Bilanz, Psychologie und eine Kampfansage: Altmeister Berlin zittert vor "Angstgegner" Straubing

01.03.2017 | Stand 18.09.2023, 21:54 Uhr

"Manchmal brauchst du auch ein Scheißhaustor" – den Wunsch von Manager Jason Dunham setzte zuletzt Stürmer Adam Mitchell (links verschmitzt abdrehend) gegen Schwenningen 38 Sekunden vor Schluss um. Es war die Initialzündung für die Pre-Playoffs. − F.: Schindler

Der Gegner könnte prominenter nicht sein – gleichzeitig aber auch kaum "leichter": In der am Mittwoch (19.30 Uhr/Mercedes-Benz-Arena) beginnenden 1. Playoff-Runde um die beiden letzten Viertelfinal-Plätze der Deutschen Eishockey-Liga haben sich die Straubing Tigers durch den 4:1-Auswärtscoup am letzten Hauptrunden-Spieltag in Mannheim mit DEL-Rekordmeister Eisbären Berlin nicht nur dem Namen nach das "große Los" gezogen.

Auch sportlich ist die Pre-Playoff-Aufgabe gegen den in dieser Saison auf einem enttäuschenden achten Rang gelandeten siebenfachen Titelträger machbar – ja vielmehr sind die Underdogs aus dem Gäuboden der erklärte "Angstgegner" der Eisbären. "Eine harte Nuss" prognostiziert etwa die Berliner Zeitung dem Team von Ex-Bundestrainer Uwe Krupp, der selbst "enge, körperbetonte Spiele" erwartet. "Straubing ist eine kampfstarke, schnelle Mannschaft", warnt Krupp. Dass der Berliner Respekt begründet ist, wird auch im PNP-Playoff-Check deutlich:

Die Bilanz Der Respekt des Hauptstadt-Klubs vorm kleinsten DEL-Standort kommt nicht von ungefähr – in der abgelaufenen Hauptrunde gingen die Niederbayern in drei von vier Partien als Sieger vom Eis. Lediglich am wenig aussagekräftigen 1. Spieltag gewannen Hördler, Busch & Co. in der heimischen Mercedes-Benz-Arena mit 5:2 – die drei folgenden Matches gingen aus Berliner Sicht mit 2:5, 1:2 n.V und 3:6 in die Hose. Gegen kein anderes Team haben Tigers-Kapitän Sandro Schönberger und Kollegen in dieser Spielzeit eine bessere Bilanz.

Die breite Brust"Mir ist am Mittwoch jeder Gegner lieber, als kein Eishockey mehr zu spielen", hatte Tigers-Chefcoach Larry Mitchell der PNP schon vorm Feststehen der vierten Playoff-Teilnahme in bislang elf DEL-Spielzeiten gesagt. Speziell das kaum erwartbare 4:1 beim Hauptrunden-Vize Mannheim hat die Brust besonders breit gemacht am Pulverturm. Und dass den Tigers vor großen Namen nicht bange zu sein braucht, lässt sich statistisch belegen: Fast jedes Top-Team der Liga – München (3:2 n.V., 6:2), Mannheim (4:1, 2:0) Köln (2 x 3:2), Wolfsburg (3:0) und Nürnberg (8:4, 4:3) – wurde mehrfach "gerupft".

Die PsychologiePsychologisch ist der Außenseiter aus der ostbayerischen Provinz − finanziell nur mit gut der Hälfte des Berliner Etats von geschätzten 10 Millionen Euro ausgestattet – gleich mehrfach im Vorteil: Während die sportlichen Erwartungen an der Spree in der Hauptrunde mit den wenigsten Siegen der DEL-Geschichte (21 bei 31 Niederlagen) bitter enttäuscht wurden, sind die Playoffs beim Vorletzten der Etat-Tabelle immer noch was ganz Besonderes. "Ein Riesenerfolg", urteilt Mitchell. "Das ist so eine enge Liga", sagt Straubings Sportlicher Leiter Jason Dunham – und entgegnet der Kritik an der vermeintlichen Inkonstanz der Tigers in dieser Saison mit einer rhetorischen Frage: "Warum tun sich wohl so viele so schwer, um überhaupt in die Playoffs zu kommen?" In Düsseldorf, Krefeld, Iserlohn oder Schwenningen würden sie sich die Fingern danach abschlecken.

Die Pre-ExpertenAuch die Pre-Playoff-Historie spricht für die Tigers – sie sind quasi Experten, wenn’s in der kurzen Best-of-3-Serie drauf ankommt: Zweimal erreichten die Gäubodenstädter 2013 und 2016 über die Quali-Runde mit jeweils zwei Siegen gegen Augsburg bzw. Ingolstadt das Viertelfinale, während die Berliner bei drei Versuchen über die erste Playoff-Hürde jedesmal scheiterten: 2007 gegen Frankfurt, 2014 gegen Ingolstadt, 2015 gegen Nürnberg.
Das PowerplayAuch wenn mit dem verletzten Top-Torjäger Jeremy Williams (19 Tore) und dem letztjährigen Top-Defender Austin Madaisky zwei absolute Leistungsträger seit Monaten verletzt fehlen, beeindruckte Larry Mitchells Team offensiv vor allem auswärts mit schnellem Konterspiel – und mit der zweitbesten Powerplay-Quote (23 Prozent) der ganzen Liga. Jedes vierte Überzahlspiel nutzen der quirlige DEL-Top-Vorlagengeber Mike Connolly (39 Assists), abschlussstarke Stürmer wie Mike Hedden (18 Treffer) oder Adam Mitchell (15) und die "Blueliner" Dylan Yeo (10) bzw. Maury Edwards (9) zu Toren.

Die KampfansageBerlin ist für Larry Mitchell und seine Mitstreiter am Pulverturm mehr als nur eine Reise wert. "Wir haben sehr gute Ergebnisse gegen Berlin diese Saison gehabt. Wir wissen, dass wir in Berlin und natürlich auch in Straubing gewinnen können. Wir sind Außenseiter, aber noch lange nicht chancenlos." Vielleicht kommt dann ja auch noch das in den letzten Zitterwochen und mehrfach verdaddelten Führungen am Pulverturm schmerzlich vermisste Scheibenglück zurück – oder wie es Jason Dunham in seinem unvergleichlichen Bayerisch-Kanadisch im Gespräch mit der Heimatzeitung drastisch ausdrückt: "Manchmal brauchst du einfach auch ein Scheißhaustor."

Das FazitStraubing glich in den vergangenen 52 Spieltagen einer Wundertüte – von Traum-Auftritten gegen Top-Teams bis zu blamablen Heimpleiten gegen sämtliche "Kellerkinder" der Liga. Alles scheint möglich − sogar die Wiederholung des Halbfinal-Traums von 2012.