Konsequenz aus 1:4-Blamage
Der Flick-Rauswurf beim DFB: Das sagen die Verantwortlichen − und diese Namen werden jetzt gehandelt

10.09.2023 | Stand 12.09.2023, 15:35 Uhr

−Foto: dpa

Hansi Flick posierte noch geduldig für Fotos, als das öffentliche Training längst beendet war. Ein Hauch von Abschied wehte auf seiner Ehrenrunde schon durch das kleine Wolfsburger Stadion - und wenige Stunden später hatte er Gewissheit. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gab nach der Bankrotterklärung gegen Japan die Trennung vom schwer angeschlagenen Bundestrainer bekannt.

Beim Spiel am Dienstag (21.00 Uhr/ARD) in Dortmund gegen den Vize-Weltmeister Frankreich werden Sportdirektor Rudi Völler, U20-Trainer Hannes Wolf und Sando Wagner einmalig auf der Bank sitzen. „Für mich ist das kein einfacher Moment, denn ich bin im Februar beim DFB angetreten, um Hansi Flick mit all meinen Möglichkeiten zu unterstützen, ihm den Rücken freizuhalten, damit er sportlich erfolgreich sein kann“, sagte Völler.

Doch der sportliche Erfolg blieb aus, neun Monate vor der so wichtigen Heim-EM musste der DFB handeln. „Die Gremien waren sich einig, dass die A-Nationalmannschaft der Männer nach den zuletzt enttäuschenden Ergebnissen einen neuen Impuls benötigt“, wird DFB-Präsident Bernd Neuendorf in einer Mitteilung zitiert. Er fügte nach der „schwierigsten Entscheidung seiner bisherigen Amtszeit“ an: „Wir brauchen mit Blick auf die Europameisterschaft im eigenen Land eine Aufbruchstimmung und Zuversicht.“

Nachfolger soll zeitnah präsentiert werden

Durch die Trennung von Flick nach 770 Tagen sorgte der Verband für ein Novum: Keiner der zehn Vorgänger Flicks war entlassen worden. Nach dem sportlichen Offenbarungseid beim blamablen 1:4 (1:2) gegen Japan blieb den Bossen keine andere Wahl. „Der sportliche Erfolg hat für den DFB oberste Priorität. Daher war die Entscheidung unumgänglich“, sagte Neuendorf. Eine Dauerlösung präsentierte der Verband nicht. Ziel sei es aber, möglichst „zeitnah die Nachfolge zu regeln“.

Julian Nagelsmann, Oliver Glasner und Stefan Kuntz werden gehandelt und könnten die Aufgabe erstmals bei der umstrittenen US-Tour im Oktober ausüben. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus forderte Matthias Sammer und lehnte selbst den Job ab. Doch jetzt soll gegen Frankreich erst einmal ein weiteres Desaster verhindert werden – mit Völler, aber ohne Flick.

Dem 58-Jährigen half auch sein Startrekord mit acht Siegen gegen zweitklassige Gegner nicht weiter. Der einstige Münchner Erfolgscoach war durch das WM-Debakel in Katar zu sehr beschädigt, um den erhofften Turnaround und den so dringend benötigten Stimmungsumschwung herbeizuführen. Auch wenn er das unmittelbar nach dem entlarvenden Auftritt gegen Japan anders sah. „Ich finde, wir machen das gut, und ich bin der richtige Trainer“, sagte Flick in einer bemerkenswerten Selbsteinschätzung.

Die Statistiken waren zu alarmierend

Auch bei der öffentlichen Einheit vor 2376 Fans am Sonntagmittag gab sich der einstige Co-Trainer von Joachim Löw noch kämpferisch. „Ich fighte weiter“, rief er den Anhängern zu und kitzelte ein Kleinkind im Mini-Trikot am Bauch. Ihm schwante aber Böses: Im Profi-Fußball sei „vieles schwer vorherzusagen“.

So holten ihn die Sorgen auch schnell wieder ein. Die DFB-Verantwortlichen um Neuendorf, seinen Vize Hans-Joachim Watzke und Völler steckten am Nachmittag die Köpfe bei einer Krisensitzung zusammen.

Die Statistiken waren zu alarmierend. Drei Niederlagen der Nationalmannschaft in Folge gab es zuletzt vor 38 Jahren unter Franz Beckenbauer. Von den vergangenen 17 Spielen wurden nur vier gewonnen. Seit dem WM-Desaster gab es nur einen Sieg in sechs Begegnungen.

Flick hatte zum Start in die EM-Saison durch die taktischen und personellen Veränderungen seine letzte Patrone abzufeuern versucht, sie blieb im Lauf stecken. Offensiv einfallslos, defensiv hilflos - nur dank Torhüter Marc-Andre ter Stegen fiel die höchste Heimniederlage seit 2001 (1:5 gegen England unter Teamchef Völler) nicht noch dramatischer aus.

Flicks Umstellungen, der neue Kapitän Ilkay Gündogan, die Degradierung von Joshua Kimmich auf die rechte Abwehrseite – damit hatte der Bundestrainer ein Lebenszeichen senden wollen. Seht her, ich kämpfe, ich bin modern. Wir haben jetzt eine Spielphilosophie! Es ging absolut krachend schief. So auch die Idee, den total überforderten Nico Schlotterbeck hinten links in einen aussichtslosen Kampf gegen viel schnellere und wendigere Japaner zu schicken.

Die Fans in der Volkswagen-Arena pfiffen lautstark, der Rauswurf des Bundestrainers wurde gefordert. Die Spieler stellten sich noch hinter ihren Chef. „Wir sind gerade nicht gut genug. Die Mannschaft muss sich hinterfragen“, gab Gündogan zu Protokoll.

Thomas Müller sagte der Fußball-Nation, was überfällig war. Deutschland gehöre eben nur noch in der Selbstwahrnehmung „zu den besten 10 oder 15 der Welt“, vielleicht in der Theorie, „aber nicht in der Realität“.

Jetzt soll es Flicks Nachfolger richten.

Wer könnte Flick beerben?



In der Öffentlichkeit ist derweil längst eine Debatte um die Nachfolge entbrannt. Doch wer könnte neuer Bundestrainer werden? Anbei ein Überblick über mögliche und unwahrscheinliche Kandidaten:

JULIAN NAGELSMANN (36, noch beim FC Bayern unter Vertrag): Nagelsmann wurde im März bei Bayern München beurlaubt. Sein Vertrag läuft dort allerdings noch bis 2026. Der DFB müsste sich mit dem deutschen Rekordmeister einigen. Doch es ist fraglich, ob sich Nagelsmann jetzt schon für eine Nationalmannschaft entscheidet. „Ich glaube, dass er mit 36 Jahren noch nicht so weit ist, dass er lieber die tägliche Arbeit mit einer Mannschaft will und braucht“, sagte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Zuletzt wurde Nagelsmann mit Borussia Dortmund in Verbindung gebracht.

JÜRGEN KLOPP (56, FC Liverpool): Er wäre der Wunschtrainer der Fans und wohl auch der Verantwortlichen. „Er ist der Einzige, den ich sehe, der da noch mal was rausreißen kann“, sagte 2014er-Weltmeister Lukas Podolski. Doch es ist unrealistisch, dass Klopp beim FC Liverpool hinschmeißen wird. Sein Vertrag bei den Reds läuft noch bis 2026. Nach einer total verkorksten Saison im Vorjahr sind die Reds gut in die Premier League gestartet.

OLIVER GLASNER (49, vereinslos): Als Hansi Flick beim FC Bayern aufhörte, erfuhr Oliver Glasner das angeblich sehr früh. Am Vorabend des Duells beim VfL Wolfsburg soll der heutige Bundestrainer seinem Kollegen erzählt haben, dass er am nächsten Tag seinen Abschied verkünden wird. Der Österreicher Glasner gilt als exzellenter Fachmann, er gewann mit Eintracht Frankfurt die Europa League und war vorher mit Wolfsburg erfolgreich. Kuriosum: Wenn Deutschland im November in Wien gegen Österreich spielt, könnte Deutschland einen österreichischen Trainer haben und umgekehrt (Ralf Rangnick).

RUDI VÖLLER (63, DFB-Sportdirektor): Der Weltmeister von 1990 sprang schon nach der EM-Blamage 2000 ein und führte die DFB-Auswahl zwei Jahre später als Teamchef ins WM-Finale gegen Brasilien (0:2). Nach dem WM-Debakel im vergangenen Winter wurde der Fan-Liebling dann Hansi Flick als Sportdirektor zur Seite gestellt - ohne Erfolg. Bisher verteidigte Völler den Bundestrainer vehement. Doch nach der Blamage gegen Japan vermied er ein Treuebekenntnis.

STEFAN KUNTZ (60, Nationaltrainer Türkei): Der Europameister von 1996 steht angeblich als Nationaltrainer in der Türkei vor der Entlassung, das jüngste 1:1 gegen Armenien könnte für ihn ein schwaches Ergebnis zu viel gewesen sein. Kuntz ist ein Sympathieträger mit der verbandsinternen Kenntnis, die klassischerweise Stallgeruch genannt wird. Nicht nur durch seine 25 Länderspiele: Er führte die U21 als Trainer zu zwei EM-Titeln und bewies dabei ein herausragendes Händchen für die besten deutschen Talente. Er verantwortete 2021 auch das früh ausgeschiedene deutsche Olympiateam in Tokio.