Fußball-Wahnsinn: Heidenheim steigt auf
„Das ist geisteskrank“: HSV feiert schon Bundesliga-Rückkehr, dann kommt die 99 Minute in Regensburg

28.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:18 Uhr

Unfassbar: Die Hamburger Fans waren schon auf den Rasen gestürmt – doch statt Jubel gab es riesige Enttäuschung. −Foto: imagoimages

Die HSV-Fans hatten längst das Spielfeld in Sandhausen gestürmt, sie herzten ihre vermeintlichen Aufstiegshelden und Trainer Tim Walter bejubelte schon die ersehnte Bundesliga-Rückkehr – doch dann schlug Tim Kleindienst um 17.36 Uhr zu: Mit seinem 3:2-Siegtreffer in der neunten Minute der Nachspielzeit beförderte der Torjäger den 1. FC Heidenheim erstmals in seiner Vereinsgeschichte in die Bundesliga und löste beim „Dorfklub“ die völlige Ekstase aus.

„Da gibt es keine Worte für. Dafür lieben wir den Fußball, dafür lieben wir den Sport. Das ist geisteskrank“, sagte Kleindienst am Sky-Mikrofon nach dem völlig verrückten Zweitliga-Finale und schüttelte nach dem Last-Minute-Sieg bei Absteiger Jahn Regensburg immer wieder ungläubig den Kopf: „Das ist Wahnsinn! Das ist Wahnsinn! Mehr geht nicht.“

Dank eines sensationellen Schlussspurts mit zwei Treffern in der Nachspielzeit zogen die Heidenheimer tatsächlich noch am HSV vorbei. „Wir haben es mehr als verdient. Das ist schwierig in Worte zu fassen“, sagte Aufstiegsmacher Frank Schmidt, mit 16 Jahren beim FCH der dienstälteste Trainer im deutschen Profifußball.

Schmidt lobte die „außergewöhnliche Mentalität“ seiner Mannschaft: „Wir geben nie auf. Ich bin megastolz.“ Schon der FCH-Ausgleich durch Jan-Niklas Beste (90.+3, Foulelfmeter) war erst nach Ablauf der regulären Spielzeit gefallen. Nach 57 Minuten hatte Heidenheim noch 0:2 zurückgelegen, erst ein Regensburger Eigentor von Benedikt Saller (58.) ließ neue Hoffnung aufkeimen.

Für den HSV endete der letzte Zweitliga-Spieltag mal wieder mit dem größtmöglichen Drama. „Wir waren davon ausgegangen, dass es schon durch ist“, sagte HSV-Kapitän Sebastian Schonlau über die Szenen, die sich nach dem Schlusspfiff in Sandhausen abspielten. Auch der Sandhauser Stadionsprecher gratulierte dem HSV schon zum Aufstieg – er sei nach einem Zuruf fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Hamburg schon durch sei, teilte der Absteiger später mit und entschuldigte sich für die falsche Durchsage. „Der SV Sandhausen ist sich des Risikos und der Tragweite solcher Durchsagen bewusst und entschuldigt sich deshalb an dieser Stelle beim Hamburger SV und den Fans im Stadion für die fehlerhafte Durchsage“, schrieb der Club.

Statt am Sonntag ins Oberhaus zurückzukehren, muss HSV wie schon in der vergangenen Saison (Niederlage gegen Hertha) in die Relegation. Das 1:0 (1:0) der Norddeutschen beim Absteiger SV Sandhausen durch den Treffer von Jean-Luc Dompe fiel nicht mehr ins Gewicht, der direkte Aufstieg wurde auch im fünften Anlauf seit dem Bundesliga-Abstieg 2018 verpasst.

„Einfach kann jeder. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, Heidenheim macht seine am Ende auch. Glückwunsch an Heidenheim. Jetzt schütteln wir uns kurz, und dann geht es weiter“, sagte Walter und versprach: „Wir werden morgen wieder aufstehen und angreifen. Wir haben keine Zeit.“

Wohl wahr. Schon am Donnerstag steigt bei den Schwaben das Relegationshinspiel, die Entscheidung fällt vier Tage später im Hamburger Volkspark. „Dieses Jahr werden wir unsere Chance nutzen, weil die Mannschaft einen guten Charakter hat“, sagte Walter und beteuerte: „Wir freuen uns auf die zwei Spiele.“

In Heidenheim hatte man unterdessen schon vor dem Aufstiegs-Showdown am Sonntagnachmittag große Zuversicht versprüht. „Das ist ein Gefühl wie vor dem Heiraten“, sagte Vorstandschef Holger Sanwald: „Du bist schon ein bisschen angespannt, aber du weißt, dass es klappt.“ Die Duelle mit den großen Bayern, mit dem BVB und allen anderen Erstligisten, die vor nicht allzu langer Zeit um Lichtjahre entfernt schienen, werden nun tatsächlich Realität.

Optimismus hatte auch beim HSV vor der Partie in Sandhausen geherrscht. „Fußball ist verrückt“, sagte Walter unmittelbar vor dem Anpfiff. Er sollte Recht behalten.

− sid/red