Der Bundestrainer spricht
„Wir haben es kapiert“: Flicks WM-Analyse − und was er mit Müller und Neuer vorhat

17.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:11 Uhr

Hansi Flick. −Foto: dpa

Hansi Flick hat den WM-Frust noch lange nicht verdaut und sieht die Fußball-Nationalmannschaft in den kommenden Monaten besonders in der Pflicht.

„Natürlich ist die Enttäuschung noch da. Wenn man die Spiele sieht, kommt der Gedanke, „hätten wir da auch sein können?“ Die Frage muss man sich stellen. Aber es ist nun mal so, dass wir frühzeitig ausgeschieden sind, und dafür müssen wir die Verantwortung übernehmen. Es ist einfach sehr, sehr schade“, sagte der Bundestrainer gut zwei Wochen nach dem WM-Aus in der Gruppenphase in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Richtung Heim-EM 2024 müsse die DFB-Elf die Fans zurückgewinnen. „Wir sind in der Bringschuld. Wir müssen wieder Begeisterung erzeugen. Jeder Spieler, jeder Trainer will, dass wir unterstützt werden“, sagte Flick. Die Voraussetzung sieht der 57-Jährige in seinem Team als gegeben an. „Wir wollen attraktiven Fußball zeigen. Wir wollen als Mannschaft den Fans zeigen: Wir haben es kapiert, wir wollen alles geben, wir wollen für Deutschland spielen, wir sind stolz darauf und wir freuen uns auf diese Heim-EM“, sagte Flick.

Mögliche Stimmungsdämpfer bei den von März 2023 anstehenden Testspielen kalkuliert Flick dabei schon ein. „In Zukunft wollen wir die Fans mit unserem Auftritt wieder begeistern, wir wollen, dass die Fans uns bedingungslos unterstützen, auch dann, wenn es Rückschläge gibt. Wir müssen dahin kommen, dass die Fans dann dennoch hinter uns stehen.“ Dafür fordere Flick „von der Mannschaft, vom Trainerteam, von den Betreuern“ bedingungslosen Einsatz „und natürlich, dass wir dann eine erfolgreiche Euro spielen“.

Flick sieht dabei keinen zwingenden Grund für ein Ende der Nationalmannschaftskarriere von Routinier Thomas Müller. „Ich werde in den kommenden Tagen versuchen, mit jedem Spieler zu sprechen, auch, um damit die WM dann abzuschließen. Und dann werde ich auch mit Thomas reden. Wir haben schon kurz gesprochen, aber noch nicht im Detail“, sagte der Bundestrainer in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur über seine Personalplanungen Richtung Heim-EM 2024.

In dem Gespräch mit dem 33 Jahre alten Müller will Flick ausloten, wie der Bayern-Antreiber seine TV-Aussagen unmittelbar nach dem WM-Aus gemeint habe. Müllers erste Reaktion klang nach einem Abschied im DFB-Trikot nach 121 Länderspielen, später relativierte er seine Ausführungen und kündigte Gespräche mit seiner Frau und dem Bundestrainer an.

Alter allein spielt für Flick keine Rolle. „Italien hat mit Bonucci und Chiellini gezeigt, dass Spieler noch im hohen Alter Top-Leistungen abliefern und Erfolg haben können. Sie sind Europameister geworden. Deswegen kann man nie kategorisch sagen, jemand ist zu alt. Es geht um den Leistungsgedanken - und der ist bei uns vorhanden“, versicherte der Bundestrainer.

Torwart Manuel Neuer befindet sich nach seinem Unterschenkelbruch in einer besonderen Situation, wie Flick feststellte. Eine Zukunftsdebatte verbiete sich angesichts des Gesundheitszustands des 36 Jahre alten DFB-Kapitäns. „Manuel ist erstmal verletzt. Das tut mir richtig leid, weil es nach der WM nochmal eine Situation ist, die nicht ganz leicht ist. Bei ihm ist es erstmal das Entscheidende, dass er wieder fit wird, dass er zu alter Form wieder kommt“, sagte Flick.

Ungeachtet der Fragen um seine erfahrensten Spieler will Flick den Umbruch im DFB-Team vorantreiben. „Es tut einer Mannschaft gut, wenn frischer Wind reinkommt. Wir haben einige gute, sehr talentierte junge Spieler, die nachkommen. Da müssen wir unseren Blick auch drauf richten, weil es um die Zukunft geht. Wir haben eineinhalb Jahre Zeit. Wir wollen versuchen, den einen oder anderen zu begleiten, dass er den nächsten Schritt macht, sich so verbessert, dass er für uns ein Thema ist oder sich festspielt“, sagte der 57-Jährige. Bei der WM hatte Flick in Jamal Musiala (19) und Youssoufa Moukoko (18) zwei Teenager im Aufgebot.

Er selbst habe nie an Rücktritt gedacht - und mache seinen Verbleib im Amt auch nicht von der Entscheidung über die Nachfolge für Ex-Geschäftsführer und Freund Oliver Bierhoff abhängig. „Ich bin überzeugt davon, dass es passen wird. Für mich war es nie ein Gedanke, zurückzutreten“, sagte Flick.

Seine emotionalen Worte pro Bierhoff nach dessen Ausscheiden nur vier Tage nach dem WM-K.o. seien als Auszeichnung für dessen Arbeit gedacht gewesen und keine Drohung für persönliche Konsequenzen. „Oliver hat viel für den deutschen Fußball getan, das wollte ich zum Ausdruck bringen. Und das heißt keinesfalls, dass ich mit seinem Nachfolger nicht vertrauensvoll zusammenarbeite“, sagte Flick.

Große Hoffnungen setzt Flick in die Arbeit der beiden gegründeten Arbeitskreise beim Deutschen Fußball-Bund. DFB-Präsident Neuendorf hatte mit Blick auf die Kommunikation mit Flick betont, dass alles, was in den Gremien besprochen werde, mit dem Bundestrainer rückgekoppelt werde. „Ich bin sicher, dass wir zu einer einvernehmlichen Lösung kommen“, sagte Neuendorf.

Den Expertenrat um Karl-Heinz Rummenigge, Oliver Kahn und Matthias Sammer verteidigte Flick gegen Kritik, nicht heterogen besetzt zu sein. „Zunächst muss man sehen, dass das absolute Persönlichkeiten des deutschen Fußballs sind, die alle sehr viel Erfahrung haben. Sie wissen, worauf es ankommt. Deswegen finde ich es großartig, dass sie sich bereiterklärt haben, beratend zur Seite zu stehen“, sagte Flick.

Ränkespielen oder Animositäten seien nicht angesagt, sagte der Bundestrainer. „Es gibt den Bereich Nationalmannschaft, mit der Frage, wo geht es hin und der Frage, wie wir den wichtigen Schulterschluss mit den Vereinen hinbekommen. Denn klar ist, dass wir nur gemeinsam erfolgreich sein können. Wir müssen in die gleiche Richtung gehen“, forderte er Unterstützung auf dem Weg Richtung EM 2024.

− dpa/red