„Da muss er vorsichtig sein“
Warnungen, Kritik, Frust: Es brodelt in München – weil Bayern nicht mehr „Bayern-like“ ist

10.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:43 Uhr

Lothar Matthäus hat eine wichtige Botschaft an Trainer Julian Nagelsmann: „ Die Kabine darf er nicht verlieren“. −Foto: dpa

Fußball-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus hat nach dem in letzter Sekunde verspielten Sieg des FC Bayern im Topspiel gegen Dortmund (2:2) die Münchner Profis kritisiert.

„Sie haben in den 70 Minuten vergessen, das dritte Tor zu schießen, und in den letzten 20 Minuten wollten sie nur verwalten. Bayern hat sich hinten reindrängen lassen, nicht mehr attackiert, ist nicht mehr in den Zweikampf gekommen. Das war absolut nicht Bayern-like“, sagte Matthäus am Sonntagabend bei „Sky90“.

Er gebe damit Bayerns Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß recht, sagte Matthäus. Es gehe aber nicht nur um das Spiel am Samstag, als der Meister eine 2:0-Führung verspielte. „Sechs Bundesligaspiele, ein Sieg - das ist auch nicht Bayern-like. Ich glaube, es ist über zwei Jahrzehnte her, dass man das letzte Mal so ein Ergebnis hergegeben hat“, meinte der 61-Jährige.

„Vielleicht sind einige Spieler in dieser Saison nicht mehr so bereit wie in den Jahren zuvor. Sie haben alles gewonnen und konzentrieren sich mehr auf die Champions League. Dieses Quälen, dass Bayern München in Augsburg dagegen hält oder auch in Dortmund die letzten 20 Minuten, das muss wieder in die Mannschaft rein“, sagte Matthäus.

Zugleich warnte er Trainer Julian Nagelsmann vor den Folgen von Personalentscheidungen. „So was wird natürlich in der Kabine beobachtet und auch diskutiert. Da muss er vorsichtig sein, der Julian. Die Kabine darf er nicht verlieren“, sagte Matthäus und bezog sich dabei vor allem auf die hochgelobten Neuzugänge Ryan Gravenberch und Mathys Tel, die bisher kaum zum Einsatz kommen.

Vor allem Tels Nichtberücksichtigung kann Matthäus nicht nachvollziehen. „Vor der Saison sagt Julian: Von Tel erwarte ich zehn Bundesliga-Tore. Dann muss er ihn spielen lassen“, sagte Matthäus. Aufgrund seiner Schnelligkeit wäre Tel in Dortmund wahrscheinlich der interessantere Spieler gewesen.

Hainer: Nicht der Anspruch des FC Bayern

Club-Präsident Herbert Hainer hat derweil eine gemischte Bilanz der bisherigen Fußball-Saison des FC Bayern München gezogen. „In der Champions League haben wir gut performt, haben alle drei Spiele gewonnen. Auch gegen Mailand und Barcelona, die schon schwerere Gegner sind. Aber in der Bundesliga sind wir definitiv nicht zufrieden, wenn wir von neun Spielen nur vier gewinnen“, sagte der 68-Jährige am Sonntagabend in der Sendung „Blickpunkt Sport“ des Bayerischen Rundfunks. Das sei nicht der Anspruch des FC Bayern. „Das muss man ganz klar sagen. Und deswegen müssen wir sofort in die Spur kommen und punkten in der Bundesliga, um wieder ganz nach vorne zu kommen.“

Der deutsche Rekordmeister ist nach neun Spieltagen Tabellendritter mit vier Punkten Rückstand auf den Überraschungs-Ersten 1. FC Union Berlin. Vor allem die schwache Chancenverwertung wie zuletzt beim 2:2 am Samstag beim alten Rivalen Borussia Dortmund bemängelte Hainer. „Da muss die Mannschaft konsequenter werden. Da sind wir nicht gut genug. Deswegen haben wir so viele Punkte liegen gelassen, die wir hätten nicht liegen lassen müssen, meinte der ehemalige Vorstandschef des Sportartikelherstellers Adidas. „Deswegen sind wir jetzt auch Dritter und nicht Erster. Das ist ärgerlich und daran müssen wir arbeiten.“

Die Frage nach einem Mittelstürmer sei „nicht primär eine Frage des Geldes. Sondern es muss der richtige Spieler auf dem Markt sein“, sagte Hainer. Wenn es die Gelegenheit gebe, „werden wir uns die intensiver angucken“. Diese Mittelstürmer, die einem 25, 30 Tore garantieren wie der vor der Saison zum FC Barcelona abgewanderte Robert Lewandowski, gebe „es nicht wie Sand am Meer“.

Trotz der bisher durchwachsenen Bundesliga-Saison ist der seit 2019 als Präsident amtierende Hainer von Trainer Julian Nagelsmann (35) überzeugt. Dieser sei „ein junger, innovativer und kreativer Trainer, der eine große Karriere vor sich hat“, sagte er. „Der hat jetzt mit dem FC Bayern München ein anderes Kaliber als Hoffenheim und Leipzig. Aber alle, die bei uns seine Arbeit beurteilen können, sind absolut überzeugt von ihm.“

Er sei ein sehr reflektierter, sehr intelligenter Mann, „der genau weiß, worauf es ankommt, der weiß genau, was zu tun und zu machen ist“. Man habe ihm einen Fünfjahresvertrag gegeben, „um mit Julian Nagelsmann etwas aufzubauen“. Nagelsmann war im Sommer 2021 von RB Leipzig zu den Münchnern gewechselt.

Kahn: Schonfrist ist vorbei

Bayern-Boss Oliver machte Mannschaft und Trainer klar, dass die Schonfrist endgültig vorbei ist. Ab jetzt zählen nur noch Ergebnisse. „Wir müssen jetzt schnell in die Puschen kommen“, sagte Kahn nach der verspielten 2:0-Führung und dem Ausgleich in der fünften Minute der Nachspielzeit: „Wir müssen einfach Ergebnisstabilität reinbringen. Wir müssen schnell Erster werden und können uns nicht darauf verlassen, dass die Mannschaften, die über uns sind, immer nur unentschieden spielen oder verlieren.“

Ob er die vor den Bayern liegenden Außenseiter Union Berlin und SC Freiburg als echte Konkurrenten auf den Titel sieht, blieb dabei ebenso offen wie die Frage, inwiefern die Kritik auch an Trainer Julian Nagelsmann gerichtet ist. Auf die Frage, ob er in den nächsten Tagen mit medialer Kritik an seiner Person rechne, sagte dieser im ZDF: „Wahrscheinlich ja.“ Der 35-Jährige ließ klar erkennen, dass ihn das nervt und anfasst.

„Wie in den letzten neun Monaten auch“ werde er mit alledem umgehen, sagte Nagelsmann über die erwartete Kritik. „Mein Leben hat noch ein paar mehr Komponenten. Ich gebe jeden Tag mein Bestes. Wenn ich abends in den Spiegel schauen kann, ist das sehr wertvoll. Egal, was andere darüber berichten, schreiben oder erzählen.“

Auch auf das Gerede von Ex-Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge vom „Trainer-Talent“ reagierte er ungewohnt dünnhäutig. „Das sagen ja alle, nicht nur Karl-Heinz Rummenigge. (...) In meinen Augen sagen es auf jeden Fall zu viele“, sagte er und ergänzte trotzig: „Ich bin ja auch ein Trainer-Talent, da bin ich stolz drauf.“

Hoeneß: Kein Grund für Trainerdiskussion

In den Augen von Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß ist derweil für eine Trainerdiskussion „überhaupt kein Grund vorhanden“. Das Spiel in Dortmund aus der Hand zu geben, sei aber „eigentlich nicht bayern-like“, sagte der 70-Jährige in der Sendung „Der Sonntags Stammtisch“ im BR Fernsehen. Auf die Frage, was denn bayern-like sei, antwortete der langjährige Bayern-Macher. „Mia san Mia. Einfach großes Selbstvertrauen und den anderen sagen: Jetzt kommt’s mal schön und dann haut man ihnen das dritte rein.“

Nagelsmann muss aber dennoch hellhörig und vorsichtig werden bei Kahns Aussagen, dass das „schon eine erstaunliche Saison ist“. Er müsse sich, „schon lange zurückerinnern, um mich an so eine Saison zu erinnern. Wo wir jedes Mal vergessen, den Sack zuzumachen und es immer wieder hinbekommen, uns um den verdienten Lohn zu bringen.“

− dpa/red