Bundestrainer über Bayern-Absage
Die Suche nach dem Stachel: Nagelsmann kontert Eberl – und macht Goretzka wenig EM-Hoffnung

25.04.2024 | Stand 25.04.2024, 16:09 Uhr

Julian Nagelsmann. − Foto: dpa

Julian Nagelsmann kostete seine spitze Bayern-Pointe genüsslich aus. Er habe es ja versucht, nachgeschaut, vorne, hinten, links und rechts. „Ich habe gestern mal meinen Körper abgetastet“, scherzte der Bundestrainer beim Interview im deutschen EM-Quartier, er deutete eine Handbewegung an. „Da habe ich keinen Stachel gespürt. Da sitzt kein Stachel tief.“

Mit Humor und einem Lächeln moderierte Nagelsmann die fiese Stolperfalle seiner Absage an den deutschen Fußball-Rekordmeister ab. Einen quälenden Stachel im Stolz-Zentrum des Verhandlungspartners hatte der Münchner Sportvorstand Max Eberl angesichts von Nagelsmanns Entlassung im Vorjahr vermutet. Nein, versicherte der Bundestrainer bei MagentaTV: Er habe sich „voller Überzeugung“ für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) entschieden. Und eben nicht gegen die Bayern.

Ohnehin, gab er den stets selbstbewussten Münchnern zu verstehen, die inzwischen in den letzten Zügen einer Einigung mit Ralf Rangnick liegen sollen: Ihr wart halt auch nicht die einzigen in der Bewerberschlange! „Ich hatte nicht nur Bayern und den DFB, es waren auch noch ein paar andere Klubs da“, sagte Nagelsmann.

Sein schwarzes Hemd war in Herzogenaurach bis zum Hals zugeknöpft, aber er redete im türkisfarbenen Sessel ganz offenherzig. Herz schlägt Geld – das war der Tenor. Wären die sprudelnden Millionen die „Haupttriebfeder“ gewesen, versicherte Nagelsmann, „dann wäre ich eher bei einem Verein gelandet. Jeder kann sich vorstellen, dass man da mehr verdienen kann.“

Letztlich aber wollte er seinem EM-Projekt, das durch die Siege in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) endlich Schwung gewonnen hat, nicht den Stecker ziehen. Zudem sprach er von „familiären Themen“: Für alles andere ist nach der WM 2026 noch Zeit genug. Ausschließen, sagte er im einstündigen Talk-Format „Bestbesetzung“, sei ein späteres Bayern-Engagement in diesem wilden Geschäft sowieso nicht.

Mit seiner Vertragsverlängerung hat der Bundestrainer sich selbst die Vorlage gegeben, die er jetzt verwandeln muss. Mit „Haut und Haaren“ werde er für eine erfolgreiche Heim-EM kämpfen, versprach er, und eben nicht den Eindruck vermitteln, „ich würde mich zweigleisig auf einen anderen Job vorbereiten müssen, was zwangsläufig der Fall gewesen wäre“.

Nagelsmann spricht vom Titel



So aber heißt es: Volle Kraft voraus, Nagelsmann tritt an, „um den Titel zu gewinnen“. Dies habe er mannschaftsintern „versprachlicht, wir werden das in den nächsten Wochen auch noch mal verbildlichen“. Vermutlich ohne die Graugänse, für die der DFB nach der Dokumentation über die WM in Katar verspottet worden war. Immerhin aber sagte Nagelsmann, er weiche, wenn er die Ruhe suche, gerne in die Berge aus – um „eher Gänse als Menschen zu treffen“.

In den kommenden Monaten allerdings, das weiß Nagelsmann selbst, wird wenig Zeit für das Mountainbiken bleiben. Es wird wild. „Wir müssen Monster werden, die Vertrauen in sich selbst haben“, sagte er in Abwandlung seines Spruchs über „Verteidigungsmonster“. Mit Glaube, Leidenschaft und Kampfgeist könne es was werden.

Wann die EM ein Erfolg wäre? Ein Zögern. „Man muss abwarten, gegen wen wir spielen, wie wir spielen“, sagt Nagelsmann dann. „Im Worst Case würden wir irgendwann ausscheiden, dann wäre die Frage: Wie haben wir gespielt? Wie haben wir die Menschen begeistert?“

Schließlich kann schnell im Achtelfinale das Aus kommen, ein Elfmeter, eine Rote Karte, der Fußball hat auch Zufallsfaktoren. „Wir sollten aber auf jeden Fall die Vorrunde und die eine oder andere K.o.-Runde überstehen.“

Pavlovic? „Könnt noch auf den Zug aufspringen“

Den im März überraschend nicht für die Nationalmannschaft berücksichtigten Leon Goretzka und Mats Hummels machte Nagelsmann wenig Hoffnungen auf eine EM-Teilnahme. „Ich habe immer gesagt, es ist keine Tür zu, aber generell ist es die Kunst als Trainer, mit Hinblick auf das Turnier eine Mannschaft zu finden, wo jeder Spieler 100 Prozent zur jeweiligen Rolle passt“, sagte der Bundestrainer.

Goretzka und Hummels seien „keine schlechten Charaktere“, versicherte Nagelsmann. „Mats spielt eine sehr gute Saison und er ist auch ein sehr guter Innenverteidiger“, sagte der Bundestrainer über BVB-Verteidiger Hummels, den er selbst im Oktober gerade für ein erneutes Comeback in die Nationalmannschaft zurückgeholt hatte. Hummels und Gortezka hatten zuletzt für Dortmund und den FC Bayern sehr gute Leistungen gezeigt.

Er habe als Trainer die Aufgabe, für die Rolle, die er vorsehe, die passenden Spieler zu finden, sagte Nagelsmann. „Diese Entscheidung muss ich treffen.“ Nach den verpatzten Länderspielen im November gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (2:0) hatte der Bundestrainer einschneidende personelle Maßnahmen vollzogen. Seine EM-Idee sieht eine klare Rollenverteidigung mit Stammkräften und hochmotivierten Herausforderern für jede Position vor. Daher könnte auch Goretzkas Teamkollege Aleksandar Pavlovic dabei sein. „Er ist ein Kandidat, der vielleicht noch auf den EM-Zug aufspringen kann“, sagte Nagelsmann über den 19-Jährigen vom deutschen Fußball-Rekordmeister.

Nagelsmann schloss den Talk mit einem weiteren Scherz. Berichte über eine „Reißleinenklausel“, die dem DFB gegebenenfalls eine frühere Trennung ermöglichen würde, wischte er vom Tisch: „Ihr werdet mich bei der WM auch noch ertragen müsen.“ Ohne Stachel im Leibe.

− sid/dpa/red