Fällt Baum noch vor Weihnachten?
Tasmanisch schlecht: Schalke 04 zerlegt sich selbst – Dem Trainer fliegen Wortspiele um die Ohren

23.11.2020 | Stand 19.09.2023, 1:52 Uhr

Sechs Spiele lang sieglos: Der berüchtigte Trainer-Effekt blieb nach der Verpflichtung von Manuel Baum auf Schalke gänzlich aus. −Foto: Martin Meissner/dpa

Fußball-Bundesligist FC Schalke 04 steuert nach dem 24. Spiel in Folge ohne Sieg weiter auf Rekordkurs – und zerlegt sich auch außerhalb des Spielfelds. Auch Trainer Manuel Baum muss Fehler eingestiegen.

Das liebste der vielen Wortspiele mit seinem Namen hatte Manuel Baum unter der Woche verkündet. "Der Baum schlägt auf Schalke Wurzeln", das würde ihm gefallen. Ob es zu der Schlagzeile irgendwann kommen wird, ist offen. Nachdem sein Team die fast schon tasmanische Horror-Serie auf nun 24 Spiele ohne Sieg ausgebaut hat, musste der Trainer des FC Schalke 04 in den Medien und sozialen Netzwerken am Wochenende viele andere Baum-Wortspiele über sich ergehen lassen. Dass Schalke gegen den Baum fahre. Oder dass der Baum auf Schalke rechtzeitig vor Weihnachten wahlweise geschlagen werde, bald falle oder brenne. Für seinen Spieler Mark Uth ist der Trainer aber nicht der Schuldige, sondern "im Endeffekt das ärmste Schwein bei uns".

Baum selbst hat in den knapp zwei Monaten seiner Amtszeit zahlreiche Sprüche und Vergleiche bemüht. Doch nach Scherzen ist auf Schalke spätestens nach dem 0:2 gegen Wolfsburg niemandem mehr zumute. "Sowohl mit Ball als auch gegen den Ball haben wir überhaupt nichts auf die Platte gekriegt", gab der Coach mit Blick auf die erste halbe Stunde zu, in der Wolfsburg den einstigen Champions-League-Stammgast regelrecht vorgeführt hatte und mehr Tore als die von Wout Weghorst (3.) und Xaver Schlager (24.) hätte erzielen müssen. Die Schalker Leistung lag nicht zuletzt an einer folgenschweren Fehleinschätzung Baums: Trotz der Knieverletzung seines Abwehrchefs Salif Sane setzte er auf eine Fünferkette und stellte den völlig überforderten Benjamin Stambouli in deren Zentrale. Als Innenverteidiger hat der Franzose in 270 Minuten in dieser Saison schon 16 (!) Gegentore aus der Nähe erlebt – im Schnitt alle 17 Minuten eins. "Als wir auf Viererkette umgestellt haben, wurde es etwas besser", gab Baum zu und räumte seinen kapitalen Fehler ein.

"Wenn man die Spiele sieht, fragt man sich: Was trainieren die unter der Woche?"

Nach einem Viertel der Saison steckt der stolze Traditionsverein, der 2018 noch Vize-Meister wurde und vor anderthalb Jahren im Achtelfinale der Champions League stand, bis zum Hals im Abstiegskampf. "Wir sind mittendrin statt nur dabei", sagte der frustrierte Ex-Nationalspieler Uth und redete sich den Frust von der Seele. "So macht’s einfach keinen Spaß. Ich habe das Gefühl, dass wir zwei Mann weniger sind. Ich bin so bedient und sauer, ich würde am liebsten in die Kabine gehen und weinen", sagte Uth und stellte sich am Ende die wichtigste aller Fragen: "Wir spielen sehr schlechten Fußball. Und ich weiß nicht, wie wir so ein Spiel gewinnen wollen."

Mehr als 300 Tage, fast ein ganzes Jahr also, warten die Königsblauen nun auf einen Sieg in der Bundesliga. Der legendäre Sieglos-Rekord von Tasmania Berlin, von dem man annahm, dass er nie wackeln würde, ist nur noch sieben Spiele entfernt. Baum hat nur die jüngsten sechs Spiele zu verantworten. Doch seine Amtszeit lief bisher unter dem Motto: Jung, dynamisch, erfolglos. Der 41-Jährige arbeitet akribisch, verbreitet Optimismus, doch die nur drei Punkte unter seiner Regie sind noch immer die Bilanz eines Absteigers. Teammanager Sascha Riether lobte die Arbeit des Nachfolgers von David Wagner, gestand aber ein: "Wenn man die Spiele sieht, fragt man sich natürlich: Was trainieren die unter der Woche?"

Vermutlich steht Baum auf Schalke noch nicht akut zur Disposition. Zu groß waren die Baustellen, die er übernehmen musste. Womit aber mehr und mehr auch Sportchef Jochen Schneider in den Fokus der Kritik rücken dürfte. Der – wenn auch unter großem finanziellen Zwang – zusammengestellte Kader funktioniert nicht, das Festhalten an Wagner über die Sommerpause hinaus erwies sich eindeutig als Fehler. Sollte der von Schneider geschätzte Baum sich nachhaltig als falsche Lösung erweisen, wird es auch für den Sportvorstand eng werden.

Fans gehen gegen Umstrukturierungen im Verein auf die Barrikaden

Eine baldige Trendwende ist nicht nur wegen Mönchengladbach und Leverkusen als nächsten Gegnern derzeit nicht absehbar. Auch abseits des Spielfelds zerlegt sich Schalke selbst. Zusammen mit Marketing-Vorstand Alexander Jobst baut Schneider den Klub um und bereitet eine Ausgliederung der Profiabteilung vor. Laut Bild-Zeitung fielen drei langgediente Abteilungsleiter, die entweder einen Aufhebungsvertrag unterschrieben oder neue Aufgaben erhielten, den Maßnahmen zum Opfer. "Dass durch inhaltliche Verschiebungen auch Gespräche mit Mitarbeitern geführt werden, ist ein ganz normaler Vorgang wie in jedem Unternehmen der Welt", sagte Jobst am Samstag.

Die Fans, die sich schon über die Kündigung der Minijob-Busfahrer in der Jugendabteilung und den "Härtefallantrag" bei der Ticketrückerstattung aufgeregt hatten, gehen gegen die Umstrukturierung auf die Barrikaden. "Unser Verein steht für die Menschen, die ihn leben, und nicht für menschenfremde Unternehmenskultur", hieß es auf einem Transparent beim Spiel der U23 im Parkstadion - kurz vor der nächsten Bundesligapleite in der hermetisch abgeschotteten Arena nebenan.

− dpa/sid/red