Das Kreuz mit dem Knie: Ex-Profi Martin Giermeier – mit 27 Jahren ist Schluss mit Fußball

15.01.2019 | Stand 19.09.2023, 0:50 Uhr

Ein fitter Martin Giermeier war kaum zu halten – zumindest nicht von seinen Gegenspielern in der Bezirksliga. −Foto: Sigl

Nur 3,5 Prozent aller Fußball-Talente der großen deutschen Klubs schaffen den Durchbruch. In einer Serie mit regionalen Top-Kickern zeigt die Heimatzeitung, wie unterschiedlich Karrieren verlaufen können. Teil 5: Martin Giermeier, der in der Jugend beim HSV spielte – und jetzt mit 27 Jahren Schluss machen muss mit Fußball.

Die Zahl sorgt für Verwunderung. "3,5 Prozent, wirklich, so wenige?", fragt Martin Giermeier. "Das hätte ich jetzt nicht gedacht." Dann zählt er ein paar Namen auf, die damals in der U19 des Hamburger SV mit ihm gespielt haben. Shkodran Mustafi (heute Arsenal), Heung-min Son (Tottenham), Muhamed Bešic (Middlesbrough) oder André Hahn (Augsburg). "Da waren schon einige dabei, die es geschafft haben", sagt Giermeier.

Profifußballer – ihm selbst bleibt dieser Traum verwehrt. Schlimm findet das Martin Giermeier nicht. Viel mehr ärgert ihn, dass er seinem geliebten Sport mit gerade einmal 27 Jahren den Rücken kehren muss. Das Knie zwingt den Passauer dazu, Schluss zu machen. "Ich weiß zwar nicht, was in zwei, drei Jahren sein wird. Aber dass ich Fußball nochmals in ambitionierter Form spielen werden, das glaube ich jetzt eher nicht."

Es ist das Kreuzband, das Martin Giermeier seit langem Kopfzerbrechen bereitet. Erstmals reißt es schon 2008, also just in jenem Moment, da für den jungen Fußballer die entscheidende Phase seiner Karriere beginnt. Auch wenn Giermeier heute betont, die Verletzung sei nicht der Grund gewesen, "warum ich es nicht geschafft habe" – gebremst wird die Entwicklung des Sturm-Talents allemal. Als er sich 2015 – Giermeier spielt zu dieser Zeit bereits wieder bei seinem Heimatverein 1.FC Passau – zum zweiten Mal schwer am Knie verletzt, sind die Folgen dramatischer. Drei Jahre später muss er sich eingestehen, dass Fußballspielen keinen Sinn mehr macht.

Dabei kämpft Martin Giermeier wie ein Löwe um sein Comeback. Täglich trainiert er im Fitnessstudio, er macht Reha, ist Dauergast beim Physiotherapeut. Kreuzbandanriss, das hört sich zunächst gar nicht so tragisch an. Ein Spezialist empfiehlt, die Verletzung konservativ zu behandeln, doch richtig stabil ist das Knie auch Monate später nicht. Erneut knickt der Stürmer um, wieder ist das Band angerissen. Giermeier wechselt den Arzt, jetzt wird er doch operiert. Wieder Reha, wieder Aufbau, wieder schuftet Martin Giermeier alleine im Kraftraum, wenn die Kumpels nebenan im Dreiflüssestadion kicken. "Ich habe mir immer ein Ziel gesetzt: Zu dem und dem Zeitpunkt will ich wieder spielen. Das war meine ganze Motivation", sagt er. Fast ein Jahr nach der Operation fühlt sich Giermeier bereit, steigt wieder ins Training ein. Es sollte nur eine Stunde dauern. Meniskusriss und Knorpelschaden wird später auf dem Befund stehen. Martin Giermeiers Fußball-Karriere – in diesem Moment ist sie vorbei.

Leidenschaft, Wille und ganz viel Talent – bei Martin Giermeier ist alles vorhanden. Und trotzdem bleibt ihm der große Durchbruch verwehrt. Wie so vielen jungen Fußballern. Eine Portion Glück, zur richtigen Stelle am richtigen Ort sein, einen Trainer haben, der auf dich baut – "es gibt viele Faktoren, die entscheidend sind", meint Giermeier, der mit 19 Jahren von Hamburg zum Zweitligisten Fürth wechselt. Dort spielt er in der Regionalliga. Über den Nordost-Oberligisten Anker Wismar (Mecklenburg-Vorpommern/Saison 2011/12) führt sein Weg nach längeren Verletzungszeiten, Rückenleiden und Bandscheibenvorfall Anfang 2013 nach Amerika, zu Rochester FC in die zweite Liga. Danach entscheidet sich Giermeier für eine Rückkehr in die Heimat. Er geht an die Uni, in Deggendorf studiert er angewandte Sportwissenschaften. Und spielt beim 1.FC Passau. Mit großer Freude − und viel Erfolg. Wenn Giermeier fit ist, ist er von den Gegenspielern in der Bezirksliga nicht zu halten. Höherklassige Angebote lehnt er ab. Wichtig ist ihm jetzt, Spaß zu haben. Fußball, das ist für Martin Giermeier eine Leidenschaft. Um so härter fällt es ihm, dass er nun nicht mehr kicken kann.

Er wolle jetzt ein bisschen Abstand gewinnen, nicht mehr so häufig zusehen bei den Spielen der Kumpels. "Es tut schon noch weh", sagt er. Aber es gibt auch Vorteile. In den Semesterferien arbeitet Giermeier als Trainer bei der Fußballschule des FC Ingolstadt, ist dort viel unterwegs. Zweimal war er schon für vier Wochen in China, auch in Mexiko hat er den Nachwuchs gecoacht. "Das wäre als aktiver Fußballer nicht möglich", meint Giermeier, "ich genieße das schon, kann viele neue Erfahrungen sammeln, neue Kulturen kennenlernen". So wie in China. Dort, so hat er festgestellt, spielen die Kinder mit viel weniger Emotion Fußball. "Denen mussten wir erst sagen, dass sie sich freuen sollen, wenn sie ein Tor schießen oder eine gute Aktion haben."

Mehr dazu lesen Sie in der Printausgabe der Heimatzeitung, Sport.

Hier Lesen Sie

Teil 1: Bayerwäldler Lukas Mühl: Mit Bescheidenheit in die Bundesliga.

Teil 2: Training mit Neuer, Spiele gegen Schalding: Christian Früchtl, der Pendler zwischen den Welten.

Teil 3: Wenn der Ausstieg zum Aufstieg wird: Mario Enzesberger und die wirren Wege einer Karriere.

Teil 4: