Kommt der große Umbruch?
In Dortmund brennt die Stadt, in München die Säbener Straße: „Dieser FC Bayern ist am Ende“ – Transferoffensive geplant?

22.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:45 Uhr

Mehr als angezählt: Bayern-Boss Oliver Kahn. −Foto: imagoimgaes

Thomas Müller richtete einen verzweifelten Appell an seine 12,8 Millionen Instagram-Fans. „Lasst uns noch eine Woche zusammenhalten“, flehte der Ur-Bayer, „noch ist alles möglich!“ Jetzt, vor dem Meisterfinale im Fernduell mit Spitzenreiter Borussia Dortmund, sei „nicht die Zeit für Analysen“ – doch die haben längst begonnen.

„Dieser FC Bayern ist am Ende“, schrieb die Bild am Montag und titelte drohend: „Jetzt räumt Hoeneß auf!“ Denn, so assistierte Chef-Experte Lothar Matthäus: „So kann es nicht weitergehen beim FC Bayern!“

Die erste titellose Saison seit 2012, die immer konkretere Formen annimmt, dürfte den mächtigen Ehrenpräsidenten dazu veranlassen, Tabula rasa zu machen. „Es muss jetzt eine knallharte Analyse geben und eine schonungslose Aufarbeitung mit Konsequenzen, auf und neben dem Platz“, forderte Matthäus, „ohne Rücksicht auf Namen oder Positionen“.

Die Sitzung des Aufsichtsrats mit Mitglied Hoeneß am 30. Mai wirft längst ihre Schatten voraus, vor allem Vorstandschef Oliver Kahn muss seine Abberufung fürchten. „Das Mia san mia, diesen fast einzigartigen Zusammenhalt, diese Identifikation mit dem Klub“, sagte Matthäus, „gibt es nicht mehr“. Das wird in erster Linie dem kühlen Kahn angelastet.

Aufgeben will der einstige „Titan“ nicht – weder seine Position, noch den Titelkampf vor dem Fernduell am 34. Spieltag. „Meine Stärke waren immer mein Fokus und mein Wille“, sagte er zuletzt. Nach der Saison werde man „sehr kritisch miteinander umgehen, sehr analytisch sein“ und sich „viele, viele Fragen stellen“, kündigte er an. Aber „selbstverständlich“ sei er auch im nächsten Jahr noch der Boss.

Doch dass dem Duo Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic der „teuerste Umbruch der Vereinsgeschichte“ (Bild) anvertraut wird, scheint ausgeschlossen. Das wahrscheinlichste „Opfer“ bleibt Kahn. Salihamidzic und Direktor Marco Neppe sind mit Trainer Thomas Tuchel, der trotz seiner miserablen Bilanz (fünf Siege in elf Spielen) nicht wackelt, längst in die Kaderplanung eingestiegen.

Kommt Stürmer Vlahovic aus Turin?

Das neueste Gerücht: Die Bayern seien an dem serbischen Nationalstürmer Dusan Vlahovic (23) von Juventus Turin interessiert. Das nötige Kleingeld für den Neuanfang ist da, wie Herbert Hainer versicherte. „Finanziell ist der FC Bayern sehr, sehr gut aufgestellt“, sagte der Präsident: „Wir haben eine hohe Eigenkapitalquote, wir haben auch noch ein bisschen Geld auf dem Festgeldkonto.“

Eine millionenschwere Transferoffensive – das wäre typisch FC Bayern. Nach Platz vier 2007 kamen Franck Ribery und Luca Toni, nach der Klatsche gegen den späteren Meister Wolfsburg 2009 Arjen Robben und Mario Gomez, nach dem Vize-Triple 2012 Rekordzugang Javi Martinez und Mario Mandzukic, später ergänzt durch die BVB-Stars Mario Götze und Robert Lewandowski.

„Wenn man die Bayern reizt“, weiß der damalige Dortmunder Meistermacher Jürgen Klopp, „schlagen sie in Dekaden zurück“. Das wird dieses Mal nicht anders sein – egal, ob Müllers Appell fruchtet oder nicht.

Ausnahmezustand in Dortmund

Beim Rivalen in Dortmund herrscht vor der anstehenden Machtablösung Ausnahmezustand. „Die Stadt“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl inmitten des schwarz-gelben Wahnsinns voller Euphorie, werde „eine Woche lang brennen“. Der goldene Meister-Matchball hat den BVB vor dem großen „Finale“ am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen Mainz 05 in einen kollektiven Ausnahmezustand versetzt. Der Traum von der neunten Meisterschaft überstrahlt rund um die Borussia derzeit alles.

Doch nach dem erlösenden 3:0 (0:0) beim FC Augsburg waren die Stars um ihren Helden Sebastien Haller bemüht, im dramatischen Titelkampf mit dem FC Bayern nicht völlig zu überdrehen. „Es ist viel Druck auf dem Kessel, aber wir sollten keine verrückten Sachen machen“, warnte Torwart Gregor Kobel.

Auch Edin Terzic setzt bei allen Emotionen auf Normalität. „Es wird keinen freien Tag geben. Wir müssen unsere eigene Leistung in den Fokus rücken. Die Fans sorgen für die Emotionen, wir für den Fußball“, sagte der Borussen-Coach. Alles werde trotz der „unglaublichen Situation“ wie immer ablaufen. Man müsse das jetzt, mahnte Kehl, „gut managen und klar bleiben. Wir wissen, was los sein wird.“

Es wird die Hölle los sein. Längst laufen die Vorbereitungen für die Meisterkrönung am Borsigplatz. 90 Minuten und ein Sieg trennen den BVB noch davon, den schwer angeschlagenen Erzrivalen aus München nach zehn langen Jahren zu entthronen. Spannung und Vorfreude beim BVB waren nach einer wechselhaften Saison mit Hallers Krebserkrankung, vielen Verletzungen und absurden sportlichen Einbrüchen deutlich zu spüren.

„Wir müssen das jetzt durchziehen“

„Jetzt müssen wir noch sechsmal schlafen, einmal aufstehen und Vollgas geben. Und dann dürfen wir hoffentlich endlich die Meisterschale hochhalten“, sagte Terzic mit funkelnden Augen und stimmte seine Mannschaft schon einmal mit emotionalen Worten ein: „Die Jungs haben so viel Geld und können sich alles kaufen. Aber diesen Moment können sie sich nicht kaufen. Dafür werden wir alles tun.“

Auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke konnte sich der Euphorie nicht entziehen: „Jetzt zuhause vor 81.000 Fans, die aus dem Häuschen sein werden. Wir freuen uns riesig. Wir müssen das jetzt durchziehen, ohne Rücksicht auf Verluste.“ Diese Chance dürfe sich der BVB bei zwei Punkten Vorsprung auf die Bayern, forderte Kehl, „nicht mehr nehmen lassen“.

− sid/red