Bei CP-Europameisterschaft in Italien
Plötzlich Nationalspieler: Perlesreut-Coach Thomas Beyer (42) und sein überraschender EM-Einsatz

29.06.2023 | Stand 25.10.2023, 11:51 Uhr

Thomas Beyer steht nach einem Schlaganfall im Oktober 2022 wieder auf dem Platz. −Foto: Sigl

Im Oktober 2022 erlitt Thomas Beyer, Trainer des SV Perlesreut, einen Schlaganfall. Acht Monate später hat der 42-jährige Abwehrspieler die deutschen Farben bei einer EM vertreten – im CP-Fußball, einer Sportart für Menschen mit Hirnschädigung und daraus resultierenden Bewegungsstörungen.

„Ja, es stimmt. Ich bin jetzt Nationalspieler.“ Thomas Beyer lacht, als er nach seiner Teilnahme an den Europameisterschaften der IFCPF, der „International Federation of CP-Football“ gefragt wird. Er, der als Spieler beim 1. FC Passau unter anderem in der Bayernliga kickte, 20 Jahre ist das nun her. Der nun mit seinem SV Perlesreut in der kommenden Saison eine fordernde Bezirksliga-Spielzeit auf sich zukommen sieht. Vor allem aber: Er, der richtig Glück gehabt hat.

Am 5. Oktober morgens merkt Thomas Beyer nach dem Aufstehen, das etwas nicht stimmt. Die linke Seite fühlt sich taub an, er kann nicht richtig gehen. Diagnose: Schlaganfall. Vier Monate später ist er zurück auf dem Fußballplatz. Kurze Zeit später ruft der Bundestrainer bei ihm an.

Nein, nicht Hansi Flick. Sondern Conny Frank Fritsch, Nationaltrainer für Fußballer mit Zerebralparese. „Er ist durch die Heimatsport-Berichte in der PNP über meine Rückkehr auf den Fußballplatz auf mich aufmerksam geworden und hat mich gefragt, ob ich nicht in der Nationalmannschaft für CP-Fußballer mitspielen will“, erzählt Beyer. Fritsch hatte bei einem Autounfall 2006 ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten, sich wie Beyer zurück auf den Rasen gekämpft. Er besitzt die UEFA-Pro-Trainerlizenz und ist seit 2017 Trainer der CP-Nationalmannschaft.

„Von ihm konnte ich mir jetzt in der Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Italien schon einiges abschauen“, gibt der 42-jährige Perlesreuter Übungsleiter zu. „Das Training, das ist ganz anders aufgebaut“, sagt Beyer, und auch an die veränderte Spielweise musste er sich erst einmal gewöhnen: „Gespielt wird nämlich ohne Abseits. Da steht dann schon mal einer direkt vor dem Torwart.“ Es spielen sechs Feldspieler und ein Torwart pro Mannschaft auf einem verkleinerten Spielfeld, „außerdem werden beim Einwurf die Bälle eingerollt“, erzählt Beyer. Die Spieler eint das Schicksal einer Kopfverletzung, von einer Gehirnerschütterung bis zu starken Einschränkungen durch „Zerebralparesen“, „Kopfkranke“, sagt Thomas Beyer.

„Ich hab meinen Mitspielern die Schnürsenkel gebunden“



Er selbst spürt die Nachwehen seines Schlaganfalls nur noch beim Laufen, „mein linker Arm ist etwas eingeschränkt“. Nicht jeder im Nationalteam hatte soviel Glück: „Ich habe meinen Mitspielern die Schnürsenkel gebunden“, erzählt Beyer. Weil sie selbst motorisch dazu nicht in der Lage waren. Für Thomas Beyer eine Selbstverständlichkeit: „Wir alle hatten schließlich nur ein Ziel: ein gutes Spiel abliefern“, bemerkt er. Acht Mannschaften hatten sich für die IFCPF European Championships von 28. Mai bis 18. Juni auf Sardinien qualifiziert: England, Spanien, die Niederlande, Italien, die Ukraine, Irland, Schottland und Deutschland. „Wir wurden leider nur Sechster“, bedauert Beyer, „gewonnen hat die Ukraine“. Dort habe diese Form von Behindertenfußball allerdings auch einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland.

Seit 2016 ist CP-Fußball nicht mehr paralympisch, es gibt kaum mehr Fördergelder. Die Nationalmannschaft ist Teil des Deutschen Behindertensportverbandes und wird unter anderem von der Hannelore-Kohl-Stiftung finanziell unterstützt.

Die Europameisterschaft sei für ihn ein „super Erlebnis“ gewesen, schwärmt Beyer. Im Vorfeld bereitete er sich mit seinen Teamkollegen in Lehrgängen am Wochenende auf die Meisterschaft vor, was einen Spagat zwischen seinem Trainerjob beim SV Perlesreut und seinem Nationalteam-Engagement bedeutete: „Ich hab geschaut, dass ich Freitag nach dem Training noch zu den Lehrgängen fahren konnte oder wenigstens am Samstag. Ich bin ja in Perlesreut selbst noch als Spieler aktiv.“

Zurück in der Vorbereitung auf die anstehende Saison in der Bezirksliga Ost heißt es für Tom Beyer derweil wieder: Umdenken in Sachen Abseitsregel. Beyer lacht: „In unserem ersten Testspiel war das schon eine kleine Umstellung für mich.“ Im Nationalteam der CP-Fußballer will er auf jeden Fall bleiben: „Das ist sportlich einfach überragend.“


CP-FUSSBALL

CP-Fußball, international auch unter „Football 7-a-Side“ bekannt, ist eine Sportart für Menschen mit einer Hirnschädigung und daraus resultierenden Bewegungsstörungen. Die deutsche Nationalmannschaft ist im internationalen Vergleich die einzige, die nicht unter der Schirmherrschaft des nationalen Fußballverbandes (DFB) steht.