Taktiktrends und ein Wunsch nach mutigeren Bundesligisten: Markus Weinzierl im Interview

28.08.2018 | Stand 19.09.2023, 0:36 Uhr

Vor 10000 Fans gab Markus Weinzierl am 11. September 1992 als 17-Jähriger sein Bayernliga-Debüt bei den Herren des 1.FC Passau – im Grünwalder Stadion gegen den TSV 1860 München (0:4), als Mittelfeldspieler. Beim Besuch in Passau betrachtet Weinzierl die dazugehörige Ausgabe der Passauer Neuen Presse. Die Überschrift damals: "Zwei Punkte verloren – aber: Viele Sympathien verdient". −Fotos: Andreas Lakota

Den SSV Jahn Regensburg mit einem Mini-Budget in die 2. Bundesliga geführt, dem FC Augsburg aus derselben Ausgangslage die erstmalige Teilnahme an der Europa League beschert: Acht Jahre lang war Markus Weinzierl nur Erfolg gewohnt. Dann kam der FC Schalke 04: Am 9. Juni 2017 wurde Weinzierl erstmals entlassen, seitdem ist ein Jahr vergangen. Warum dieses vergangene Jahr das wichtigste seiner Karriere gewesen sein könnte, erklärt der 43-Jährige bei seinem Besuch in Passau im Interview mit der Heimatzeitung. Weinzierl spricht auch darüber, weshalb sich die Bundesliga keinesfalls am WM-Fußball orientieren sollte und wie man dem FC Bayern Paroli bieten kann.

Herr Weinzierl, die Bundesliga beginnt. Wann sehen wir Sie denn wieder an der Linie?
Markus Weinzierl: Wenn ich der Überzeugung bin, dass es das Richtige ist. Aber das ist eine spannende Frage, es interessiert mich ja auch (lacht).

Aber nach der Vertragsauflösung auf Schalke sind Sie nun bereit, oder?
Weinzierl: Klar. Deshalb war es mir jetzt wichtig, das Thema Schalke abzuschließen. Jetzt bin ich frei und handlungsfähig.

Was nehmen Sie mit aus dieser Zeit? Es war ja Ihre erste Entlassung als Trainer, während Sie in Augsburg nur Erfolg hatten.
Weinzierl: Insgesamt war das Jahr sehr lehrreich, emotional und positiv; auch wenn es im Endergebnis fünf, sechs Punkte zu wenig waren, haben mich die vielen Erfahrungen bei einem so großen Verein weitergebracht. Davon kann ich in Zukunft profitieren.

Den Schritt weg vom FC Augsburg bereuen Sie also nicht?
Weinzierl: Als Trainer musst du in diesem schnelllebigen Geschäft den richtigen Moment nutzen.Ich hatte vier super Jahre beim FCA mit einer tollen Entwicklung, aber es hätte auch anders ausgehen können und alles Positive wäre vergessen gewesen.

Zu lange darf man in diesem Geschäft aber nicht weg sein?
Weinzierl: Nein, das nicht. Aber dass ich das Nächstbeste nehmen muss? So ticke ich nicht.

Kann ja auch nach hinten losgehen.

Weinzierl: So ist es.

Druck verspüren Sie nicht?
Weinzierl: Überhaupt nicht. Wenn ich zurückschaue, waren die letzten zehn Jahre wunderbar. Ich hatte in Regensburg meine erste Stelle als Cheftrainer und wusste gar nicht, wie lange das läuft. Insgesamt war der Weg sensationell, der Aufstieg mit Regensburg, die Europa League mit Augsburg und die Erlebnisse auf Schalke. Das alles gibt mir ein gutes Gefühl. Und es gibt sicher interessante Aufgaben, die mir wieder Spaß machen würden.

Ist auch ein Verein aus der 2. Bundesliga denkbar?
Weinzierl: Wenn wir im ersten Jahr gleich aufsteigen ... (lacht). Nein, klar, da gibt es auch einige sehr gute Vereine.

Und die Premier League?
Weinzierl: Das ist aktuell die Liga Nummer 1, die mit den meisten finanziellen Möglichkeiten. Klar ist das ein Thema. Aber der erste Gedanke ist schon Deutschland.

Muss man denn Angst haben um den internationalen Stellenwert der Bundesliga?
Weinzierl: Aktuell ist die Bundesliga mit England finanziell nicht konkurrenzfähig, weil die Vereine das x-fache an Budget zur Verfügung haben. Es kann auf Dauer aber nicht sein, dass wir in der Europa League oder auch Champions League, außer Bayern München, hinterherhinken.

In dem Zusammenhang wird die Abschaffung der 50+1-Regel gefordert, um den Markt für Investoren zu öffnen.
Weinzierl: Das ist ein Weg, aber ob das der richtige ist? Ich denke, dass wir aufpassen müssen.

... dass die Bundesliga nicht abgehängt wird?
Weinzierl: Ja. Gute Spieler werden kaum noch innerhalb der Bundesliga transferiert, sondern gehen ins Ausland. Das ist sicherlich keine gute Entwicklung.

Wie bei den Trainern.
Weinzierl: Jürgen Klopp: weg. Thomas Tuchel: weg. Pep Guardiola: weg. Nur Lucien Favre ist jetzt wieder zurück, aber das sind vier Große von 18, die internationales Format haben und die Bundesliga verlassen haben.

Bei Pep Guardiola durften Sie ja hospitieren.
Weinzierl: Wir kannten uns noch aus unserer gemeinsamen Zeit in der Bundesliga. Jeder möchte gern bei einem Verein wie Manchester City zuschauen und deshalb war es so besonders für mich, dass Pep Guardiola mir das ermöglicht hat. Er wusste wohl noch, dass wir mit Augsburg zweimal gegen ihn gewonnen haben (lacht). Ich war relativ nah dran und konnte mir so jede Kleinigkeit abschauen; auch von seiner Auffassung davon, wie man eine Mannschaft führt oder mit Menschen umgeht.

Wie bewerten Sie das vergangene Jahr? Sie sind viel gereist, haben viele Vereine besucht.
Weinzierl: Im Rückblick möchte ich über dieses Jahr einmal sagen, dass es eines der wichtigsten war. Ich habe die Zeit mit meiner Familie genossen und das Jahr vor allem genutzt, um viele Gespräche zu führen und mich zu hinterfragen: Was haben wir gemacht? Was haben andere gemacht?

Was zuvor auf der Strecke blieb.
Weinzierl: Ich war neun Jahre lang Trainer. Da ist keine Zeit, nach links oder rechts zu schauen. Ich war deshalb zum Beispiel in Leverkusen, in Mönchengladbach, in Watford, in Bremen. In England habe ich viele Spiele gesehen. Und bei allem findet man Kleinigkeiten, von denen man sagt: Das gefällt mir, oder das gefällt mir nicht. Und für mich persönlich war es auch sehr wichtig.

Inwiefern?
Weinzierl: Als Trainer brauchst Du dieses Feuer. Die vier Jahre in Augsburg mit der Doppelbelastung im letzten Jahr waren sehr intensiv, das eine auf Schalke auch. Vielleicht war es auch an der Zeit – auch wenn ich es mir mit Sicherheit nicht so gewünscht habe.

Gibt es derzeit eine Mannschaft, die Fußball spielt, wie sie ihn sich vorstellen?
Weinzierl: Ja, es gibt mehrere gute Ansätze, zum Beispiel Liverpool, Neapel unter Sarri oder ManCity. Das sind für mich schon Mannschaften, die sehr attraktiv spielen und die eine klare Handschrift eines guten Trainers tragen.

Da ist jetzt keine deutsche Mannschaft dabei.
Weinzierl: Bayern München ist natürlich auch gut. Die Frage ist, woran man sich orientieren will: an der Champions League oder an der WM in Russland.

Die Frage heißt also offensiv oder destruktiv?
Weinzierl: Ganz offensichtlich gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, und gut zu verteidigen wie bei der WM ist sicher der einfachere Weg. Es sollte schon das Ziel der Bundesliga sein, attraktiv zu spielen.

Was derzeit nicht der Fall ist?
Weinzierl: Viele Mannschaften haben im letzten Jahr viel, vielleicht sogar zu viel Wert auf die Defensive gelegt. Dafür gibt es natürlich auch Gründe, denn das wichtigste ist seine Ziele zu erreichen. Man sollte aber auch an die Attraktivität denken und an den internationalen Stellenwert der Bundesliga; Die Bayern würde ich von dieser Kritik ausnehmen, aber dahinter ist der Abstand schon ziemlich groß. Mannschaften wie Dortmund oder Leipzig, die mal 70 oder 80 Punkte gemacht haben, sind gefordert, diese Lücke zu schließen.

Sie plädieren also für mehr Mut.
Weinzierl: Es sollte meiner Meinung nach das Ziel sein, offensiv erfolgreich zu sein. Ich als Trainer würde mich daher eher an der Champions League und deren Top-Teams orientieren, nicht an der WM oder an Kroatien − auch, wenn die mit ihrem Weg letztlich Erfolg hatten.

Ist gutes Verteidigen denn so viel einfacher?
Weinzierl: Ja, das haben viele kleinere Nationen bei der WM gezeigt. Der Sicherheitsgedanke wird aktuell sehr groß geschrieben. Defensiv zu denken ist zielführend, wenn man an kurzfristigen Erfolg denkt.

Nach dem 5:0 der Bayern im Supercup gegen Eintracht Frankfurt erklären viele die Bundesliga schon für entschieden.
Weinzierl: Fakt ist, dass Bayern die besten Spieler und einen sehr guten Trainer hat, von daher sind sie Favorit. Dahinter wird es spannend. Auf der anderen Seite hat man in der Zeit unter Carlo Ancelotti gesehen, wie schnell selbst so eine Mannschaft Probleme bekommen kann.

Mit dem FC Augsburg haben Sie zweimal mit 1:0 gegen die Bayern gewonnen. Wie schlägt man den FCB denn?
Weinzierl: Unser Erfolgsgeheimnis war, taktisch clever und in den entscheidenden Räumen Mann-orientiert zu agieren. Wir waren präsent in den Zweikämpfen. Wir haben es sehr mutig angelegt und weit vorn verteidigt, ohne natürlich hinten ins offene Messer zu rennen. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass die Bayern da jeweils schon Deutscher Meister waren, da haben sie dann schneller die Lust verloren.

Trotzdem verliert Bayern München ungern zuhause.
Weinzierl: Bestimmt. Das ist uns mit sehr viel Mut gelungen, das ist schon ein Schlüssel zum Erfolg. Und Mut hab’ ich weniger, wenn ich mit zehn Mann vorm Sechzehner steh’.

Dafür braucht man aber auch die richtigen Spieler.
Weinzierl: Entscheidend ist, dass man die Spieler hinter einen Plan bringt und den gemeinsam verfolgt. Ich muss die Qualitäten meiner Spieler richtig einsetzen.

Ist die Mannschaftsführung also das A und O?
Weinzierl: Für mich ist das der Schlüssel zum Erfolg, ja.

Hatten Sie auf Schalke vielleicht nicht die Spieler dazu; die bereit waren, jeden Meter für den anderen zu machen?
Weinzierl: Das ist eine Zeitfrage, das war in Augsburg auch nicht von Anfang an so. Aber Zeit ist in unserem Geschäft ein schwieriger Faktor. Du musst als Trainer die Spieler finden, die zu deinem System passen und dementsprechend Veränderungen vornehmen.

Ihr neuer Berater Jürgen Schwab ist im Raum Stuttgart zuhause, mit guten Kontakten zu Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic. Wie kam das?
Weinzierl: Jürgen Schwab war schon damals mein Spielerberater, er hat den Transfer von Bayern II zu den Stuttgarter Kickers geregelt. Jürgen Schwab war schon damals mein Spielerberater, er hat den Transfer von Bayern II zu den Stuttgarter Kickers geregelt. Seitdem kennen wir uns. Dadurch, dass mein früherer Berater Roman Grill und ich unsere Zusammenarbeit beendet haben, sind wir ins Gespräch gekommen und ich weiß, dass er zu vielen Vereinen und Vereinsvorständen beste Kontakte pflegt.

Sie selbst waren ein junger Profifußballer, haben 44-mal in der 2. Bundesliga gespielt. Heute heißt es, der Nachwuchs sei glattgeschliffen. Mehmet Scholl sagte: Taktik können sie, Fußballspielen nicht. Hat der deutsche Fußball ein Problem?
Weinzierl: Was Mehmet gesagt hat, ist überspitzt und in der Formulierung nicht richtig. Aber es ist schon ein Punkt, dass die Nachwuchsleistungszentren viel Gleiches hervorbringen. Charakterstarke Typen werden nicht mehr so gefördert oder manchmal vielleicht verhindert: Wer aneckt, wird kritisiert. Gerade im Rückblick auf die WM sollten wir hier umdenken.

Warum sind solche Spieler so wichtig?
Weinzierl: Es sind nicht die elf besten Techniker, die ein Spiel gewinnen. Jede gute Mannschaft hat eine Struktur und Führungsspieler, die die Jüngeren miterziehen.

Ein Trainer wünscht sich also Spieler mit Ecken und Kanten?
Weinzierl: Für eine erfolgreiche Mannschaft brauchst Du eine Hierarchie, denke ich. Eine Achse mit Typen, die im Sinne des Trainers Dinge umsetzen oder verändern. Das ist ganz wichtig.

Nico Kovac war so einer. Der trainiert jetzt den FC Bayern. Kam Uli Hoeneß bislang nie auf die Idee, mal einen bayerischen Trainer zu installieren – Sie?
Weinzierl: Als Trainer bei Bayern München brauchst Du Titel. Nico kommt jetzt als Pokalsieger dahin, eine super Geschichte.

Ganz überraschend war das nicht, die Entwicklung in der Bundesliga ging zuletzt stark in Richtung junger Trainer.

Weinzierl: Ich glaube, dass es nicht der einzig richtige Weg ist, nur U15- oder U17-Trainer hochzuziehen. Es war ganz gut, dass Jupp Heynckes wieder so erfolgreich bei den Bayern zurückgekehrt ist. Ein Trainer lebt von dem, was er erfahren und erreicht hat. Einer wie Heynckes kann vor einer Mannschaft ganz anders sprechen als ein junger Trainer.

Also braucht die Bundesliga mehr erfahrene Trainer?

Weinzierl: Erfahrung ist in jedem Fall das höchste Gut eines Trainers. Alles, was du erlebt hast, kannst Du beim zweiten Mal besser machen. Insofern sind junge Trainer sicherlich nicht immer besser als ältere.

Das Interview führten Andreas Lakota und Sebastian Lippert. Es erschien am 24. August im Sportteil Ihrer Heimatzeitung.