Er könnte es bis ganz nach oben schaffen, das nötige Talent wird ihm von allen Seiten bestätigt: Doch Samuel Schrag ist „zu alt“ – mit 21. Ist er Opfer zu starrer, strenger und unverständlicher DFB-Regularien? „Es ist schon ein wenig bitter“, betont der aktive Fußballer des TSV Bad Reichenhall, der sich erst im Januar dieses Jahres zusammen mit Teamkollege und Kapitän Daniel Haas dazu entschloss, Schiedsrichter zu werden. Als Senkrechtstarter schaffte er es innerhalb kurzer Zeit bis in die Kreisliga, wofür normalerweise bis zu drei Spielzeiten nötig sind.
Schrags rasanter Aufstieg als Referee ist eine Mischung aus „Not am Mann“ – der Bayerische Fußball-Verband (BFV) ist um jeden froh, der sich dazu entschließt, regionale Spiele zu leiten – sowie außergewöhnlicher Qualität. Sehr gute Bewertungen haben den gebürtigen Göttinger in kurzer Zeit weit gebracht, ein Ende dieses steilen Weges ist vorerst nicht abzusehen. Nach ganz oben kann es Schrag allerdings nicht mehr schaffen: „Da hätte ich wohl mit 13 oder 14, wie es mittlerweile viele machen, anfangen müssen“, sagt er durchaus ein wenig traurig.
Schrag begann mit sechs Jahren mit dem Kicken. Bei Teamkollege Haas war’s etwas eher, mit vier oder fünf – klar, bei diesem Vater: Hans Haas, Jahrzehnte Spieler, Kapitän, Trainer, Sportlicher Leiter und Physio in der Kurstadt. Der Gedanke, Schiedsrichter zu werden, reifte bereits, als Haas seinen heutigen Teamkollegen Schrag in der A-Jugend trainierte. Der BFV bot im Januar dieses Jahres einen Online-Kurs mit fünf Terminen an. Die beiden meldeten sich kurzentschlossen an. „Die Teilnahme war einfach, von daheim aus, am Laptop, man musste nicht mal immer da sein, konnte sich das hinterher in Ruhe anschauen“, erzählt Haas. Die abschließende Prüfung war für das Duo ebenfalls kein Problem, mit Jugendpartien ging’s für das TSV-Schiedsrichterduo los. Im Grunde „verrückt“: Schrags Körpergröße von exakt zwei Metern, Haas ist 1,90, sorgt für erhöhten Respekt auf dem Platz: „Das ist schon zu spüren“, gibt Schrag zu. Genauso wie die Tatsache, dass „mein rascher Aufstieg als Hauptschiri bis in die Kreisliga nicht jedem gefällt“.
Ziel: „Mit eigenem Team als Hauptreferee in der Kreisliga pfeifen“
Wertvolle Erfahrungen holte sich Schrag in der Vorsaison, als er – weil fast ein ganzes Jahr verletzt – etliche C-Klassen-Spiele der Reichenhaller „Zweiten“ leitete. „Das hat schon sehr geholfen.“ In der untersten Amateurliga werden bekanntlich keine Referees seitens des Verbandes entsandt, der jeweilige Heimverein muss sich darum kümmern. Haas leitet nun Begegnungen in der A-Klasse und befand sich in der Bezirksliga bereits an der Linie. Sein Ziel: „Mit eigenem Team als Hauptreferee in der Kreisliga pfeifen.“ Der Verband ist um jeden Mann froh: Vor einem Fußball-Wochenende im April wusste Ruperti-Gruppen-Obmann Johann Wichtlhuber nicht, wie er alle Spiele mit Schiedsrichtern besetzen soll. Ein glücklicher Umstand kam letztlich zu Hilfe: Extrem schlechtes Wetter die ganze Woche davor führte zu etlichen Absagen, alle Partien innerhalb der Ruperti-Gruppe konnten letztlich mit Referees bestückt werden.
Haas und Schrag sind für jeden Tipp dankbar. Dass sie als Aktive noch stark ins Spielgeschehen eingebunden sind, hilft ihnen enorm: „Wir kennen viele Kollegen. Ich sehe mich in vielen Situationen oft selbst“, sagt Haas. Verstehen die beiden möglicherweise aufkommende Kritik, dass sie unter anderem in jener Liga pfeifen, in der sie selbst spielen – schließlich kann das bei „unguten Situationen“ durchaus Diskussionen auslösen. Man nehme nur mal an, Schrag zeigt einem Spieler, dessen Mannschaft eine Woche später gegen „seine“ Reichenhaller und somit ihn selbst antritt, umstritten Rot: „Den Ansatz der Kritik verstehen wir, der Diskussionsbedarf ist berechtigt. Eigentlich ist es uns egal, wer auf dem Platz steht. Sobald angepfiffen ist, versuchen wir, unsere Leistung zu bringen, zu 100 Prozent unparteiisch“, sagt Schrag. Dass derartige Ansetzungen zu Konflikten führen können, ist klar: „Auf der anderen Seite hilft es mir als Referee enorm, wenn ich gegen ein Team gespielt habe und nächste Woche eine Partie mit dieser Mannschaft leite – weil ich genau weiß, wie sie spielen und auftreten. Freilich wäre es besser, in anderen Ligen eingesetzt zu werden.“
„Wenn ich etwas entschieden habe, muss ich dazu stehen“
Wie nehmen die beiden Neu-Schiris das oft pausenlose Geschrei von außen wahr? „Man hört es, doch ich bin da relativ locker. Ich rede viel mit den Spielern, will die Dinge verbal auf dem Platz lösen. Doch wenn ich etwas entschieden habe, muss ich dazu stehen. Natürlich wird es immer Fehlentscheidungen geben, das gehört einfach dazu – vor allem ohne Linienrichter oder Videobeweis. Solange man hinterher miteinander reden und sich die Hand geben kann, ist alles in Ordnung“, sagt Schrag. „Als Schiri siehst du ein Spiel ja auch ganz anders“, ergänzt Haas. „Ich habe jetzt viel mehr Verständnis, vor allem für die Linienrichter. Deren Arbeit ist unfassbar schwer, weil sie immer zwei Blickrichtungen haben müssen.“
Zu ihren Zielen als Unparteiische sagen die Kicker: „Weiter Erfahrungen sammeln und irgendwann mit einem Gespann Hauptschiedsrichter in der Kreisliga sein“, so Haas. Dort ist Schrag – wie als Spieler – schon angekommen: „Weiter etablieren und aufsteigen.“ Der Einsatz als Bezirksliga-Referee würde möglicherweise ein frühzeitiges Ende seiner aktiven Karriere bedeuten. „Diese Chance würde ich auf jeden Fall nutzen, bei aller Liebe zu meinem TSV Bad Reichenhall.“ Kurios: Schrag reist stets mit einem Kasten Buntstifte zu seinen Schiedsrichter-Aufgaben. „Zur besseren Unterscheidung markiere ich mir die Farben der Trikots der Mannschaften auf meiner Schiedsrichterkarte“, lacht er. Übrigens: Mit Severin Leitner, Sohn des früheren Torwarts Georg Leitner, hat der TSV Bad Reichenhall einen weiteren Referee in der Kreisliga.
− bit
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