Vilshofenerin kämpfte sich durch
21 Mal auf den Brotjacklriegel: Sarah Dwyer (38) und ihre "Everesting"-Sternstunde

25.08.2020 | Stand 17.09.2023, 22:04 Uhr
Simone Kuhnt

"Wenn ich mich aufs Radl setze, geht‘s mir gut",sagt Sarah Dwyer über ihre Leidenschaft.

Sarah Dwyer (38) ist noch immer "geflasht". Gefühlt war sie gerade auf dem Mount Everest. Mit dem Rennrad. Zumindest, was die Anzahl der Höhenmeter betrifft. In Wirklichkeit ist sie vergangenen Donnerstag auf ihren Lieblingsberg Brotjacklriegel gestrampelt, 21 Mal hintereinander, 21 Stunden lang, von 4 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts, ohne zu schlafen, bis sie die 8848 Höhenmeter geschafft hatte. "Es war eine Tortur", erzählt Sarah Dwyer – und strahlt aus ihren grünen Augen. Was sie neben der totalen Erschöpfung an Positivem erfahren hat, wird ihr lange in Erinnerung bleiben.

"Everesting" nennt sich die internationale Bewegung, bei der Extrem-Radfahrer per Fahrradcomputer an einem Berg ihrer Wahl ihre Leistungsdaten aufzeichnen, an eine Kommission schicken, sie bestätigen lassen und dann zur virtuellen "Everesting"-Community gehören. In Zeiten von Corona, in denen die meisten Wettkämpfe abgesagt wurden, hat die Idee Hochkonjunktur. Rund 10450 Hartgesottene haben den selbst auferlegten "Test" schon bestanden.

Als Sarah Dwyer vor zwei Jahren zum ersten Mal davon hört, ist ihr schlicht unbegreiflich, wie jemand 8848 Höhenmeter mit dem Rad schaffen kann – mit Pausen, die maximal 15 Minuten dauern.

Vor sechs Jahren hat die Vilshofenerin, die an einem Gymnasium in Landau an der Isar Englisch, Geografie und Ethik unterrichtet, mit dem Laufen angefangen, weil sie überflüssige Pfunde loswerden wollte. "Auf zwei Kilometer hab ich geschnauft wie ein Brauerei-Ross", erzählt sie. Doch mit den ersten Erfolgerlebnissen wurde sie zu einer leidenschaftlichen Ausdauersportlerin. Über den Triathlon kam sie zum Rennradfahren. Von ihrer Haustüre aus ist sie schnell im Rottal, auf dem Donauradweg oder im hügeligen Bayerischen Wald. Immer ambitionierter werden die Ziele: Glocknerkönig, Drei-Länder-Giro, Ötztaler Radmarathon.In der Saison 2019 knackt Sarah Dwyer die 4000 Höhenmeter-Marke. Das "Everesting" scheint in greifbarer Nähe. Im Winter trainiert sie fleißig auf der Rolle, im Frühling hat sie wegen geschlossener Schulen noch etwas mehr Zeit zum Rennradfahren als sonst, in den Ferien sowieso. Sie meldet sich auf der Everesting-Website an – und bittet Firmen aus der Region, Familienmitglieder, Freunde und Sportskollegen um Spenden für die BR-Benefizaktion "Sternstunden" und für die Tierschutzliga (Tierheim Wollaberg). Ihre körperliche und mentale Leistungsgrenze zu verschieben und zugleich etwas Wohltätiges zu tun, motiviert sie ungemein. "Es ist faszinierend, was geht", erzählt sie.

Am Donnerstag um 4 Uhr früh steht sie mit dem ultraleichten Rennrad eines Freundes in Winsing am Fuße des Brotjacklriegel. Sie hat eine Tafel vorbereitet, auf der sie mit Hilfe einer Strichliste die 21 Bergfahrten zählen will. Am Morgen und am Vormittag läuft es gut. In der Mittagshitze aber stellen sich starke Kopfschmerzen ein. "Ich war im Tunnel, es war ein Kampf", erinnert sich Sarah Dwyer. Sie hat gerade mal die Hälfte der Höhenmeter geschafft und denkt ernsthaft ans Aufhören. "Aber wie bringst du das den Leuten bei? Du hast so vielen Freunden und Bekannten Bescheid gesagt", schießt es ihr durch den Kopf. Dazu der mahnende Gedanke: "Du hast noch nie irgendwas abgebrochen." Sarah Dwyer beißt, tritt weiter, weiter, weiter, flankiert von Freunden, die sie zeitweise auf dem Rad begleiten, ihr gut zureden oder sie in Ruhe lassen, wenn auch das nicht mehr hilft. Am Straßenrand feuern Freunde sie an, eine Kollegin aus Straubing ist gekommen, ihre Familie ist da, obwohl es in deren Vilshofener Eisdiele jede Menge zu tun gäbe. Und ständig melden sich liebe Bekannte per SMS und Videobotschaft. Die letzten Anstiege sind nochmal zäh, doch da weiß Sarah Dwyer längst, dass sie es schafft. Gegen ein Uhr nachts zieht sie nach 280 Kilometern den 21. Strich auf ihre Tafel – und wird von den Winsinger Dorfleuten spontan zum Anstoßen auf ein Glas Sekt eingeladen. Körperlich ist sie am Ende, ansonsten überglücklich.

"Das Schönste ist, dass so viele Leute dabei waren, die an mich geglaubt haben. Ich fühlte mich regelrecht getragen. Das bewegt mich sehr", sagt Sarah Dwyer. "Ich hoffe, ich kann das irgendwann zurückgeben." Darüber braucht sich Sarah Dwyer wohl keine Sorgen machen. Die Aktion "Sternstunden" und die Tierschutzliga können sich je über 750 Euro aus Spendengeldern freuen.