Ins Mentoren-Team geholt
„Müssen aufwachen und anpacken“: Wolfgang Pichler über seine Aufgaben beim IOC, Weltcup und seine Ideen

04.11.2023 | Stand 04.11.2023, 11:00 Uhr

Wolfgang Pichler daheim. Hier verrichtet er seine Hauptarbeit als Mentor sowohl für das IOC als auch für die IBU. − Foto: Kas

Er war einer der erfolgreichsten Profi-Trainer im Wintersport weltweit und hat sich zum Biathlon-Experten hochgearbeitet: Wolfgang Pichler. Doch der ehemalige Zollbeamte hat noch längst nicht fertig. Jetzt hat ihn das Internationale Olympische Komitee (IOC) ins Boot geholt, und der Ruhpoldinger hat sich vertraglich gebunden, nachdem sich zuvor schon die Internationale Biathlon Union (IBU) seine Dienste gesichert hat. Täglich trainiert er selbst noch bis zu drei Stunden. Zwischen Fitnessstudio, Rudern daheim und Radfahren hat die heimatsport.de mit dem 68-Jährigen gesprochen.

Herr Pichler, das IOC hat Sie ins Team geholt. Sie sind zuständig für den Skiverband Ungarn. Was heißt das, was ist Ihr Job?
Wolfgang Pichler: Es handelt sich um ein neues Mentoren-Programm des IOC. Dass ich hier vertraglich eingebunden wurde, darüber bin ich sehr stolz und zeugt doch davon, dass ich als langjähriger Trainer und Funktionär international gute Arbeit abgeliefert habe. Ich bin jetzt in ständigem Kontakt mit dem ungarischen Skiverband. Wir halten regelmäßig Online-Sitzungen ab, und ich berate die Generalsekretärin und die verantwortliche Trainerin des Landes. Ich werde beide auf Kosten des IOC auch mal nach Ruhpolding einladen und Organisationspläne ausarbeiten. Natürlich werde ich auch mal nach Ungarn fahren.

Hat Ungarn denn überhaupt Perspektiven im Wintersport?
Pichler: Wenn der Verband Glück hat, kann er schon mal das ein oder andere Talent herausbringen in Ski alpin, Ski nordisch, vielleicht auch im Biathlon. Doch das Land hat ja ganz schlechte Voraussetzungen, keinen Schnee zum Beispiel. Das wird dauern, doch das ist das Ziel. Den Verband gibt’s übrigens schon seit 100 Jahren.

Sie haben auch einen Vertrag bei der Internationalen Biathlon-Union (IBU). Was ist hier Ihre Aufgabe?
Pichler: Hier bin ich zuständig für die Länder Estland, Ukraine, Rumänien und Kanada. Auch hier ist ein Programm aufgelegt worden, um kleinere Nationen nach oben zu bringen. Prominenter Kollege ist hier zum Beispiel Siegfried Mazet, der acht Jahre lang die französische Nationalmannschaft trainierte und seit 2016 für Norwegen verantwortlich ist. Er hat zum Beispiel Martin Fourcade zu Olympia-Gold begleitet, jetzt steht er am Glas von Johannes Thingnes Bö. Er gilt als bester Schießtrainer der Welt.

Was heißt Mentor?
Pichler: Ich bin für die jungen Trainer zuständig. Gibt es hier irgendwelche Fragen oder Probleme, können sie mich kontaktieren, und wir besprechen die Themen.

Doch Sie sind diesbezüglich nicht nur im Biathlon tätig.
Pichler: Richtig! Aktuell arbeite ich mit dem Trainer von William Poromaa zusammen. Das ist ein großes schwedisches Skilanglauf-Talent, von dem man noch einiges hören wird. Im vergangenen Jahr bei der WM hat er über 50 Kilometer eine Medaille gewonnen und war der einzige, der in die Phalanx der Norweger eingedrungen ist.

Und beim Biathlon-Weltcup 2024 im Januar in Ruhpolding sind Sie jetzt das Gesicht. Das bedeutet, Sie arbeiten mit den Machern eng zusammen. Wie läuft’s?
Pichler: Alles läuft in eine gute Richtung. Wir versuchen, zurück zu unseren Wurzeln zu kommen, heißt Weltcup-Atmosphäre wie früher schaffen, also mit großer Euphorie im Dorf, mit toller Eröffnungsfeier, mit Siegerehrungen im Championspark, natürlich alles bei freiem Eintritt und mit Party bis tief in die Nacht. In der Chiemgau-Arena soll es nach den Rennen lediglich die Flower-Ceremony geben, außer am Sonntag, am letzten Renntag. Es ist noch nicht alles in trockenen Tüchern, doch es sieht er gut aus. Wir wollen wieder der beste Weltcup im Biathlon werden.

Gerade da hatten Sie nach 2023 Kritik angesetzt.
Pichler: Das ist richtig, doch es ist jetzt ein neues Team an der Spitze mit Geschäftsführer Timo Gerhold in der Arena, mit Harald Stempfer, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Arena GmbH und mit Hermann Hipf, dem neuen OK-Chef. Man spürt schon, dass ein neuer Wind weht. Ich bin seit 1972 im Biathlon-Weltcup jedes Jahr dabei. Ruhpoldings große Stärken sind immer schon die Volonteers und die gesamte Organisation. Wir müssen aufpassen, dass Ruhpolding von anderen Nationen nicht überholt wird. Ich stelle auch fest, dass Veranstalter in Tschechien oder Frankreich gewaltig aufgeholt haben.


...weil die Biathleten dort auch ganz nah an den Zuschauern sind.
Pichler: Das war bei uns ja auch jahrelang der Fall. Wir hatten die beste Eröffnungsfeier weltweit. Die WM-Eröffnungsfeier in Oberhof habe ich mir heuer zwei Mal im TV angeschaut. Das war großartig, das brauchen wir wieder. Unser großer Vorteil ist jedoch auch die Chiemgau-Arena. Die Besucher sind hier ganz nah dran, viel besser als irgendwo anders.

Und der Family-Club?
Pichler: Der Family-Club ist ein ganz wichtiger Bestandteil des Weltcups. Hier verkehren Trainer, Athleten, Wachser, Sponsoren und wichtige Funktionäre und werden verköstigt. Wir waren hier in Ruhpolding immer führend, hatten dafür stets einen eigenen Bereich. Zuletzt war der Family-Club in einer Umkleidekabine untergebracht. Das darf nicht sein, wird auch nicht wieder vorkommen.

Zwölf Jahre lang war Ihr Bruder Claus Pichler OK-Chef. Wird der wieder mit eingebunden?
Pichler: Ja, so haben wir es vereinbart. Er war nicht nur zwölf Jahre an der Spitze des Weltcup-Organisations-Teams, er war davor auch jahrelang im Team eingebunden. Claus wird wohl als Dolmetscher fungieren, er spricht ja fünf Sprachen fließend. Er soll bei Pressekonferenzen übersetzen helfen und vor allem Olle Dahlin betreuen. Der Schwede ist seit 2018 Präsident der Internationalen Biathlon Union.

... und er ist Ihr Freund.
Pichler: Mit Olle Dahlin arbeite ich in Schweden seit 1995 zusammen. Er ist mehr als ein Freund, denn gemeinsam haben wir das schwedische Erfolgsmodell aufgebaut. Wir haben bei Null begonnen. 2015 war Schweden im Nationencup noch Nummer 14 und 15 bei den Damen und Herren. 2018 waren wir schon zweiterfolgreichste Nation weltweit, haben zwei Gold- und zwei Silbermedaillen bei Olympischen Spielen geholt. Und in Oberhof hat es bei den Weltmeisterschaften zuletzt 13 Medaillen für Schweden gegeben, ein Land mit 10,5 Millionen Einwohnern, kleiner als Bayern. Wir haben in Schweden Einschaltquoten von 1,1 Millionen im Biathlon – das ist Wahnsinn!

Und Ruhpolding braucht Dahlin?
Pichler: Natürlich, wir wollen ja wieder einmal Weltmeisterschaften in Ruhpolding ausrichten. Der IBU-Präsident hat natürlich Macht. Doch bei der Vergabe hat jedes Land lediglich eine Stimme, Island zum Beispiel hat die selbe Stimme wie Deutschland. Im Family-Club wird Stimmung gemacht. Und wir brauchen Stimmen, sonst wird’s nichts mit einer WM.

Wichtig für Biathlon ist, dass deutsche Athleten stark sind. Wäre es da nicht hilfreich, dass sich der DSV an dem neuen Mentoren-Programm beteiligt?
Pichler: Ein starkes deutsches Team ist eminent wichtig. Doch bei den Herren sieht’s nicht gut aus, da haben wir nur Philipp Nawrath, der enorm starke physische Werte hat, und Johannes Kühn, der öfter schon seine Weltklasse gezeigt hat. Bei der weiblichen Konkurrenz sind wir aus Bayern stark aufgestellt mit Franzi Preuß und den vielen jungen Mädchen dahinter, vor allem mit dem Supertalent aus Mittenwald, der vierfachen Junioren-Weltmeisterin Selina Grotian. Insgesamt muss man jedoch sagen, dass der deutsche Sport allgemein am Boden liegt. Man braucht nur zu Fußball bei Männern und Frauen schauen, zur Leichtathletik, zu Eisschnelllauf und vielen anderen Sportarten. Ich habe mit Biathlon-Chef Felix Bitterling gesprochen. Wenn es heuer nicht läuft, biete ich eine Zusammenarbeit an. Das Mentoren-Programm des IOC läuft weltweit, es könnte ja auch Deutschland helfen. Wir müssen aufwachen und anpacken!

Angepackt hatten Sie im vergangenen Jahr beim schwedischen Eisschnellläufer Nils van der Poel, den Sie in Inzell vier Monate lang auf die Olympischen Spiele in Peking vorbereitet hatten und der dann mit Weltrekorden zu Gold über 5000 und 10000 Meter gelaufen ist.
Pichler: Das ist ein gutes Beispiel. Der hatte kein Geld, er hatte nichts, wohnte in einer kleinen Wohnung in Inzell. Ich habe ihm Geld für Turnschuhe gegeben, die er sich nicht leisten konnte. Er hat selbst gekocht und wie ein Besessener trainiert. Ich habe ihm mit dem Ruhpoldinger Jürgen Gstatter einen guten Physiotherapeuten besorgt, war täglich für ihn da, und unser Konzept hat gegriffen.

Wie geht’s van der Poel eigentlich heute?
Pichler: Er hat nach den Spielen seine Karriere beendet und damit alles richtig gemacht. Er ist bestens gebucht, nicht nur in Schweden, bekommt pro Auftritt zwischen 10 000 und 12 000 Euro und hatte heuer rund 80. Also dem geht’s wirklich gut. Soll heißen, dass man mit eisernem Willen – einen solchen hatte er – sehr viel erreichen kann.