Was macht der Bundestrainer
Mit der „Ochsenkette“ gegen Österreich? Nagelsmann muss Abwehr stabilisieren – und steckt in der Mittelfeldfalle

21.11.2023 | Stand 21.11.2023, 8:29 Uhr

Mats Hummesl könnte in die Startelf rücken. − Foto: dpa

Mats Hummels war mittendrin, als die Nationalmannschaft im Sommer 2014 mit der „Ochsenkette“ Fußball-Weltmeister wurde. Die drei, manchmal sogar vier groß gewachsenen Innenverteidiger in der Abwehrreihe konzentrierten sich in Brasilien auf das Defensive, vorne wirbelten andere.

Nach 20 Gegentoren in den bisherigen zehn Länderspielen 2023, sechs in drei Partien mit Bundestrainer Julian Nagelsmann, beantwortete Hummels die Frage nach dem einstigen Erfolgsmodell vor dem Jahresabschluss an diesem Dienstag (20.45 Uhr) in Wien gegen Österreich eher diplomatisch.

„Ochsenkette, weiß ich nicht, ob das direkt ein großer Vorteil oder Nachteil wäre“, sagte der 34 Jahre alte Routinier von Borussia Dortmund am Montag. „Ich glaube, es beschreibt eher, dass es defensiv ausgerichtete Spieler sind. Es kommt ganz darauf an, wie die Mannschaft insgesamt zusammengestellt ist.“ Es gebe „verschiedene Varianten, in der sich nicht nur Ochsen befinden“.

Nagelsmanns Optionen



Beim 2:3 gegen die Türkei am Samstag in Berlin hatte Nagelsmann Antonio Rüdiger und Jonathan Tah in die Innenverteidigung geschickt, Benjamin Henrichs verteidigte rechts. Und links Kai Havertz – allerdings nur in der Defensivbewegung, bei eigenem Ballbesitz wurde der Arsenal-Profi zu einem Offensiv-„Joker“, wie Österreich-Trainer Ralf Rangnick beobachtete. Nagelsmann bekräftigte am Montag, vom Grundsystem nicht abweichen zu wollen. Statt Havertz könnte aber auch ein anderer Profi diese Rolle spielen.

Dass Hummels am Montag neben dem Bundestrainer auf dem Pressepodium saß, ist ein Indiz dafür, dass der Weltmeister von 2014 in die Startelf rückt. Für den soliden Tah? Für Rüdiger, der Abwehrchef ist, gegen die Türkei aber Unsicherheiten offenbarte? Tah kann – wie Niklas Süle – auch als Außenverteidiger spielen, Henrichs die Seite wechseln. Im Kader ist in David Raum zudem ein Schienenspieler für die linke Seite.

Üben, üben, üben



„Es ist eine Sache von Trainingseinheiten zusammen, von Spielen zusammen, von Videositzungen zusammen, dass wir da immer mehr hinkommen“, sagte Hummels über die Mängel in der Abwehrarbeit. „Wir sind eine Mannschaft mit sehr, sehr vielen, sehr guten Offensivleuten. Es ist schon gut vorstellbar, dass wir vielleicht einmal eher 3:2 als 1:0 gewinnen, was aber auch völlig okay wäre.“ Die große Aufgabe sei, die Balance zu schaffen. „Dann sind wir eben eine absolute Topmannschaft“, sagte Hummels.‚

Kimmich und Gündogan? „Passen nicht zusammen



Ein weiteres Thema vor dem Spiel: Die Besetzung des Mittelfeld. Joshua Kimmich kennt das Spiel. Sein früherer Münchner Musterschüler, sagte Hansi Flick bei der WM in Katar, sei „einer der besten Sechser, die es gibt“. Wenige Tage später fand sich Kimmich trotzdem auf der Position des Rechtsverteidigers wieder.

Flicks Nachfolger hat sich ebenfalls festgelegt: „Ich sehe ihn als Sechser“, sagte Julian Nagelsmann am vergangenen Freitag über Kimmich. Doch vor dem Gastspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Wien gegen Österreich ist die Diskussion um Kimmichs Rolle neu entflammt.

Kimmich und Kapitän Ilkay Gündogan, sagte RTL-Experte Lothar Matthäus nach der bitteren Niederlage gegen die Türkei (2:3), „passen auf der Doppelsechs nicht zusammen, weil sie sich zu ähnlich sind“. Der Rekordnationalspieler bescheinigt beiden Weltklasse, „aber die tun sich nicht gut, wenn sie zusammenspielen“. Und so steckt Nagelsmann in der Mittelfeld-Falle.

Gündogan, von Nagelsmann noch vor dessen öffentlicher Vorstellung im persönlichen Gespräch als Kapitän bestätigt, ist dort gesetzt. Und Nagelsmann scheint zumindest zu ahnen, dass der kaum weniger wichtige Kimmich - je nach Gegner - nicht der ideale Partner für den Spielführer ist: „Beide sind vom Profil her nicht die klassischen Spieler, die es lieben, auf zweite Bälle zu gehen.“

Das heißt: Wenn es emotional wird, wie gegen die Türkei oder wie von Nagelsmann erwartet in Wien, wenn es auf Biss und Zweikampfhärte, aber weniger auf Ballbesitz ankommt, braucht es einen Defensivarbeiter. Ein Sechser aber, „der vor der Abwehr aufräumt“, weiß Matthäus, „das ist weder Gündogan noch Kimmich“. Aber Pascal Groß, der auf der USA-Reise sofort gut mit Gündogan harmonierte.

Schon Flick wich deshalb bei der WM im Gruppen-Finale gegen Costa Rica und in seinem letzten Länderspiel gegen Japan von seinem Kimmich-Dogma ab, zog ihn nach hinten und stellte Gündogan andere Partner zur Seite. Für Matthäus nur logisch. Nagelsmann, sagte er schon Mitte Oktober, sollte dieser Idee folgen. „Wir haben keinen gelernten Top-Rechtsverteidiger, und Kimmich spielt auch dort spitze.“

Was das für Wien und die EM bedeutet? Nagelsmann lässt sich ein Hintertürchen offen. Er halte grundsätzlich „extrem viel“ von Gündogan und Kimmich, sagte er, „aber natürlich müssen wir immer auch gucken, was der Gegner uns anbietet und was das Spiel verlangt“.

Matthäus sieht allerdings auch noch einen anderen Ausweg aus dem Sechser-Dilemma. Unter gewissen Umständen, meinte er, könnten Gündogan und Kimmich vielleicht doch zusammen funktionieren. „Es muss ganz klar sein: Der eine ist die Sechs, der andere die Acht“, schrieb er in seiner Sky-Kolumne. Wenn Gündogan und Kimmich „das beherzigen, ist es ein Traumpaar“. Aber nur dann.

− dpa/red