Dritte auf Hawaii und in Roth
Triathlon-Star Laura Philipp spricht in Ingolstadt über ihre (späten) Erfolge und schlimme Niederlagen

18.11.2023 | Stand 19.11.2023, 19:49 Uhr

Persönliche Einblicke in ihr Leben gab Triathlon-Star Laura Philipp bei der von Lauftrainer Benjamin Ziegaus (Mitte) und Geschäftsmann Bernhard Huber organisierten Runde. Foto: Siedler

Dritte bei der Ironman-WM auf Hawaii, Dritte auch beim Challenge Roth: Laura Philipp hat 2023 endlich bei den weltgrößten Triathlon-Rennen den Sprung aufs Treppchen geschafft. Die einstige Seiteneinsteigerin wird anscheinend immer schneller. Warum das viel mit ihren speziellen Kenntnissen über ihren Körper zu tun hat, erklärte die 36-Jährige bei einem Besuch in Ingolstadt.

Das Ingolstädter Publikum im Veranstaltungsraum des Digitalen Gründerzentrums brigk wollte es natürlich genau wissen. Man kann ja nicht reinschauen in den Menschen. Also was geht einem Ausdauer-Spitzensportler durch den Kopf, wenn die Schmerzen kommen, wenn ein Rennen früh eine ganz andere Wendung nimmt als erhofft, wenn man aussichtslos zurückliegt? Mit welchen Gedanken quält sich Laura Philipp dennoch weiter?

Triathletin Laura Philipp über schlimme Niederlagen

Die Heidelbergerin hat genau diese Wettkämpfe erlebt. Zuletzt auf den allergrößten Triathlon-Bühnen. Im Schlagabtausch mit der Weltspitze. Vor einem Jahr bei der Ironman-WM 2022 auf Hawaii hatte sie „kein so tolles Erlebnis“, wie sie den rund 100 Zuhörern im Saal inzwischen wieder mit einem Lächeln berichten kann. Die Kampfrichter brummten ihr bei dem ohnehin schon gnadenlosen Radfahren auf der Pazifikinsel eine Zeitstrafe auf. Früh im Rennen, dabei lag sie aussichtsreich für einen Podiumsplatz. „Das Schlimmste war, dass ich gar nicht wusste, warum“, sagt Philipp über die vielleicht längsten fünf Minuten ihres Lebens. Der unfreiwillige Stopp nagte natürlich. Mit diesen negativen Gedanken musste sie noch über sechs Stunden den Rest der 180 Kilometer im Sattel und den abschließenden Marathon bei glühender Hitze absolvieren. Am Ende stand der undankbare vierte Platz – wie schon beim Debüt 2019.

„Ich stelle mir schon immer im Training vor, wie es wäre, wenn ich genau in solchen Momenten aufgebe“, beschreibt Philipp ihre Gefühle in der Welt der Schmerzen. „Das würde sich kurz gut anfühlen, weil es vorbei wäre – aber dann über Wochen ganz schlimm.“ Weil Aufgeben eben keine Option für die deutsche Spitzen-Triathletin ist, „außer bei einer Verletzung natürlich“. Aussteigen? Nur bei einem Defekt.

Laura Philipp – eine erfolgreiche Spätstarterin

Aufholen und überholen ist ohnehin in Laura Philipps Triathlonleben der Alltag. Sie steigt auf der Langdistanz nach den 3,86 Kilometern Schwimmen meistens mit Rückstand auf die Rennspitze aus dem Wasser. Als Seiteneinsteigerin, die erst mit 24 das Schwimmen lernte, rollt sie das Elite-Feld oft von weiter hinten auf. Ihr Kampfgeist ist ungebrochen. Selbst wenn sie wie heuer beim Challenge in Roth früh die Ansage bekommt: „20 Minuten zurück! Unglaublich!“ Doch das Rennen beim mittelfränkischen Triathlon-Klassiker war eben auch ein ganz besonderes. Vorne pulverisierte die Dominatorin Daniela Ryf aus der Schweiz im Wettkampf ihres Lebens die Weltbestzeit (8:08:21 Stunden). Im Sog sicherte sich Philipp – bei ihrer Roth-Premiere auch vom fanatischen Publikum wie am Solarer Berg beflügelt – einen Podiumsplatz. „Ein krasser Tag, ein harter Tag“, sagt sie.

Vor ihr landete nur die Bayreutherin Anne Haug, die davor zweimal in Roth triumphiert hatte – und natürlich als einzige Deutsche auf Hawaii. „Anne wird immer schneller“, staunt Philipp über ihre bald 41-jährige Landsfrau, die herausragende Marathonläuferin der gesamten Szene. Doch bei ihr ist es mit Mitte 30 genauso, was auch mit ihrem speziellen Blick auf ihren Körper zu tun hat (siehe weiter unten). Erst langsam, so erklärt sie, setzt sich die Erkenntnis durch, dass Frauen „ihren Leistungs-Peak“ erst im vermeintlich höheren Sportlerinnenalter haben „und lange diese Leistungen abrufen können“ – wenn sie mit entsprechendem Wissen über ihren Körper trainieren. Viele junge Frauen, weiß Philipp, hätten längst das Handtuch geworfen, wären zu früh ausgebrannt. „Ich hoffe“, sagt die 36-Jährige, „noch sehr lange die Freude an diesem Sport zu haben.“

Die Kurpfälzerin kam erst sehr spät und dann mit einem Knall als 31-Jährige auf die Ironman-Bühne, die nach wie vor der wichtigste Triathlon-Markt ist. Ihr Sieg 2018 in Barcelona kam gleich als schnellstes Debüt aller Zeiten (8:34:57). Davor hatte sie viele kürzere Rennen absolviert und sich einen Namen mit inzwischen 18 Siegen auf der Halbdistanz Ironman-70.3 gemacht. „Wir mussten mich erst aufbauen“, sagt sie über den Langdistanz-Plan mit Ehemann, Trainer und Mentor Philipp Seipp. Denn mit Ausdauersport hatte Laura Philipp in der Jugend nichts am Hut. „Zu meiner Verteidigung, das steht dort nicht so im Vordergrund“, sagt die Waldorfschülerin (und langjährige Vegetarierin) lachend.

In Laura Philipp schlummert eine Wettkämpferin

Aber: In ihr schlummerte schon immer eine Wettkämpferin. Nicht nur beim Sportklettern, ihrem Hobby vor der Triathlonkarriere. Der Weg dorthin ist geradezu famos und begann schon in der Schulzeit. „Beim Umsteigen warten, das war nicht so mein Ding.“ Also radelte sie als Teenagerin irgendwann lieber täglich in die Schule, 30 Kilometer durchs Neckartal hin nach Heidelberg, 30 Kilometer zurück. Mit einem Mountainbike, in Hardtail, wohl schwer wie ein Stahlträger, „aber da war ich schneller als mit den Öffentlichen“. Das Radeln machte ihr Spaß, besonders andere abzufangen, „da haben einige Männer ganz schön geguckt, als da eine mit einem schweren Rucksack ankam“, sagt sie lachend.

Auch das Laufen „kam aus meiner Ungeduld“ hinzu: Das notwendige Gassigehen mit dem Familienhund artete irgendwann aus, beschreibt sie blumig. Man kann sich das wohl als Laufschritt vorstellen, bis kam, was kommen musste: Hier noch ein Schlenker, da noch einer im Wald. „Der Hund hatte keinen Bock mehr“, sagt Philipp lachend. Aber sie selbst hatte gerade erst angefangen.

Fahrt nimmt ihre Karriere richtig auf, als bei der Physiotherapeutin mit einer Vollzeitstelle irgendwann die einstige Profi-Triathletin Wenke Kujala auf der Massagebank liegt und sie in das von der Wahl-Hilpolsteinerin betreute Team von Erdinger Alkoholfrei lotst. Die Hawaii-Champions Sebastian Kienle oder Normann Stadler hielt Laura Philipp bis dahin für „Freaks!“, so ruft sie heute noch aus. Inzwischen ist sie selber einer. Und mit der Ironman-WM seit vergangenen Oktober nach dem erstmaligen Sprung aufs Podium ein bisschen versöhnt. „Nicht schon wieder Vierte“, hatte sie zwischenzeitlich gedacht. Doch dann zog Philipp auf den letzten Marathon-Kilometern doch noch an Taylor Knibb vorbei und wurde beim Triumph von Lucy Charles-Barclay hinter Anne Haug – wie in Roth – wieder Dritte. „Vierte wäre in diesem Rennen auch ein super Erfolg“, sagt sie und lacht wieder, „aber dann doch ein bisschen was anderes als Dritte.“ WM-Dritte, wohlgemerkt. Endlich.

Triathletin Laura Philipp: „Frauen sind keine kleinen Männer“
Was macht Laura Philipp so speziell in der Triathlon-Szene? Die 36-Jährige spricht wie kaum eine andere Sportlerin offen über ein vermeintliches Tabuthema, für das sie sich eine Normalität im täglichen Umgang wünscht, „je mehr wir darüber sprechen, umso normaler wird es.“ Philipp ist inzwischen Spezialistin für zyklusbasiertes Training. „Ich hatte immer Momente, wo sich das Training total blöd angefühlt hat, wo gar nichts ging.“ Irgendwann wurde ihr bewusst, dass diese Schwankungen unter anderem mit den Hormonhaushalten während des weiblichen Zyklus zu tun hatten. Wie es so ihre Art ist, nahm sie die Herausforderung an, und fuchste sich in das Thema rein – und teilt ihr gewonnenes Wissen inzwischen auch über ihren erfolgreichen Youtube-Kanal. „Ich habe dadurch eine Kompetenz über meinen Körper, die ich nicht für möglich gehalten habe“, sagt sie. „Ich konnte gar nicht glauben, dass ich das alles nicht wusste.“ Längst richtet die Profi-Sportlerin ihre Einheiten nach den jeweiligen Phasen ihres Zyklus aus. Sie trackt ihre Körperwerte intensiv mit technischen Hilfsmitteln. In der ersten Hälfte des Monatszyklus seien harte Einheiten gut möglich, ist die Regeneration besser. In der anderen Hälfte schläft die Frau schlechter, erholen sich also mühsamer, sodass lockere und Trainingsinhalte von Vorteil sind. „Ich muss nicht in jeder Trainingseinheit einen Rekord aufstellen“, fasst Philipp generell zusammen. Wobei die wichtigste Erkenntnis aus allem ohnehin sei: „Frauen sind keine kleinen Männer“ – wenn es um Dosierungen und auch Trainingssteuerung geht. Wer dies als Leitlinie nimmt, ist wohl schon einen bedeutenden Schritt weiter. Auch in Ingolstadt konnte Philipp ihr Publikum mit dem Thema beeindrucken – und das geschlechtsübergreifend.