ERC-Konkurrent Ice Tigers
Nürnbergs Verteidiger Constantin Braun über sein neues Team und seine Alkoholsucht

29.08.2023 | Stand 12.09.2023, 11:47 Uhr |

4:1-Sieg gegen den HC Pustertal beim Vinschgau-Cup: Der Neu-Nürnberger Constantin Braun bejubelt am Sonntag den Treffer zum 3:1 mit Torschütze Charlie Gerard. Foto: Traub

Er war Nationalspieler und gewann mit den Eisbären Berlin fünf Meisterschaften – doch hinter der Fassade des Eishockey-Stars kämpfte Constantin Braun mit Depressionen und Alkoholsucht. Seit 2018 ist der 35-Jährige trocken, in Bietigheim feierte er ein starkes Comeback in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Nun soll er bei den Nürnberg Ice Tigers vorangehen.

Herr Braun, welche Eindrücke haben Sie in den ersten Wochen von Ihrem neuen Team und den Kollegen gewonnen?


Constantin Braun: Das sind gute Jungs, es herrscht eine sehr gute Chemie. Ich habe noch nie ein Team gehabt, das von Anfang an so harmoniert hat, wo es direkt so geklickt hat. Spielerisch haben wir genug Talent, um jeden ärgern zu können.

Die Ice Tigers haben mit Patrick Reimer und Oliver Mebus langjährige Identifikationsfiguren verloren. Muss sich da erst eine neue Hierarchie finden?

Braun: Bei uns bestand eine Hierarchie. Wir haben einen Marcus Weber, einen Ryan Stoa, einen Dane Fox, einen Daniel Schmölz, einen Niklas Treutle, die alle schon länger da sind. Die Hierarchie war schon da, man musste nur so ein bisschen seinen Platz finden. Für mich war das mit meinem Alter und meiner Vita nicht so schwer, meinen Platz zu finden.

Constantin Braun liegt die Führungsrolle

Von Ihnen werden Führungsqualitäten erwartet. Liegt das in Ihrem Naturell?

Braun: Ich habe mich nie darum gekloppt, Führungspositionen einzunehmen. Das kam immer irgendwie zu mir, weil ich das automatisch angenommen habe. Damit habe ich keine Probleme. Wenn man als erfahrener Spieler in ein Team wie Nürnberg kommt, in dem viele junge Spieler sind, ist es normal, eine Führungsrolle zu übernehmen. Aber ich renne jetzt nicht durch die Kabine und sage, wir müssen das so oder so machen.

Sportdirektor Stefan Ustorf und Trainer Tom Rowe haben aus den Möglichkeiten in Nürnberg zuletzt viel herausgeholt und zweimal die Pre-Play-offs erreicht. Wie lautet die Zielsetzung für die kommende Saison?

Braun: Wir haben intern über kein konkretes Ziel gesprochen, aber wir sind uns einig, dass wir zumindest das erreichen sollten, was wir letztes Jahr erreicht haben. Wir werden am 15. September aufs Eis gehen, um zu gewinnen. Und so gehen wir auch jedes andere Spiel an.

Auffällig sind Ihre vielen Tattoos. Wer hat mehr – Sie oder Ice-Tigers-Betreuer Ralf Neiß?

Braun: Ich würde sagen, dass ich mehr habe.

Constantin Braun fällt durch Leistung auf – und Tattoos

Wie weit sind Sie mit Ihrem Ziel, den kompletten Körper zutätowieren zu lassen?

Braun: Ich bin langsamer geworden mit neuen Tattoos, weil die Stellen immer unangenehmer werden. Irgendwann tut’s richtig weh, an den Rippen zum Beispiel. Aber ich bin noch nicht fertig, da kommt immer wieder mal was dazu – je nachdem, was gerade passiert. Bis auf ein, zwei Stück haben alle Tattoos eine Bedeutung. Sie stehen für meine Großeltern, einen Lebensabschnitt, für eine Philosophie, die ich für mich vertrete.

Sie haben einen bösen und einen lustigen Clown auf dem linken Arm.

Braun: Ich habe einen bösen, lustigen, traurigen und den Joker. Man ist mal böse, mal lustig, mal traurig. Außerdem verdiene ich mein Geld mit Spielen, also bin ich auch ein Zocker (lacht). Manchmal ist man ein bisschen Psycho, deswegen auch die Augen (zeigt ein Tattoo zweier aufgerissener Augen, d. Red.). Wenn du keinen kleinen Knall hättest, würdest du dich nicht in einen 150-km/h-Puck reinstellen ohne Schutz an manchen Stellen.

Constantin Braun spricht über seine Alkoholsucht

Sie haben 2018 Ihre Alkoholabhängigkeit öffentlich gemacht und reden offen darüber, um vielleicht auch anderen Betroffenen Mut zu machen. Wie sind Sie in die Sucht reingerutscht?

Braun: Das war ein schleichender Prozess. Ich habe schon immer gerne mal einen getrunken. Aus dem Wochenende wurde dann auch Trinken unter der Woche, es ist halt einfach so passiert. Ich habe es leider nicht früh genug gemerkt.

War das Trinken auch Ihre Art, mit Druck umzugehen?

Braun: Nein. Mit dem Eishockey hatte das nichts zu tun, dass ich gesoffen habe. Das waren andere Beweggründe, die ich nicht so breitschlagen will. Durch das Eishockey hatte ich immer die Kontrolle, dass ich freitags und sonntags da sein musste. Vor den Spielen habe ich mich nie weggeschossen.

Ist man als Profisportler durch den Alkohol nicht irgendwann weniger leistungsfähig?

Braun: Ich kannte es ja nicht anders. Ich habe erst angefangen, nüchtern Eishockey zu spielen, als ich 30 war.

Wie haben Sie die Kurve gekriegt?

Braun: Der ausschlaggebende Punkt war, dass meine Frau mir sagte, dass ich nicht mehr der Mensch bin, in den sie sich mal verliebt hat. Da habe ich Uli Borowka kontaktiert (Ex-Profifußballer, der ebenfalls seine Alkoholsucht öffentlich gemacht hat, d. Red.). Ich wusste, dass er ein Buch geschrieben und einen Suchthilfeverein hat. Für mich war es einfacher, mit jemandem zu sprechen, der auch das Geschäft kennt, in dem ich mich bewege. Ein Therapeut weiß vielleicht nicht, wie man sich als Profisportler fühlt. Dass man mittags allein zu Hause sitzt, trinkt und nicht in die Kneipe geht, weil man vielleicht entdeckt wird.

Bekommen Sie heute noch Nachrichten von Leuten, denen Ihre Geschichte geholfen hat?

Braun: Ganz viele Leute kommen nach dem Spiel auf mich zu und sagen: „Toll, dass du das öffentlich gemacht hast, ich habe in der Familie auch einen.“ Es ist aber viel Zeit vergangen seit 2018, meine Geschichte wird vergessen. Was okay ist.

Ist es schwer, trocken zu bleiben in einem Umfeld, in dem Siege begossen werden, in dem auf langen Busrückfahrten das Bier dazugehört?

Braun: Am Anfang war’s schwer, mittlerweile habe ich so viel Stabilität drin, dass das kein Problem mehr ist. Ich habe mit meiner Mannschaft quasi immer 25 Therapeuten dabei, die auf mich achten. Da würde keiner auf die Idee kommen, mir ein Bier anzubieten. Und da ist auch niemand sauer, wenn ich mal nach einer halben Stunde aufstehe und sage: Das funktioniert für mich heute nicht.

Statistisch gesehen dürfte es den einen oder anderen Profisportler mehr mit einem Alkoholproblem geben. Würden Sie so jemanden in Ihrer Mannschaft erkennen?

Braun: Wahrscheinlich schon. Aber jeder andere auch. Die Jungs in meinem Team in Berlin wussten lange vor mir, dass ich ein Alkoholproblem habe. Franky Hördler hat zur mir gesagt: „Brauni, wenn du weiter so säufst, kommst du nicht mehr zu mir nach Hause.“ Der hat mich einfach nicht mehr eingeladen, weil er nicht mit ansehen konnte, wie ich mich hinrichte. Aber wenn der Alkoholiker selber nicht merkt, dass er einer ist, dann bringt das alles nichts.

Brauns starkes Comeback mit Bietigheim

Sie haben in den vergangenen beiden Jahren bei den Bietigheim Steelers ein starkes Comeback gefeiert. Als Kapitän, mit Punktebestwerten und extrem viel Eiszeit pro Spiel. Sind Sie froh, wenn das in Nürnberg wieder etwas weniger wird?

Braun: Auf jeden Fall. Gerade in meinem gehobenen Eishockey-Alter bin ich froh, keine 25 Minuten mehr spielen zu müssen (lacht). Aber es war schön zu sehen, dass das überhaupt noch ging. Es wusste ja keiner genau, was ich abliefern kann.

Sie stehen bei 756 DEL-Spielen. Ist die 1000 noch ein Ziel?

Braun: Seit ich aus der Reha zurück bin, habe ich einen anderen Blick aufs Eishockey. Ich bin dankbar, überhaupt noch spielen zu können. Es hätte ja auch sein können, dass die Vereine die Finger von mir lassen. Ich genieße einfach jeden Tag und spiele diese Saison. Wenn alles gut läuft, auch noch eine zweite. Und wenn der Körper mitmacht und der „Usti“ sagt: „Brauni, das hat mir gefallen, was du machst“ – dann spiele ich auch noch eine dritte Saison.

ZUR PERSON
Constantin Braun (35) wurde wie sein jüngerer Bruder Laurin (ehemals ERC Ingolstadt) im südhessischen Lampertheim geboren. Mit den Eisbären Berlin wurde der 1,90 Meter große Verteidiger fünfmal Deutscher Meister (2008, 2009, 2011 bis 2013), gewann die European Trophy (2011) und wurde mit der Nationalmannschaft Vierter bei der Heim-WM 2010. Außer für die Eisbären spielte „Tine“ Braun in der DEL für Krefeld, Bietigheim und jetzt Nürnberg.