Unter Europas Besten
Kommentar: Der seltsame Fall des FC Bayern

19.04.2024 | Stand 19.04.2024, 18:13 Uhr

Riesenjubel: Die Bayern stehen im Halbfinale der Champions League. Foto: Imago Images

Die Saison des FC Bayern verläuft so, als wäre das Drehbuch der Feder des Schriftstellers Robert Louis Stevenson entsprungen. Denn sie weist Grundzüge eines der Werke des Schotten auf: der Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, deren zentrales Motiv eine gespaltene Persönlichkeit ist.

Durch Drogenkonsum herbeigeführte Schizophrenie soll natürlich niemandem beim deutschen Rekordmeister unterstellt werden, zwei grundverschiedene Gesichter schon. Während das biedere in den nationalen Wettbewerben die Münchner von einer Blamage in die nächste manövrierte, trug das charakterstarke in der Champions League die Bayern unter die besten vier Mannschaften.

Der Hauptautor dieses hochverdienten Weiterkommens ist Trainer Thomas Tuchel, der ebenfalls zwei Gesichter zeigt: Während der 50-Jährige in der Bundesliga ideenlos agierte, stellte er seine Mannschaft gegen den FC Arsenal zweimal taktisch hervorragend ein. Das überraschende Tandem auf links mit Noussair Mazraoui und Raphael Guerreiro bremste am Mittwoch „Gunners“-Wirbler Bukayo Saka vorzüglich aus.

Konrad Laimer war in seinem bislang besten Spiel im Bayern-Dress für Arsenal-Spielgestalter Martin Ödegaard eine nervige Klette. Und: Entgegen der Klub-DNA überließen die Münchner ihren Kontrahenten zunächst das Spiel, verteidigten aber durchweg diszipliniert und konnten ihre körperlichen Vorteile im zweiten Durchgang schließlich nutzen.

Mit Real Madrid wartet nun der größte Klub der Welt, Bezwinger von Titelverteidiger Manchester City und Rekordsieger des Wettbewerbs. In Ehrfurcht erstarren wird die „Schwarze Bestie“, wie die Madrilenen ihren kommenden Gegner einst tauften, nicht. Warum auch? Beinahe die Hälfte aller Spieler aus dem Bayern-Kader hat die Champions League schon mal gewonnen.

Europacup-K.-o.-Spiel-Experte Tuchel, dessen Aus zum Saisonende folgerichtig bleibt, könnte nach 2020 (mit Paris Saint-Germain) und 2021 (FC Chelsea) zum dritten Mal in fünf Spielzeiten ins Finale einziehen. Wenn der Trainer und sein Team gegen Real erneut ihr Europapokal-Gesicht zeigen. Aber nur dann.