Mit Tina Hermann (WSV Königssee) aus Berchtesgaden beendet eine der besten Skeleton-Sportlerinnen aller Zeiten überraschend ihre höchst erfolgreiche Laufbahn. Die 32-Jährige stand der Mediengruppe Bayern wenige Tage nach der Verkündung zu einem Abschluss-Gespräch über ihre aktive Zeit – exakt ein Jahrzehnt im Weltcup-Zirkus – und die Gründe ihres Abschieds Rede und Antwort.
Frau Hermann, Karriere-Abschiede erfolgen meist nach einem letzten Rennen – welches bei Ihnen im März dieses Jahres in Lake Placid stattfand. Sie ließen sich mit der Entscheidung ganz schön Zeit…
Tina Hermann: Der Entschluss stand aber schon im Sommer ziemlich fest, mein näheres Umfeld, die Trainer und das Team wussten bereits einige Zeit Bescheid. Es gab viele Gespräche, unter anderem mit der Bundespolizei, meinem Arbeitgeber. Tatsächlich habe ich mir es etwas leichter vorgestellt, einfach zu sagen, dass jetzt Schluss ist.
„Probleme mit der Hüfte, zuletzt mit dem Rücken“
Was führte letztlich dann doch dazu?
Hermann: Es hat schon länger in mir gebrodelt. Die letzte Saison war sehr schwierig, meine schlechteste bis dahin in der gesamten Weltcup-Zeit. Gipfelnd in der Nicht-Nominierung für die Heim-WM in Winterberg, bei der ich so gern gefahren wäre. Dort hatte ich 2015 mein erstes Weltcuprennen gewonnen. Dazu kamen gesundheitliche Probleme, von Anfang an mit der Hüfte, zuletzt mit dem Rücken. In China musste ich deshalb sogar Trainingsläufe auslassen. Dort halfen mir dann sogar die Bob-Physios, damit ich überhaupt starten konnte. Ich wusste, so nicht weitermachen zu können und versuchte zuerst, mich neu aufzustellen. Vor allem am Start musste etwas passieren, da konnte ich einfach nicht mehr mit den Besten mithalten. Es war ein intensiver, langer Findungsprozess. Dabei habe ich gemerkt, dass nicht mehr genug Feuer und Motivation in mir war, weil viele Punkte einfach nicht mehr gepasst haben.
Es war sicher eine schwierige Entscheidung, die Sie sich anfangs vielleicht noch nicht so richtig eingestehen wollten, oder?
Hermann: Exakt so ist es. Es spielte halt immer der Gedanke mit rein, dass es nur noch zwei Jahre bis zu den nächsten Olympischen Spielen sind – nach für mich zweimal Asien noch dazu endlich mal fast daheim. Da wollte ich eigentlich schon dabei sein.
Olympia ist überhaupt so ein Thema bei Ihnen: Zu einer Medaille hat es beiden Teilnahmen 2018 in Pyeongchang und 2022 in Peking knapp nicht gereicht. Haben Sie dennoch ihren Frieden mit den Spielen gemacht?
Hermann: Es ist, wie es ist. Man kann das nicht erzwingen. Selbstverständlich wäre eine Olympia-Medaille schön gewesen, das wünscht sich jeder Sportler, es ist das größte Event in unserem Sport. Es hat nicht sein sollen. Ich bin total dankbar, dass ich zwei Spiele erleben und diese Erfahrungen machen durfte. Jetzt wurde ich oft gefragt, warum nicht noch diese nahenden Spiele in Europa. Da hängt so viel dran, der Aufwand ist immens, es muss alles passen: Das Material, die eigene Weiterentwicklung, ein Team, dem man zu hundert Prozent vertraut. Man muss alles dafür geben, so viel hinten anstellen, im Grunde alles – dazu war ich nun nicht mehr bereit. Bei Olympia standen und stehen bei uns immer wieder Sportlerinnen vorn, die man dort nicht erwartet hatte. Eine Garantie, dass es für mich diesmal geklappt hätte, gibt es also nicht.
Nach Peking 2022 dachten Sie schon einmal ans Aufhören...Hermann: Als ich im letzten Lauf vom Bronzerang auf Platz 4 zurückfiel, hatte ich eine schwierige Phase, dachte damals schon ans Ende. Aber das Feuer war doch noch da und ich wechselte in die Berchtesgadener Trainingsgruppe zu David Lingmann.
Sie haben sieben WM-Goldmedaillen daheim liegen, ein Rekord. Sie waren und sind die Erste und Einzige bislang, die dreimal in Folge Weltmeisterin wurde. Sie gewannen zweimal den Gesamt-Weltcup und sind bei 19 Weltcupsiegen insgesamt 39 mal aufs Podest gefahren. Bedeuten Ihnen Statistiken etwas?
Hermann: Tatsächlich interessieren sie mich nicht besonders, ich hatte sie nie wirklich im Blick – mir wurden Rekorde meistens von Journalisten mitgeteilt. Mein größter Ansporn war, jedes Rennen zu gewinnen.
Welches Rennen bleibt Ihnen in besonderer Erinnerung?
Hermann: Die WM 2021 in Altenberg, als ich von Platz 11 nach Durchgang 1 noch Weltmeisterin wurde.
Sie hatten durch die Entscheidung jetzt quasi kein echtes Abschiedsrennen...
Hermann: Das macht nichts, für diese sentimentalen Dinge bin ich eh nicht so der Typ. Ich bin aber schon sehr gespannt drauf, wenn die ersten Rennen anstehen und ob mich da ein mulmiges Gefühl befällt. Auf der anderen Seite freue ich mich sehr darauf, das jetzt alles mal von außen beobachten zu können.
Wie geht es Ihnen insgesamt damit, dass es vorbei ist?
Hermann: Ich fühle mich sehr wohl, es war definitiv die richtige Entscheidung. Die Tatsache, dass ich an der Sportschule bleiben darf, macht alles ein wenig einfacher. Das Angebot der Bundespolizei ist einfach großartig, das war schon während meiner ganzen Sportkarriere so, auf die ich jetzt zufrieden zurückschaue. Die Unterstützung, bei meinen Eltern angefangen, war immer großartig, ich bin dankbar, es war eine großartige Reise.
Mussten Sie das „neue“ Leben ein Stückweit lernen?
Hermann: Es war tatsächlich neu für mich, den Tagesablauf – der zur aktiven Zeit in Trainings- wie Wettkampfphasen fast minutiös durchgetaktet war – nun völlig selbstständig zu planen. Einen Urlaub und alles drumherum plötzlich selbst einteilen zu können, war eine ganz neue Erfahrung. Ich habe immer alles für den Sport gegeben und ihm alles untergeordnet, es gab nie viel Raum für andere Dinge. Jetzt ist der Ablauf ein völlig anderer. Ich habe mir jetzt öfter einfach nur Ruhe gegönnt, war auch mal richtig faul, um runterzukommen.
Sie sind Oberkommissarin der Bundespolizei. Was werden Sie jetzt beruflich machen?
Hermann: Ich bleibe der Sportschule Bad Endorf erhalten. Dort sehe ich meine Zukunft. In welche Richtung es für mich geht, ist aber noch offen und noch nicht spruchreif. Fest steht nur, dass ich auf jeden Fall dem Skeleton-Sport erhalten bleiben werde, weil ich da einfach so viele Erfahrungen sammeln durfte. In einer anderen Sportart sehe ich mich ehrlich gesagt nicht.
„Diese Region ist zu meiner perfekten Heimat geworden“
Sie ziehen nach Aschau im Chiemgau um, um näher an Bad Endorf zu sein. Sie verlassen das Berchtesgadener Land also nicht ganz...
Hermann: Meine Wohnung in Bischofswiesen behalte ich erstmal. Diese Region ist zu meiner perfekten Heimat geworden. Ich wurde hier so herzlich aufgenommen und habe es geliebt. Über die Landschaft, die Berge müssen wir nicht reden. Der Watzmann-Blick, das ist alles einzigartig, ein Umfeld, das ich vermissen werde. So richtig trennen kann ich mich von Berchtesgaden nicht und hoffe, dass unser Sport bald wieder am Königssee stattfinden kann. Mir tat die Bahn-Zerstörung im Herzen weh. Es waren aber jetzt die vielen Fahrten nach Bad Endorf, auf Dauer zu anstrengend. Die A8 ist bekanntlich immer ziemlich voll. Jetzt spare ich mir dann doch viel Zeit.
Sie haben nun definitiv Zeit gewonnen, vor allem im Winter. Worauf freuen Sie sich jetzt außerhalb des Sports besonders?
Hermann: Definitiv, mal ganz in Ruhe einen Christkindlmarkt zu besuchen. Und aufs Skifahren (Hermann war in jungen Jahren und vor ihrer Skeleton-Karriere eine ausgezeichnete Alpine, gehörte dem CJD-Skigymnasium am Dürreck an / Anm. d. Red.), das während der Karriere zu risikoreich gewesen wäre. Mehr Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen, ist ein weiteres Ziel.
Das Gespräch führte:Hans-Joachim Bittner
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