Wenn nicht jetzt, wann dann?
Endlich Chef! Joshua Kimmich muss liefern – und sieht sich und seine Generation in der Bringschuld

23.11.2022 | Stand 19.09.2023, 3:44 Uhr

Joshua Kimmich. −Foto: dpa

Joshua Kimmich sprach im gleißenden Scheinwerferlicht mit ernstem Blick minutenlang über das „One Love“-Verbot und Menschenrechte, als sich seine Miene endlich aufhellte. Ein breites Grinsen huschte über das Gesicht des Bayern-Profis, während er über seine Rolle in der deutschen Nationalmannschaft reden durfte. „Ich freue mich, dass ich mal ein Turnier im zentralen Mittelfeld spielen kann und die Chance dazu habe.“

Endlich Chef! Beim historischen WM-Desaster in Russland agierte Kimmich noch als Rechtsverteidiger. Erst mit dem Neustart danach schob ihn der damalige Bundestrainer Joachim Löw in die Schaltzentrale vor der Abwehr. Doch unmittelbar vor der EM machte er diese Entscheidung rückgängig und stellte Kimmich rechts vor seine neue Dreierkette - auch das ging schief.

Löws Erbe Hansi Flick machte bei seinem Amtsantritt und erneut vor dem WM-Auftakt gegen Japan am Mittwoch (14.00 Uhr MEZ/ARD und MagentaTV) klar: „Ich sehe Jo auf der Sechs.“ Dort spielt Kimmich bis auf wenige Ausnahmen bei den Bayern, dort kann er seine strategischen Fähigkeiten am besten zur Geltung bringen.

„Jetzt spiele ich da, wo ich auch die letzten Jahre immer gespielt habe“, sagte Kimmich am Dienstagabend voller Vorfreude. Er sei, schrieb er mit einem Augenzwinkern im Netz, „heißer als das Wetter“. Auch weil er das Gefühl hat, etwas gutmachen zu müssen.

„Wir wollen zeigen, was wir können“, sagte Kimmich. Wir - das bedeutet in diesem Fall die DFB-Auswahl als Ganzes, aber auch „seine“ Generation im Besonderen. Den Confed-Cup haben sie 2017 gewonnen, das schon. Aber ob WM 2018 oder EM 2021 - die großen Turniere endeten für die starken Jahrgänge 1995/96 enttäuschend.

„Wir haben unheimlich viel Potenzial“, sagte Kimmich, „das müssen wir endlich auf den Platz bringen und Titel gewinnen!“ Er soll dabei in zentraler Rolle zum Schlüssel werden.

Doch auf der Sechs wird sein ungezügelter Ehrgeiz bisweilen zum Problem. Kimmich gibt immer Vollgas - und will mitunter zu viel. Atlas trug das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern - Kimmich scheint eine ähnliche Last der Verantwortung zu spüren und verzettelt sich dabei in manchen Phasen.

Dann, schimpfte der frühere Europameister Markus Babbel, „turnt er überall herum - nur nicht da, wo er spielen sollte“. Polemisch? Einstige Sechser-Experten teilen diese Kritik, drücken sie nur anders aus. Kimmich, sagte Philipp Lahm, fehle „die Disziplin“, um seine Position zu halten und müsse „einen Tick defensiver denken“. Sami Khedira, wie Lahm Weltmeister 2014, mahnte, der 27-Jährige solle „sich manchmal etwas mehr zurücknehmen, cleverer spielen, weniger wollen“. In der anfälligen Restverteidigung müsse er „Anker“ sein.

Hasan Salihamidzic nahm Kimmich in Schutz. „Jo ist das Zentrum unserer Mannschaft auf dem Platz und auch ein Zentrum in der Kabine“, sagte der Münchner Sportvorstand, „an ihm kann sich jeder orientieren, an seiner Gier, seinem Selbstbewusstsein, seiner Widerstandsfähigkeit.“ Bayern-Coach Julian Nagelsmann betonte, Kimmich genieße bei ihm wie bei Flick „volles Vertrauen“ und sei hier wie da „extrem wichtig“.

Und Kimmich? „Prinzipiell erwarte ich immer viel von mir und möchte mich immer weiterentwickeln“, betonte er. Schließlich trage er qua Position „Verantwortung für die Defensive“. Das will er jetzt endlich auch auf der größten Fußball-Bühne zeigen.

− sid