Nächster Japan-Schock
Bankrotterklärung statt Aufbruch: Flicks Stuhl wackelt nach 1:4-Blamage bedenklich

09.09.2023 | Stand 12.09.2023, 16:09 Uhr

Bedient: Bundestrainer Hansi Flick. −Foto: dpa

Hansi Flick stapfte völlig bedient unter wütenden Pfiffen in die Katakomben der Volkswagen-Arena, auf der Tribüne blickten sich Rudi Völler, Bernd Neuendorf und Hans-Joachim Watzke fassungslos an. Nach der Bankrotterklärung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft beim 1:4 (1:2) gegen den WM-Schreck Japan scheinen die Tage des Bundestrainers gezählt. Statt des erhofften Aufbruchs in Richtung Heim-EM gab es einen erneuten Zusammenbruch, die Treuebekundungen der Bosse sind nun nichts mehr wert.

Da braucht es wohl nicht einmal mehr eine weitere Pleite gegen Vize-Weltmeister Frankreich am Dienstag (21.00 Uhr/ARD) in Dortmund. Erstmals seit 38 Jahren verlor die DFB-Elf wieder drei Partien in Serie. Es war die höchste Heimniederlage seit 2001 (1:5 gegen England).

„Das ist ein ganz bitterer Tag. Die Mannschaft muss sich hinterfragen“, forderte der neue Kapitän Ilkay Gündogan bei RTL, er glaube aber weiter an Flick. Doch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus meinte: „In den letzten Monaten standen beim DFB nicht mehr viele hinter Hansi. Ob man ihn jetzt noch halten kann, bezweifle ich.“ Flick selbst urteilte: „Ich finde, wir machen das gut, und ich bin der richtige Trainer. Aber ich weiß, dass im Profifußball sehr viel Dynamik drin ist. Ich kann nicht absehen, was ansonsten noch kommt. Erstmal ist man brutal enttäuscht. Wir haben aktuell nicht die Mittel, um so eine kompakte Defensive zu überspielen. Es war einfach zu wenig.“

Junya Ito (12.), Ayase Ueda (22.), der eingewechselte WM-Schreck Takuma Asano (90.) und Ao Tanaka (90.+2) bestraften in Wolfsburg wie in Katar schwere Mängel in der umformierten DFB-Defensive mit Rechtsverteidiger Joshua Kimmich. Leroy Sane (19.), einziger Lichtblick, glich zwischenzeitlich aus.

Die vierte Pleite in den jüngsten fünf Länderspielen ohne Sieg konnte er nicht verhindern. Neun Monate vor der Heim-EM herrscht weiter tiefe Ratlosigkeit statt Euphorie.

Dabei wollte Flick sein EURO-Gerüst einspielen lassen. Neuer Kapitän, neue Spielidee: 290 Tage nach der WM-Auftaktpleite gegen Japan setzte er die angekündigten Veränderungen konsequent um - und beorderte seinen bisherigen Mittelfeldboss Kimmich nach hinten. Er habe „lange mit Jo gesprochen“, sagte Flick, „er macht es im Sinne der Mannschaft, er ist ein absoluter Teamplayer“.

Doch für den Umbau fehlte wohl Trainingszeit. Der ungewohnt bärtige Kimmich, einer von sieben „Überlebenden“ aus der Startelf beim jüngsten Treffen mit den Blue Samurai, fremdelte in seiner Rolle. Gündogan war nicht der erhoffte Antreiber.

Und Japan jubelte zuerst: Der völlig überforderte Nico Schlotterbeck wurde wie im November überlaufen, Abwehrchef Antonio Rüdiger kam nicht mehr richtig ran - 0:1.

„Jetzt erst recht“, lautete die Aufforderung der Fans per Choreographie in der ausverkauften Volkswagen-Arena - und die Antwort auf den Rückstand kam prompt. Über Kimmich, der wie geplant im Aufbau im Zentrum auftauchte, Gündogan und Florian Wirtz gelangte der Ball zu Sane. Der Münchner schob überlegt ein, DFB-Präsident Bernd Neuendorf warf auf der Bühne erleichtert die rechte Faust in die Luft.

Doch die Freude verpuffte sofort, weil Schlotterbeck links wieder nicht in den Zweikampf kam. Niklas Süle, von Flick dank vermeintlich verbesserter Fitness in Gnaden wieder aufgenommen, kam nicht mehr an den Ball, und Ueda vollstreckte zur erneuten japanischen Führung.

Der auffällige Sane bereitete für Jamal Musialas Vertreter Wirtz (30.) und Gündogan (33.) vor, die Chancen vergaben. Ein echter Zielspieler im Strafraum fehlte in Abwesenheit des angeschlagenen Niclas Füllkrug, Fan-Kritiker Kai Havertz war nicht der benötigte Neuner.

Und so ging bald das Gemecker los, Sane beklagte sich, Kimmich schimpfte. Nach dem nächsten Schlotterbeck-Aussetzer verhinderte Marc-Andre ter Stegen im Eins-gegen-eins gegen Ueda das 1:3 (41.). Zur Pause gab es Pfiffe.

Unmittelbar nach Wiederanpfiff hatte Schlotterbeck den nächsten Aussetzer, ter Stegen rettete nochmal gegen Ueda (48.). Die Verunsicherung war nun mit Händen zu greifen, unnötige Ballverluste häuften sich. Von den Rängen flogen Papierflieger.

Nach einer guten Stunde wurde Schlotterbeck erlöst, neben Robin Gosens kam Debütant Pascal Groß für den enttäuschenden Emre Can. Japan konterte gefährlich. Der eingewechselte Bochumer Asano, in Katar Japans Siegtorschütze, vergab die nächste Top-Chance (70.), traf kurz vor Schluss aber doch noch. Auch Routinier Thomas Müller kam noch (73.).

− sid