1998 WM-Gold in St. Moritz
Kein Tag Stillstand: Willi Schneider feiert seinen 60. Geburtstag – Erster deutscher Skeleton-Weltmeister

12.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:07 Uhr

Willi Schneider mit seinem Sohn Tobias in der eigenen Schlittenbau-Werkstatt in Waldkraiburg. Der erste deutsche Skeleton-Weltmeister betreut aktuell die Nationalmannschaft Italiens und möchte mit ihr bei Olympia 2026 in Mailand und Cortina d’Ampezzo mindestens eine Medaille holen. Am Sonntag, 12. März, feiert er seinen 60. Geburtstag. −Foto: Bittner

Von Hans-Joachim Bittner

Der frühere Skeleton-Weltmeister Willi Schneider vom WSV Königssee feiert am Sonntag, 12. März, seinen 60. Geburtstag. Als erster Deutscher gewann er 1998 WM-Gold auf der grandiosen Natureisbahn von St. Moritz – und den Gesamt-Weltcup. 1999 wurde der Jubilar WM-Dritter in Altenberg, zudem holte der gebürtige Rumäne aus Siebenbürgen neunmal den Deutschen Meistertitel.

Schneider kam 1980 nach Deutschland. Seine sportliche Laufbahn begann mit dem Radrennsport. Mit 26 Jahren – also sehr spät – kam er durch Rudi Häusler, den mit sechs nationalen Titeln besten Skeleton-Piloten der 1970er-Jahre, zum Sport im Eiskanal. Schneiders erster Verein war der Bayerische Skeleton-Club München (BSC). Über den früheren Aktiven und späteren Trainer und Schlittenbauer Heinrich „Heini“ Platzer wechselte er zum WSV Königssee: „Dort waren die Strukturen besser, organisatorisch hatte ich es in Berchtesgaden weitaus leichter“, erinnert sich Schneider. Bis heute ist er Mitglied im WSV. „Und das bleibe ich auch, weil ich dadurch ein wenig für die damalige Hilfe zurückzahlen kann.“ In der Pandemiezeit freute er sich über eine Ehrung zur 25-jährigen Mitgliedschaft – „selbst wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt gerade in der Corona-Quarantäne in China befand.“

In der Königsseer Kunsteisbahn „mit kompletter Charakteristik“ ist Schneider immer gern angetreten: „Aber das bin ich im Grunde auf jeder Bahn. Nur in Oberhof habe ich mir mal brutal weh getan.“ Dass sich der WM-Titel ausgerechnet auf Natureis von St. Moritz – der Wiege seines Sports – einstellte, macht ihn besonders stolz: „Denn dort muss man die Seele der Jahr für Jahr neu konstruierten Linienführung erkennen und verinnerlichen.“ Erst am Ende von Schneiders Kufensport-Karriere wurde Skeleton 2002 wieder olympisch, nachdem die Kopf-Voraus-Piloten davor nur 1928 und 1948 unter den fünf Ringen antreten durften. Nach seiner aktiven Karriere schlug Willi Schneider eine Trainerkarriere ein: Kanada, USA, Russland, China – aktuell arbeitet er für Italien. Nicht bald nach der letzten Fahrt als Profi „nahm ich die Kalthalle der Schlosserei meines Schwiegervaters in Beschlag, kaufte mir eine erste Fräsmaschine“. Seine Berufe als Technischer Zeichner und Maschinenbauer sind beim Schlittenbau hilfreich. Das ist freilich kein Lehrberuf, er musste sich alles selbst beibringen – learning by doing sozusagen. Als ehemaliger Aktiver besaß Schneider jedoch die Erfahrung, zu wissen, worauf es ankommt. Gleichwohl ist es bis heute ein ewiger Entwicklungsprozess, gerade in jenen Ländern, die auf den Skeleton-Ergebnislisten vor Schneiders Engagement meist nicht unter den Top 10 zu finden waren.

Mit Kanadas Athleten gewann er in Turin drei Medaillen

Seine „Entwicklungshilfe“ hatte jedoch überall Erfolg: Mit den „Ahornblatt“-Athleten aus Kanada gewann er 2006 in Turin drei olympische Medaillen sowie durch Jon Montgomery Gold 2010 in Vancouver. Anschließend trainierte Schneider das russische Team und gewann mit Alexander Tretiakov und Elena Nikitina Gold und Bronze bei den Winterspielen 2014 in Sotschi. Als Coach des chinesischen Skeleton-Teams holte Schneiders Athlet Wengang Yan im vergangenen Jahr in Peking die erste olympische Medaille (Bronze) für China in diesem Sport überhaupt. Für Italien gewann Valentina Margaglio im vergangenen Winter mit einem 3. Platz in Innsbruck und einem 2. Rang in Altenberg erstmals Skeleton-Edelmetall für ihr Land.

Mit seinen Athleten gelang dem Trainer Willi Schneider somit Erstaunliches: Denn gleich bei zwei Olympischen Spielen und einer WM konnten sie dem überragenden Athleten dieses Sports, Martins Dukurs aus Lettland, Gold wegschnappen – in Vancouver 2010, bei der Weltmeisterschaft 2013 in St. Moritz und bei Olympia 2014 in Sotschi.

Mittlerweile arbeitet sein Sohn Tobias, der ebenfalls aus dem Maschinenbau kommt, in der Werkstatt mit. Er kümmert sich – wenn der Papa mit seinen Athleten in der ganzen Welt unterwegs ist – um die Logistik und hilft, wenn das Team kurzfristig Unterstützung benötigt. Stillstand gibt es im Vater-Sohn-Team nicht: Sofort nach den letzten Fahrten der nun abgelaufenen Saison in St. Moritz begannen daheim in Waldkraiburg bereits die Vorbereitungen für den kommenden Winter. „Jeden Tag, den du tatenlos verstreichen lässt, bekommst du in der Saison doppelt und dreifach zu spüren“, sagt Willi Schneider, der eine ungeheure Akribie in seine Arbeit legt. Diese sei immer ein Kompromiss: „Schauen, was an Talent und Können vorhanden ist, darauf reagieren, genauso wie auf Bedürfnisse und Wünsche, welches Material gibt es, wie lange ist noch Zeit bis Olympia? Sind es nur zwei Jahre, wie es vor Vancouver war, ist es zu spät, um ein komplett neues System zu installieren oder Hersteller zu wechseln. Dann muss man schauen, was man in kurzer Zeit verändern kann. Meist ist ja alles eine Frage der Kosten, es wird rasch teuer.“

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