangen sind und auch die Streitkultur fördern. Philipp Lahm wird seinen Weg machen, auch Bastian Schweinsteiger findet sich in der Welt zurecht. Ich bin stolz, dass wir nicht nur gute Fußballer produziert haben, sondern auch Persönlichkeiten, die draußen in der Welt ihren Mann stehen können."

... sein besonderes Verhältnis zu Spielern: "Ich kann mich an keinen Spieler erinnern, zu dem ich eine Antipathie gehabt hätte. Zu manchen entwickeln sich besondere Beziehungen. Als wir Roland Wohlfarth von einem Wechsel überzeugt hatten, weinte seine Frau plötzlich auf dem Sofa, weil sie jetzt ihre Familie in Duisburg verlassen musste. So etwas schweißt auch zusammen. Die Wohlfahrts waren später oft zuhause unsere Gäste. Ich war gegenüber den Spielern immer der Vater. Ich verlange viel, aber bei Problemen bin ich der Erste, der da ist. Michael Sternkopf rief mich mal nachts um 2 Uhr an, weil er bei Rot über die Ampel und in ein Auto gefahren war. Er fragte: "Was soll ich jetzt machen?" Ich sagte: "Du rufst jetzt die Polizei an, und ich bin auf dem Weg zu dir."

... Sebastian Deisler, der wegen Depressionen seine Karriere beendet hat: "Ja, das war eine meiner schwersten Situationen. Ich weiß es wie heute: Wintertrainingslager in Dubai. Jeden Abend gegen 22.30 Uhr klingelte mein Handy, am anderen Ende der Leitung Sebastian: "Herr Hoeneß, ich kann nicht mehr." Ich saß nächtelang mit ihm in meiner Suite, einmal hat er dort sogar auf der Couch übernachtet. Am nächsten Morgen trainierte er wie ein Besessener, ich dachte, alles wird gut – und am nächsten Tag sagte er, er hört endgültig auf. Ich fühlte mich so ohnmächtig, ich war ganz am Ende. Ich will immer helfen und bin immer bereit, alles einzusetzen - umso schmerzhafter ist es, wenn es nicht reicht. Ich denke oft an ihn und hoffe, dass es ihm gut geht. Er hat jeden Kontakt zum Fußball abgebrochen."

... die Entlassung von Trainer Jupp Heynckes im Jahr 1991: "Wenn einer behauptet, er habe nie Fehler gemacht, ist er ein arroganter Kerl. Jupp zu entlassen, war eine Entscheidung gegen mein Bauchgefühl. Ich wusste, es ist ein Fehler, aber ich war nicht stark genug, um mich gegen die Strömungen gegen Jupp zu wehren. Wir holten Sören Lerby, er ist bis heute einer meiner besten Freunde – und dennoch merkte ich bei seiner ersten Mannschaftssitzung, dass seine Verpflichtung ein Schuss in den Ofen war. Mit Sören kannst du Stunden über Fußball reden, aber vor 20 Mann brachte er kein Wort raus. Es war ein Drama."

... über Freund- und Feindschaften: "So richtige Feinde habe ich aus meiner Sicht nicht. Früher war das anders. Da kannten mich die anderen nicht und sagten, jetzt kommt der Hoeneß mit dem Geldkoffer und nimmt uns die Spieler weg. Inzwischen haben wir mit etlichen Benefizspielen und Aktionen ja die halbe Liga vor dem Ruin gerettet im Laufe der Jahrzehnte. Wenn ich da nur an den Osten denke, da stehen fast alle Klubs Schlange. Zu schwierigen Zeiten etwa eines Willi Lemke in Bremen oder eines Christoph Daum in Köln riefen 40.000 Fans bei Auswärtsspielen "Hoeneß, du Arschloch". Heute wollen die Leute in Bremen so viele Autogramme und Selfies von mir wie in keiner anderen Stadt. Die Leute haben sich irgendwann hinterfragt: Ist der eigentlich so ein Arsch, wie wir immer geglaubt haben? Und sie haben für sich entschieden: Nein, ist er nicht."

... kuriose Transfers: . Als wir Roque Santa Cruz in Paraguay gekauft haben. Da saßen Karl-Heinz Rummenigge und ich beim Vereinspräsidenten im Wohnzimmer mit ungefähr 25 anderen Leuten. Er war völlig nassgeschwitzt, immer wieder ging er raus. Unser Angebot betrug zehn Millionen Mark, aber er wollte Dollar. Wir waren schon draußen und haben auf ein Taxi gewartet, da holte er uns wieder zurück. Als wir uns schließlich noch geeinigt haben, waren plötzlich 30, 40 Journalisten mit Kameras im Wohnzimmer, es war ein Tohuwabohu, unglaublich. Die andere Geschichte war Adolfo Valencia. Die Verhandlungen begannen in Madrid, geendet haben sie in Ottobrunn. Nach 24 Stunden in Madrid mussten wir unbedingt zurück nach München. Da sagten die Verhandlungspartner: Fliegen wir halt mit! Fünf, sechs Mann saßen dann drei Tage bei mir zuhause in Ottobrunn, bis wir uns einig waren. Und da fällt mir noch eine Geschichte ein: Als wir Emil Kostadinov von La Coruña wollten, sagte der Vereinschef Augusto Lendoiro zu Karl-Heinz und mir nach unserer Landung: "Wir treffen uns am Abend zum Essen – um halb zwölf!" Das hieß, wir konnten nicht mehr heimfliegen. Wir hatten nicht mal eine Zahnbürste dabei, nichts! Er kam dann erst um halb eins, wir saßen bis drei Uhr zusammen. Ich werde nie vergessen: Wir haben Percebes-Muscheln gegessen - die spritzen, wenn man sie aufmacht. Mein Hemd hat danach ausgesehen … Weil tags darauf Sonntag war, konnten wir nicht mal Hemden kaufen. So saßen wir dann im Flieger."

... gescheiterte Transfers: "Ruud Gullit war ganz verrückt. Erst bin ich mit Franz Beckenbauer nach Mailand geflogen. Als wir morgens um halb zehn bei ihm in die Wohnung kamen, war noch niemand wach – außer der Butler. Er hatte einen Butler! Der bat uns dann in den Salon, wir haben Kaffee getrunken. Schließlich war der Transfer klar und er kam nach München zur Untersuchung bei Dr. Müller-Wohlfahrt. Da war immer noch alles klar. Am Abend waren wir gemeinsam essen, er übernachtete bei mir. Da war auch noch alles klar. Am nächsten Morgen hat er gesagt, er müsse nach Mailand und mit seiner Frau sprechen – am Abend hat er dann abgesagt. Warum weiß ich bis heute nicht genau."

... über persönliche Träume, Reisen usw.: "Da wir einen Hund haben, sind lange Reisen leider schwierig. Bei uns zuhause ist ein Hund ein Familienmitglied, das sehr stark im Mittelpunkt steht. Wenn alles so kommt, wie ich mir das vorstelle, wir in den nächsten Monaten auf und neben dem Platz gute Ergebnisse erzielen, werde ich meine Zukunft regeln. Und egal, was passiert: Ich werde immer der erste Fan des FC Bayern sein. Mein Platz im Stadion, das versichere ich Ihnen, wird sehr selten leer bleiben."