„Es war ein Experiment, es ging gut“
Mit neuer Hüfte: Unvergesslicher Lauf von Dr. Till Schrag (61) mit seinen Söhnen beim Berliner Halbmarathon

10.04.2024 | Stand 12.04.2024, 10:00 Uhr
Hans-Joachim Bittner

In Action: Dr. Till Schrag aus Bad Reichenhall während des Halbmarathons in der Hauptstadt. − Foto: Veranstalter

In seinem Leben ist er schon sportlich geschwommen, spielt bis heute Tennis und war im Basketball-Mekka Göttingen als Korbjäger unterwegs – dort machte er Abitur, eine Krankenpflege-Ausbildung und studierte Medizin: Jetzt lief Dr. Till Schrag mit einer Hüft-Total-Endoprothese (TEP) rechtsseitig einen Halbmarathon. Seine Intention: Mutmacher für Patienten mit der gleichen Geschichte.

„Es geht mir hier nicht um mich, es soll keine Selbstbeweihräucherung sein. Ich möchte lediglich Gleichgesinnte animieren, es ebenfalls zu versuchen – weil es einfach guttut.“ Viele Patienten würden nach der Reha vergessen, sich entsprechend zu bewegen, damit alles wieder ins Lot kommt. „Dabei sollten sie schon zuvor, beispielsweise mit Muskelaufbautraining, damit beginnen“, rät der 61-jährige Internist aus der Kurstadt. Er will Patienten animieren, weder Angst noch Hemmungen vor dem „Sport danach“ zu entwickeln, sondern umsichtige Entschlossenheit: „Nach sechs bis zwölf Monaten Ruhe langsam mit der Laufvorbereitung beginnen ist ein optimaler Fahrplan. Man darf sich mit einer neuen Hüfte durchaus etwas zutrauen.“

Der Liebe wegen kam Dr. Schrag 2008 nach Bad Reichenhall, da seine Frau aus dem Pinzgau „wieder mehr Schnee erleben wollte“, lacht der Familienvater. „Das war ihr im niedersächsischen Flachland dann doch zu wenig.“ Von seinem Sohn Niels, selbst Ultra- und Marathonläufer sowie Triathlet, bekam er zum 60. Geburtstag das Berliner Halbmarathon-Ticket, am vergangenen Sonntag war’s in der Hauptstadt soweit. Gegen 10.15 Uhr ging’s bei bereits 20 Grad los, wurde letztlich immer wärmer, jedoch nicht so heiß wie im Berchtesgadener Land: „Trotzdem wären mir etwas kühlere Temperaturen lieber gewesen“, erzählt Schrag, einer von sage und schreibe 39000 Läufern über die 21,1 Kilometer-Distanz.

Hauptstadt außer Rand und Band

Nach dem Start direkt vor dem Brandenburger Tor sei es ihm während des Laufs richtig gut gegangen, die Hüfte habe sich tatsächlich kein einziges Mal zu Wort gemeldet: „Einen gscheidn Muskelkater hatte ich aber schon“, schmunzelt der Sport-Mediziner. Doch der fiel aufgrund all der positiven Emotionen entlang der Strecke mitten durch die Spree-Metropole eine absolut sekundäre Bedeutung zu: „Die Stimmung war einzigartig, sagenhaft, unvergesslich. Die Stadt war außer Rand und Band. Das sorgt am Ende notfalls natürlich dafür, keinesfalls aufzugeben – weil einen das enorm pusht.“ Abgesehen davon, dass Aufgabe ohnehin keine Option für Dr. Schrag war, musste er bei all der Anfeuerung von den Straßenrändern eher aufpassen, nicht zu schnell zu werden und sich die Kräfte gut einzuteilen: „Das kann ein Problem werden, da es schon sehr wichtig ist, das eigene Tempo beizubehalten. Man muss sich in dieser Sache regelrecht disziplinieren.“ Die emotionale Begeisterung über die unzähligen Musikgruppen aller Couleur sowie die zahlreichen offiziellen, allerdings auch privaten Versorgungsstände mit Wasser, Iso-Lösungen, Gel und Bananen kam ja schließlich noch oben drauf.

Auf sein nach dem Training realistisches Zeitziel von 2:20 Stunden (davor 2:30), das er „locker“ in 2:13:30 sogar stark unterbot, trainierte Dr. Schrag dreimal die Woche auf unterschiedlichen Laufdistanzen hin. Mehr erlauben seine 50- bis 60-Stunden-Wochen als Arzt nicht: „Ich habe hier ja noch einen kleinen Nebenjob“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Berlin war ein Experiment, ein irres Erlebnis.“ Er wird das Laufen weiter betreiben, weil er einfach ein sportlicher Mensch ist. „Ob es nochmal zu einem Halbmarathon geht, wird sich zeigen. Dafür muss man schon im Flow bleiben“, so der gebürtige Stuttgarter. Bereits vor der rund 90-minütigen Hüft-Operation am 9. Dezember 2022 bei einem orthopädischen Chirurgen war er in der Region sportlich unterwegs, nahm beispielsweise am Rupertus Thermenlauf über die Zehn-Kilometer-Distanz teil.

Dass seine Söhne Samuel (Schiedsrichter und Fußballer des TSV Bad Reichenhall) und Niels als laufende Mitstreiter sowie der derzeit verletzte David – spielt in der Kurstadt-„Zweiten“ – als Motivator auf dem flachen Stadt-Rundkurs mit von der Partie waren, avancierte für Schrag zur gelungenen Familientour. Niels (38), der in einer vorderen Gruppe loslaufen durfte, erzielte starke 1:34:22 Stunden. Samuel (21) „trennte“ sich nach rund drei Kilometern von seinem Vater, bekam noch den Rat mit auf den Weg, nicht zu überpacen und kam nach 2:00:21 an. 2014er-Fußball-Weltmeister André Schürrle war am Start, die Schrags haben ihn jedoch leider nicht getroffen. Der 33-Jährige hatte sich 1:30 vorgenommen und finishte in 1:41:14. Als Sieger ließen sich der Kenianer Daniel Simiu Ebenyo (59:30 Minuten), der den angepeilten Weltrekord (57:31) wohl aufgrund der hohen Temperaturen verfehlte, und Tekle Muluat (1:06:53) aus Äthiopien feiern.