DFB-Chef-Scout Thomas Schneider: Ich bin Teil des Teams

05.09.2020 | Stand 19.09.2023, 1:45 Uhr

Stets im engen, regelmäßigen Austausch: Seit der WM 2018 ist Thomas Schneider nicht mehr als Co-Trainer von Bundestrainer Joachim Löw tätig, als Chef-Scout sprechen die beiden jedoch weiter über die jeweiligen Gegner der Nationalmannschaft. −Foto: imago images

Er lebt in Straubing – aber ist in der (Fußball-)Welt zu Hause: Thomas Schneider (47) unterstützt nach der desaströsen WM 2018 Bundestrainer Joachim Löw als Chef-Scout. Ein Gespräch über Talente, Titel und Tabus.

Wie geht es Ihnen?
Thomas Schneider: Danke, mir geht es sehr gut. Es herrscht eine große Vorfreude nach einer so langen Länderspiel-Pause. Auch wir im Team haben uns teilweise sehr lange nicht gesehen. In der aktuellen Zeit ist man für jedes Stück Normalität dankbar.

Und wie steht es um Ihre Gesundheit?
Schneider: Auch gut. Meine Familie ist bisher vom Coronavirus verschont geblieben und gesund. Wir hoffen, dass es so bleibt. Das wünscht man allen Menschen. Ich habe im Bekannten- und Freundeskreis von dem einen oder anderen schweren Fall gehört. Ich denke, man tut gut daran, Corona sehr ernst zu nehmen.

Welche Folgen hat Corona für Ihr privates Leben?
Schneider: Ich glaube, da unterscheiden wir uns als Familie nicht von 99 Prozent aller anderen deutschen Familien. Wir haben nach dem Lockdown die Projekte ,Homeschooling‘ und ‚Homeoffice‘ kennengelernt. Man muss das Beste aus der Situation machen.

Wie kann man sich Ihr Leben denn so vorstellen als Scout beim DFB, wie sieht ein "normaler" Tag bei Thomas Schneider aus?
Schneider: Da muss man natürlich differenzieren – zwischen der aktuellen Situation und der Zeit vor Corona. Grundsätzlich bin ich mit meinem Team für die Gegner-Analyse der Nationalmannschaft verantwortlich. Wir bereiten den jeweiligen nächsten Gegner vor und bieten verschiedene Optionen an, wie man gegen ihn agieren kann. Der zweite Arbeitsbereich ist die Beobachtung aktueller und potenzieller Nationalspieler in ihren Mannschaften, in ihren Ligen und den entsprechenden Wettbewerben. Da geht es darum, das Trainerteam mit Einschätzungen der Leistungen und Potenziale unserer Spieler zu unterstützen. Dadurch stehen normalerweise viele Reisen in meinem Terminkalender, denn ich verfolge am Wochenende meistens ein bis zwei Spiele live im Stadion. Hinzu kommen Spiele, die ich mir am Wochenanfang im Video ansehe. Und ich bin natürlich häufig an den Spieltagen der Champions League oder der Europa League unterwegs.

Sie reisen also jetzt weniger?
Schneider: Natürlich, wir generieren viele Inhalte und Themen derzeit über Videos. Die Technik ist inzwischen so weit, dass wir alle Bundesliga-Spiele auch aus einer taktischen Kamera-Perspektive erhalten und so die Spieler gut bewerten können. Auch Videokonferenzen sind fester Teil meines Arbeitsalltags.

Wie viele Personen arbeiten denn in dieser Abteilung, deren Chef Sie sind?
Schneider: Das Kern-Team ist relativ klein und besteht aus Dr. Stephan Nopp und Christofer Clemens, mit denen ich die Gegner vorbereite. Hinzu kommt Urs Siegenthaler, der für das Thema Benchmarking verantwortlich ist. Er beobachtet die Entwicklungen im Welt-Fußball, Trends und Innovationen. Und mit dem ,Team Köln‘ – das sind etwa 60 Studenten, die an der Deutschen Sporthochschule Köln einen Zertifikatsstudiengang in "Spielanalyse" ablegen – haben wir eine Gruppe, die uns mit Daten und Informationen versorgt und uns die nötige Manpower gibt.

Kann man denn so viele Daten sortieren?
Schneider: Ich glaube, die große Kunst im Fußball ist es, aus den vielen Daten die wesentlichen herauszufiltern. Wir wollen wie ein Trichter fungieren und versuchen, aus ‚big data‘ ‚smart data‘ zu machen.

Letztlich dient dann alles dazu, dass Bundestrainer Joachim Löw einen tollen Plan bekommt. Aber wie ist denn die Kommunikation mit dem Bundestrainer seit der WM 2018?
Schneider: Wir haben einen sehr engen, regelmäßigen Austausch. Ich bin Teil des Teams – nicht mehr als Co-Trainer auf dem Platz, sondern in meiner neuen Aufgabe als Chef-Scout.

Anders gefragt: In Ihrem Verhältnis zu Joachim Löw hat sich nichts verändert?
Schneider: Überhaupt nichts. Wir analysieren und sprechen vor Länderspielen über die Gegner, diskutieren über deren Stärken und Schwächen sowie über Lösungen, wie wir den Gegner bespielen können.

Eine Konsequenz des schlechten Abschneidens bei der WM war, dass Sie nicht mehr Co-Trainer sind. Sehen Sie sich da als Bauernopfer?
Schneider: Ich denke, dass es nach einem Ausscheiden bei einer WM ganz normal ist, das Abschneiden kritisch zu hinterfragen. Anschließend haben wir entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um die Mannschaft für die Zukunft auszurichten. Wir haben die Inhalte sehr offen und ehrlich angesprochen und Entscheidungen getroffen. Eine davon war, dass wir das Team um die Mannschaft verkleinern wollten, um einen engeren Kontakt zwischen Staff und Spielern herzustellen. Darüber hinaus sollte die Analyse-Abteilung neu besetzt werden, da hat Urs Siegenthaler über 15 Jahre einen tollen Job gemacht und Jogi hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, diese wichtige Rolle zu übernehmen. Ich hatte vor der WM meinen Vertrag beim DFB verlängert, bin ein absoluter Teamplayer und stand und stehe in dieser Situation sowohl dem Team als auch dem Trainer loyal gegenüber, daher war es für mich relativ schnell klar, diese Rolle zu übernehmen.

Wo tanken Sie auf? An ihrem Lebensmittelpunkt Straubing?
Schneider: Wir wohnen jetzt schon lange in Niederbayern und diese Region ist für mich ein schöner Kontrastpunkt zum Berufsleben. Hier kann ich zur Ruhe kommen, wir fühlen uns als Familie sehr wohl. Straubing ist ein Ort, an dem wir angekommen sind. Ein Rückzugsort, an dem ich Kraft tanken kann.

Als Kind des Ruhrgebiets und groß geworden im Schwabenland, was gefällt Ihnen in Niederbayern?
Schneider: Ich schätze die Lebensqualität in Niederbayern, die Nähe zum Bayerischen Wald, die Freizeitmöglichkeiten, auch mal die Biergarten-Mentalität, das Gemütliche.

Gibt’s noch alte Kontakte zum FC Dingolfing oder geht’s in Straubing abends mal mit Markus Weinzierl auf ein Bier in die Altstadt?
Schneider: Natürlich gibt’s immer mal wieder Kontakte zu ehemaligen Spielern, mit Markus tausche ich mich regelmäßig aus. Ich wollte mir auch immer mal ein Spiel des FC Dingolfing anschauen, das habe ich mir für die nächste Zeit fest auf die Fahne geschrieben.

Spielt Ihr Sohn auch in einem Verein in Niederbayern?
Schneider: Er spielt Fußball in der U19 der JFG Kinsachkickers, Bezirksoberliga.

Hat Ihr Sohn Ihr Talent?
Schneider: Er ist auf alle Fälle sehr, sehr talentiert, kann Innenverteidiger oder Sechser spielen. Er stand jüngst ein paar Mal im Förderkader der Bayern-Auswahl, das ist bemerkenswert für einen BOL-Spieler. Da es auch in der Schule sehr gut läuft, passt die Balance. Und das macht uns stolz.

Könnte er denn mal höherklassig spielen – oder strebt er das nicht an?
Schneider: Er strebt das nicht an, er hat konkrete, andere Ideen. Er ist für sein Alter sehr reif.

Was braucht denn ein junger Mensch, um Buli-Profi zu werden?
Schneider: Da sind mehrere Faktoren wichtig, Talent, Mentalität… Disziplin, Liebe und Hingabe zum Sport, die Fähigkeit zur Selbstreflektion. Talent ist aber die Basis, die Eintrittskarte. Ich habe im Jugendbereich in der U17 beim VfB Stuttgart mit einigen Spielern gearbeitet, die den Schritt vom Jugendspieler zum Top-Profi geschafft haben wie Timo Werner, Josua Kimmich oder Timo Baumgartl. Das waren Spieler, die damals schon sehr fokussiert und diszipliniert waren .

Einen Niederbayern haben Sie zum Bundesliga-Profi gemacht: den Deggendorfer Robin Yalcin.
Schneider: Ich hatte Robin nicht als Jugendspieler, sondern nur später in der ersten Mannschaft – ein wahnsinnig talentierter Spieler, der in Stuttgart leider auch durch Verletzungen zurückgeworfen wurde.

Verfolgen Sie seine Karriere?
Schneider: Ich weiß, dass er mittlerweile in der Türkei spielt, verfolge ihn aber nicht ganz eng.

Das komplette Interview lesen Sie in der Samstagsausgabe der Passauer Neuen Presse (Online-Kiosk) oder hier bei PNP Plus als registrierter Abonnent.

ZUR PERSON

Thomas Schneider
(47) ist in Duisburg-Rheinhausen geboren, zieht allerdings in jungen Jahren mit seiner Familie in die Nähe von Böblingen bei Stuttgart. Seine Fußballkarriere beginnt er bei der TSV Höfingen, ehe er im Alter von zehn Jahren zum VfB Stuttgart wechselt. 1991 beruft ihn Trainer Christoph Daum in den Profikader. Bis 2003 absolviert Schneider 133 Spiele für den VfB, 1992 wird er Deutscher Meister, 1997 gewinnt er den DFB-Pokal unter Trainer Joachim Löw. In 13 Jahren in Stuttgart schießt er in 133 Spielen sieben Tore und wird dreimal in die deutsche Nationalmannschaft nominiert. 2003 wechselt Schneider zu Hannover 96, wo er zwei Jahre später seine aktive Laufbahn beendet. Nach dem Karriereende wird er Trainer beim FC Dingolfing. Im Jahr 2011 kehrt er als U17-Coach zum VfB Stuttgart zurück. Im August 2013 wird er als Nachfolger von Bruno Labbadia zum Cheftrainer der Profimannschaft befördert, allerdings im März 2014 beurlaubt. Ab September 2014 wird er Co-Trainer der Nationalmannschaft – bis kurz nach der WM 2018; seither ist er als Chef-Scout des DFB tätig. Schneider lebt seit 2005 mit Ehefrau Natascha und Sohn David (17) in Straubing.