Neue WBC-Weltmeisterin im Atomgewicht
„Wie ein Pitbull“: Augsburgerin Tina Rupprecht – eine ganz starke Butterbrezenliebhaberin

18.01.2024 | Stand 18.01.2024, 14:23 Uhr

Tina Rupprecht und ihr Lebensgefährte Markus Fritschi: Im Juni wird geheiratet. Foto: privat

Es ist geschafft: Tina Rupprecht (31) ist wieder Weltmeisterin. Sollte es tatsächlich Zweifel daran gegeben haben, dass sie nochmals auf die große Box-Bühne zurückkehren wird: In Berlin wischte „Tiny Tina“ diese in einer Art und Weise weg, wie es wohl nur wahre Champions können. Die bisherige WBC-Titelträgerin im Atomgewicht, die Tschechin Fabiana Bytyqi: jedenfalls komplett chancenlos gegen das blonde Energiebündel aus Schwaben.

Ihr Lächeln war eigentlich schon immer sehr sympathisch. Aber aktuell, so scheint es, fällt es sogar noch ein Stückchen herzlicher aus als zuvor bereits. Denn Rupprecht ist wirklich überglücklich. Egal, in welchem Lebensbereich: Es läuft momentan exakt so, wie sie es sich erhofft.

Das hatte vor rund neun Monaten noch ein bisschen anders ausgesehen – zumindest in sportlicher Hinsicht. Ihr ganz großer Traum, sich in den USA zur Minimumgewichts-Championesse von gleich zwei Weltverbänden (WBC und WBA) zu küren: damals jäh geplatzt. Trotz starker Leistung setzte am Ende eine 0:3-Niederlage nach Punktrichterstimmen gegen die Lokalmatadorin Seniesa Estrada.

„Baby muss wieder zur Mama“



Manche Boxerin an ihrer Stelle hätte daraufhin wohl die Brocken hingeworfen, sich stattdessen auf andere Dinge des Lebens konzentriert. Aber nicht so „Tiny Tina“. Mit einer Niederlage abtreten: „Nicht einmal im Traum“ habe sie daran gedacht. „Vielmehr wurde für mich schnell klar, dass ein Baby wieder zur Mama muss“, so die 31-Jährige. „Baby“? „Mama“? „Ja, Ersterwähntes ist ein WM-Gürtel – und Zweiterwähntes bin ich“, erklärt Rupprecht lachend: „Das gehört einfach zusammen.“

Bloß lange auf einen erneuten Weltmeisterschaftskampf im Minimumgewicht warten zu müssen – vielleicht sogar wieder gegen Estrada? Nein, darauf hatte sie irgendwie überhaupt keine Lust. Also wuchs bei ihr spontan der Plan heran, ganz neue Wege zu beschreiten – eine Gewichtsklasse weiter unten, also im Atomgewicht (bis 46,3 Kilogramm Körpergewicht).

„Für mich gibt’s nur eines, nämlich gewinnen“



Natürlich wagte es dann niemand, ihr zu widersprechen – ihr Entdecker und Chefcoach Alexander Haan ebenso wenig wie ihr Lebensgefährte Markus Fritschi. Denn alle, die sie gut kennen, wussten sofort: Wenn sich „Tiny Tina“ etwas in den Kopf setzt, dann macht sie das auch. Völlig egal, wie unwahrscheinlich das zunächst auch wirken mag.

Und dann ging alles ganz schnell, plötzlich bekam Rupprecht das Angebot für einen WM-Kampf gegen die anfangs bereits erwähnte Bytyqi auf den Tisch. Dass die bereits seit dem September 2018 als WBC-Championesse regierende Tschechin in ihren 22 vorherigen Profifights komplett ungeschlagen geblieben war – es hätte wohl so manche Herausforderin etwas nervös werden lassen. „Tiny Tina“ hingegen war’s „komplett wurscht“. Ebenso wie die Kommentare sogar in manchen Fachblättern, in denen sie lediglich als Außenseiterin gegen die Titelverteidigerin angesehen wurde. „Für mich als Boxerin gibt’s immer nur eines, nämlich zu gewinnen“, so die 31-Jährige: „Dafür arbeite ich hart, dafür gebe ich alles. Und wenn ich dann in den Ring steige, dann bin ich immer fest davon überzeugt, dass ich mich am Ende durchsetzen werde – egal, gegen wen.“

Training beim „Athetik-Guru“ Sepp Maurer



Rupprecht wusste sehr wohl, dass sie gegen Bytyqi an ihre Grenzen gehen muss – zumal die Tschechin stolze elf Zentimeter mehr an Körpergröße mitbringt als sie mit ihren „nur“ 1,53 Metern. Also ging sie in der Vorbereitung nicht den bequemsten Weg – sondern den wohl effektivsten. Oder, etwas anders ausgedrückt: „Tiny Tina“ ließ sich in Sachen Kondition wieder von „Athetik-Guru“ Sepp Maurer in der Abgeschiedenheit des Bayerischen Waldes fitmachen. Dessen klare Aussage vor Beginn der Zusammenarbeit: „Wenn es dann in Deutschland eine Boxerin mit besserer Kondition gibt als die Tina, dann fasse ich das als persönliche Beleidigung auf.“

Maurer musste letztlich nicht beleidigt sein. Denn Rupprecht strotzte mit zunehmender Zeit nur so vor Kraft und lieferte Ausdauerwerte ab, vor denen es Bytyqi wohl angst und bange geworden wäre – vorausgesetzt, sie hätte davon erfahren. „Das Training beim Sepp war mit Sicherheit das härteste Training meines Lebens“, gibt „Tiny Tina“ nun gerne zu – das Ganze mit ihrem bekannt sympathischen Grinsen garniert.

„So muss Boxen sein, so macht es richtig viel Spaß“



Maurers Künste: ein wichtiges Mosaiksteinchen hin zum Gesamtbildnis „WM-Gewinn“. Gleiches gilt für Haans Künste, Rupprecht boxtechnisch wieder auf das allerhöchste Level zu bringen. Ihr Entdecker: längst nicht mehr nur ihr mit allen sportlichen Wassern gewaschener Cheftrainer, sondern auch ein guter Freund. Jemand, der sie in- und auswendig kennt, der mit ihren Launen umgehen kann.

Und dementsprechend war für ihn klar: Vor dem Fight gegen Bytyqi muss eine besondere Form des Sparrings her. Nicht in vertrauter Umgebung im Augsburger Gym – sondern irgendwo in Ungarn. „Dort bekam ich es tatsächlich mit ein paar richtig guten Mädels zu tun“, erinnert sich die 31-Jährige: „Dort holte ich mir den letzten Feinschliff, um anschließend in Berlin erfolgreich sein zu können.“

Nebenbei arbeitet sie als Realschullehrerin



Als Deutsche in der deutschen Hauptstadt gegen eine Tschechin boxen zu dürfen – das sieht auf den ersten Blick nach einem klaren Heimvorteil aus. Bei genauerem Hinsehen spielte der Austragungsort aber eher Bytyqi in die Hände – denn ihre Heimatstadt Ústí nad Labem liegt deutlich näher an der Spreemetropole als Augsburg. Prompt befanden sich in der mit rund 3000 Zuschauern gut gefüllten „Verti Music Hall“ mindestens ebenso viele Fans der Titelverteidigerin wie „Tiny Tina“-Sympathisanten. „Und sie alle sorgten für eine echt geile Stimmung“, erinnert sich die Rupprecht gerne zurück: „Beide Lager gingen wohltuend respektvoll miteinander um. So muss Boxen sein, so macht es richtig viel Spaß.“

Wobei sich Letzterer bei Bytyqi doch eher in Grenzen hielt. „Beim Boxen ist Tina wie ein Pitbull. Wenn sie ein Stück Fleisch hat, dann lässt sie es bis zum Schluss nicht mehr los“, hatte Haan schon vor vielen Jahren mal erklärt – und Rupprecht bewies nun in Berlin einmal mehr, dass ihr Cheftrainer mit seiner Einschätzung keineswegs falsch liegt. Die 31-Jährige, die nebenbei noch als Realschullehrerin arbeitet: Sie dominierte das Geschehen von Beginn an, gab die Richtung vor, war stets die Chefin im Ring. „Ich wollte meine Größennachteile mit wohldosiertem Druck und gezielten Treffern ausgleichen. Damit sollte Runde um Runde an mich gehen – und damit der gesamte Kampf“, verrät die Augsburgerin nun ihren Fightplan, der am Ende voll aufging. Die Wertungen der drei Kampfrichter: 97:93, 97:93, 98:92 – jeweils zugunsten von Rupprecht.

Der Rest: einfach nur Jubel pur. Die 1,53 Meter große Blondine hüpfte, strahlte – war einfach nur überglücklich. Sie ist wieder da! Sie ist wieder WBC-Weltmeisterin – wie sie es einst schon, zwischen dem 16. Juni 2018 und dem 25. März 2023, im Minimumgewicht gewesen war! Was für eine Genugtuung für „Tiny Tina“!

Nur was wäre gewesen, wenn sie verloren hätte? Wenn am Ende eine zweite Niederlage in Folge standen wäre? „Auch dann wäre meine Karriere definitiv nicht zu Ende gewesen“, betont die 31-Jährige: „Hey, es ist Sport. Da kann man nicht immer gewinnen, da muss man auch mit Rückschlägen umgehen können.“

Im Sommer geht’s ins Standesamt



Und auf was freute sie sich nach ihrem WM-Triumph vom vergangenen Samstag am allermeisten? „Da kommt wohl niemand drauf: auf eine richtig schöne bayerische Butterbreze“, verrät Rupprecht lachend. „Rund dreieinhalb Kilo“ hatten vor dem Kampf von ihrem Normalgewicht runtergemusst, um im Atomgewicht ran zu dürfen. Folgerichtig hatte sich die 31-Jährige plötzlich in Verzicht üben müssen, als es um süße Leckereien ging: „Dabei liebe ich doch Gebäck, Kuchen, Kekse und Plätzchen. Gerade in der Weihnachtszeit das alles nicht genießen zu dürfen, das war echt hart.“

Aber sie hat’s ja geschafft. Wie sie so Vieles schafft – ohne dabei, trotz allen Ehrgeizes, ihre stets sympathische Art zu verlieren. Dementsprechend beliebt ist „Tiny Tina“, dementsprechend groß war nun auch das Medienecho auf ihren in Berlin gewonnenen WM-Gürtel: „Tiny Tina“ überall – egal, ob im Fernsehen, ob im Radio oder in unzähligen Zeitungen beziehungsweise Zeitschriften. „Das darf gerne noch länger anhalten“, sagt sie.

Und was ist jetzt ihr nächster großer Termin? Die erste Titelverteidigung als amtierende WBC-Weltmeisterin im Atomgewicht? Oder die Hochzeit mit „ihrem“ Markus? „Ja, wir werden im Juni tatsächlich standesamtlich heiraten“, bestätigt „Tiny Tina“ mit leuchtenden Augen. Womit aus ihr dann ganz offiziell Tina Fritschi wird? „Im ,normalen Leben’ ja, aber als Boxerin werde ich immer die Tina Rupprecht bleiben“, so die 31-Jährige. „Die Tina Rupprecht“, die es in ihrer Karriere nun also geschafft hat, gleich in zwei Gewichtsklassen WM-Titel zu gewinnen. Ein fester Platz in den Sportgeschichtsbüchern ist ihr damit schon sicher. Aber ihre Erfolgsstory muss deswegen ja noch lange nicht zu Ende sein.

SZ