Ein paar Minuten lang starrten die Spieler des FC Bayern auf das Handy von Thomas Müller, dann löste sich der Kreis mit Freudenschreien auf. Dank eines Treffers von Edel-Joker Jamal Musiala (89.) entrissen die Münchner fast in letzter Minute dem Rivalen Borussia Dortmund, der gegen Mainz 05 nur 2:2 spielte, mit einem 2:1 (1:0) beim 1. FC Köln doch noch die Meisterschale. Minuten zuvor hatte der Ausgleich der Geißbock-Elf den Rekordmeister noch in eine Schockstarre versetzt.
„Dass ich so eine Meisterschaft erlebe, ist unglaublich, mir läuft es kalt den Rücken runter. Wir kassieren den Ausgleich - und dann haut der Jamal den unten rein“, sagte ein aufgewühlter Thomas Müller, der bereits ein T-Shirt mit der „11“ für den elften Meistertitel in Serie trug, kurz nach den ersten Freudentänzchen und Umarmungen bei Sky.
Um 17.43 Uhr stemmte der verletzte Kapitän Manuel Neuer unter den Pfiffen des Kölner Publikums die Kopie der Meisterschale in die Höhe - übergeben kurioserweise von Jan-Christian Dreesen in seiner Eigenschaft als Mitglied des DFL-Präsidiums. Dreesen soll Nachfolger von Klubchef Oliver Kahn werden, der nach Medienberichten ebenso wie Sportvorstand Hasan Salihamidzic bei der Aufsichtratssitzung am Dienstag von seinem Posten abberufen wird. Kahn selbst war am Samstag nicht in Köln, offiziell wegen einer Erkältung.
Erst aber wurde gefeiert nach dem Happy End einer verkorksten Saison. „Was soll ich sagen“, sagte Müller, „alle, die sich für den deutschen Fußball interessieren, haben bestimmt unterschwellig ein Gefühl, dass wir es nicht verdient haben – und ich kann das verstehen. Dieser Moment ist trotzdem unglaublich.“ Zugleich zeigte er Mitgefühl für die Dortmunder: „Für die, die ich länger kenne, tuts mir leid.“
Die Ausgangslage vor diesem Finale war klar: Ihr Schicksal im Titelrennen hatten die Bayern nicht mehr in der Hand, um den zwei Punkte vor ihnen liegenden BVB überhaupt noch gefährden zu können, musste ein Sieg und ein Ausrutscher des Tabellenführers her. Und tatsächlich: Kingsley Coman (8.) legte früh vor – Dortmund lag 0:2 zurück.
Dejan Ljubicic (81.) mit einem von Serge Gnabry verursachten Handelfmeter versetzte die Münchner dann vorübergehend in Schockstarre – der vier Minuten zuvor eingewechselte Musiala sorgte dann für den emotionalen Schlusspunkt einer bis dahin völlig verkorksten Saison. Im Endspurt verhinderten die Bayern damit ihre erste titellose Saison seit elf Jahren.
Musiala schießt Bayern ins Glück
Allen bisherigen Spekulationen um die Vorstände und allen Nebengeräuschen zum Trotz starteten die Bayern fokussiert in ihr großes Finale. Müller gewann an der eigenen Eckfahne den Ball, spielte ihn zu Leroy Sane. Dessen Pass verwertete Coman mit einem Schuss in den Winkel. Kurz darauf traf Müller den Pfosten (19.).
Mit der Führung im Rücken mieden die Bayern das Risiko und setzten auf Kontrolle durch Ballbesitz. Unter dem Druck der Kölner leisteten sie sich dennoch immer wieder Fehlpässe und Ungenauigkeiten. Einen Kopfball von Ljubicic hielt Yann Sommer bravourös (60.), auf der Ehrentribüne tigerte Salihamidzic hin und her.
Köln zog zeitweise ein Powerplay auf und schnürte die Bayern in deren Hälfte ein - die wenigen Entlastungsangriffe vergaben Coman und Co. kläglich, ehe Musiala nach dem Ausgleich die Münchner ins Glück schoss.
Dortmund: Eime Stadt trägt Trauer
Trauer, Totenstille: Im Moment der bitteren Wahrheit sanken alle Dortmunder wie vom Blitz getroffen zu Boden. Die schwarz-gelbe Wand verstummte, selbst den Gästefans schien das Schicksal des BVB leid zu tun. Durch ein 2:2 (0:2) gegen den FSV Mainz 05 am letzten Bundesliga-Spieltag verpasste Borussia Dortmund die gigantische Chance, den FC Bayern endlich vom Thron zu reißen. Stattdessen warf die Borussia den Münchnern, die sich zum 2:1 beim 1. FC Köln zitterten, die Schale quasi in den Schoß.
Minutenlang lagen sie da: Marco Reus, Mats Hummels, Sebastien Haller und all die anderen, die kurz vor dem großen Triumph gestanden hatten. Dann fingen die ersten Fans an zu rufen: „Aufstehen! Aufstehen!“ Edin Terzic, der Trainer aus der Kurve, half seinen Spielern auf die Beine. Die Tribüne spendete Trost: Ein starkes Bild zum Ende einer Achterbahn-Saison mit einem irren Ende.
„Das ist schwer in Worte zu fassen“
Doch nur ein „minimaler Trost“, gab Hummels bei Sky zu: „Die nächsten Tage werden brutal, die Enttäuschung ist riesengroß. Es wird schwer, das alles zu verarbeiten.“ Emre Can war der erste, der sich den Fragen stellte. Am Ende hat uns ein Tor gefehlt„, sagte er niedergeschlagen: “Wir wollten unbedingt, aber wir haben es nicht geschafft. Es war ein anderes Spiel, es war ein anderer Druck, wir hatten unsere Chancen, aber am Ende sollte es einfach nicht sein.„
Meisterfeier, der gigantische Meisterkorso mit Hunderttausenden Menschen - das alles fällt ins Wasser, weil der BVB im entscheidenden Spiel die Nerven verlor. Andreas Hanche-Olsen (15.) und Karim Onisiwo (24.) brachten mit frühen Toren das vor Aufregung kochende Stadion fast zur Ruhe, die Dortmunder rannten vor 81.365 Zuschauerinnen und Zuschauern mit wachsender Verzweiflung vergeblich an. Sebastien Haller (19.) verschoss überdies beim Stand von 0:1 einen Foulelfmeter: Entsetzen machte sich breit. Daran änderten auch die Tore von Raphael Guerreiro (69.) und Niklas Süle (90.+6) nichts.
Bloß nicht ausflippen, alles „so normal wie nur möglich“ halten: Das hatte Terzic vorab während der Pressekonferenz beschworen. Doch wie? Das Stadion summte schon eine Stunde vor dem Anpfiff wie ein Bienenkorb - und das lag keinesfalls nur am Besuch eines verirrten Bienenschwarms, der die Sky-Übertragung störte. Die Fans schwankten zwischen Vorfreude, großer Zuversicht und einem Schuss Angst, die Atmosphäre war ohrenbetäubend.
In der ganzen Stadt baute sich ab dem Morgen langsam die Spannung auf. Vor der Stadiongaststätte „Strobels“ hatten sogar Fans übernachtet, am Mittag gab es einen großen Marsch aus dem Kreuzviertel Richtung Stadion. Der Mannschaftsbus wurde mit großem Jubel und bengalischen Feuern begrüßt - die große, vielleicht sogar historische Gelegenheit elektrisierte: „Wir haben es in der Hand“, stand auf einem riesigen Banner vor der Südtribüne.
Entsprechend begleitete ein zehntausendstimmiges Brüllen jeden gewonnenen Zweikampf, jeden Einwurf, jede halbe Torgelegenheit. Niklas Süle hatte die erste in der siebten Minute. Die Mainzer mühten sich darum, in diesem Hexenkessel mehr als nur eine beliebige Zutat zu sein - ihr Trainer Bo Svensson breitete beruhigend die Arme aus. Und der FC Bayern führte in Köln.
Haller verschießt Elfmeter
Als auch noch Hanche-Olsen per Kopf für die Mainzer traf, schien das gesamte BVB-Gebilde der vergangenen Woche ins Wanken zu geraten. Umgehend foulte Dominik Kohr im Strafraum Guerreiro - aber Haller scheiterte mit dem Elfmeter an Torhüter Finn Dahmen. Es wurde das eklige Nervenspiel, das sich der BVB so gerne erspart hätte. Das 0:2 durch Onisiwo hatte eine geradezu lähmende Wirkung.
Dann musste auch noch Karim Adeyemi verletzungsbedingt ausgewechselt werden, Kapitän Marco Reus bekam seine Chance, eine nie erfüllte Sehnsucht nach der Meisterschale zu stillen. Doch seiner Mannschaft fehlte die Überzeugung. Julian Brandt schloss nicht wuchtig genug ab (44.), Donyell Malens Kopfball (45.+4) touchierte den Außenpfosten.
Terzic brachte zur zweiten Halbzeit auch noch Youssoufa Moukoko, er erhöhte das Risiko deutlich. Auch die Fans rafften sich noch mal zu lautstarker Unterstützung auf, sie feierten, wie BVB-Torhüter Gregor Kobel nach einem Konter gegen Lee Jae Sung rettete (48.). Ein entfesselter Dortmunder Ansturm war es jedoch nicht: Dringend gesucht wurde nun derjenige, der das Stadion wieder anzündet und den Glauben weckt. Mainz konterte - Onisiwo traf den Pfosten (57.), Guerreiro noch ins Tor. Süles Tor sorgte für Hochspannung. Doch Dortmund versank in Trauer.
− sid
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