„Vom PC aus kann ich alles dirigieren“
Ruhpoldinger Biathlon-Urgestein Wolfgang Pichler unterschreibt bei Bulgarien als Consulter

15.07.2024 | Stand 15.07.2024, 11:04 Uhr |

Ein erstes Kennenlernen zwischen Wolfgang Pichler (Mitte mit Kappe) und dem bulgarischen Biathlon-Team fand bei einem dreiwöchigen Lehrgang in der Chiemgau-Arena statt. Hinter Pichler steht Cheftrainer Robert Kubicki, mit dem er ganz eng zusammenarbeitet. − Foto: Kas

Von wegen Ruhestand: Im kommenden Jahr wird Wolfgang Pichler 70 Jahre alt, aber er hat längst noch nicht fertig. Zu seinen vielen Engagements kommt jetzt ein neues hinzu. Das Ruhpoldinger Urgestein hat einen Zwei-Jahres-Vertrag beim bulgarischen Biathlon-Verband unterschrieben, fungiert dort ab sofort als „Consulter“, eine Art Sportdirektor, denn es handelt sich hierbei um Beratungsdienstleistungen, um die Sportlerinnen und Sportler des Landes näher an die Weltspitze heranzuführen.

„Meine Aufgabe ist es, ganz eng mit Cheftrainer Robert Kubicki zusammenzuarbeiten, Trainingspläne zu erstellen und Abläufe und Ergebnisse zu überwachen“, erklärt der Langlauf- und Biathlon-Experte.

„Talente sind da, aber es wird dauern“

Ein erstes Kennenlernen hat bereits stattgefunden. Der bulgarische Kader war für drei Wochen zu Gast in Ruhpolding, trainierte täglich in der Chiemgau-Arena. „Da war ich erstmals dabei, Talente sind zweifelsohne da, aber es wird dauern. Bulgarien gehört nicht zu den besten 17 Nationen im Biathlon“, erklärt Pichler, der erst einmal zu einem Kongress in dem Lande weilte und seine komplette Arbeit von zu Hause aus verrichten kann. „Das war Bedingung, vom PC aus kann ich alles dirigieren und kontrollieren“, ergänzt der Ruhpoldinger, der alle Vertragsmodalitäten mit Borislav Pankov, dem Generalsekretär des Verbandes, ausgehandelt hat.

Für die bulgarischen Biathletinnen und Biathleten geht es jetzt nach Obertilliach in Osttirol, wo in der letzten Saison der IBU-Cup mit zwei Bewerben abgeschlossen wurde. Viele Nationen nutzen das dortige Biathlon-Zentrum zur Vorbereitung, schließlich hat sich der erfolgreichste Biathlet aller Zeiten, Ole Einar Björndalen aus Norwegen, dort niedergelassen und empfiehlt die Trainings- und Wettkampfbedingungen, so dass sich Olympiasieger und Weltmeister die Klinke in die Hand drücken.

Von Titeln ist Bulgarien noch weit entfernt. „Man darf nicht zu viel erwarten, alles geht langsam, aber der Verband ist sehr engagiert, auch nach der Absage von Ricco Groß als Cheftrainer“, erklärt Pichler, der die jungen Sportler im August wieder in Ruhpolding erwartet. Zustande gekommen ist die Kooperation übrigens über die IBU, wo der Ruhpoldinger seit Jahrzehnten integriert ist. Und es traf sich bestens, dass Pichler auch Robert Kubicki gut kennt. Es ist ein Deutsch-Russe, der in Villingen lebt.

Wie hoch der Ruhpoldinger in Biathlon-Kreisen angesehen ist, zeigte sich jüngst in Reit im Winkl. Dort hatte sich die Mentoring-Gruppe des Internationalen Verbandes getroffen – es wurden Zertifikate übergeben. Pichler steht hier für die Biathlon-Nationen Estland, Ukraine, Rumänien und Kanada. Mit dabei waren auch Jonne Kähkönen, der Trainer der italienischen Weltklasse-Athletin Lisa Vittozzi, und Siegfried Mazet, acht Jahre lang Coach des französischen Teams und seit 2016 Chef in Norwegen. Mit Martin Fourcade hatte er den einst weltbesten Biathleten unter seinen Fittichen und heute ist es „Überflieger“ Johannes Thingnes Bö. Und ausgerechnet Mazet sagte beim Anblick von Pichler: „Jetzt ist der Boss zurück – wir können beginnen!“

Über die Worte habe er sich riesig gefreut. „Da bin ich auch stolz darüber, dass so ein Welttrainer über mich so spricht“, strahlt Pichler, der 45 Jahre lang als Zollbeamter gearbeitet hat und sich als Langlauf- und Biathlon-Trainer in Schweden und Russland nebenher weltweit einen großen Namen gemacht hat. Das Mentoren-Programm bei der IBU sei zwar ausgelaufen, aber die Engagements des Ruhpoldingers sind nach wie vor enorm. So gehört er in Schweden noch einem Mentoring-Pool des Olympischen Komitees an und betreut hier aktuell einen Langläufer, er ist seit dem letzten Jahr Mitglied des Organisations-Komitees beim Weltcup in Ruhpolding und bringt hier seine Ideen ein, und er arbeitet als Schöffe am Amtsgericht Traunstein.

„Sportlich habe ich für mich jetzt alle Ziele erreicht“

Das Wichtigste ist für ihn aber die tägliche körperliche Fitness mit Radfahren, Rudern und Qigong. An Extremen hat es dem 69-Jährigen noch nie gefehlt. So berichtet er nicht ohne Stolz, dass er kürzlich 13 Stunden am Stück auf dem Rad gesessen sei, die Strecke von Ruhpolding nach Reit im Winkl fünf Mal hin- und zurückgefahren sei und etwa 300 Kilometer abgespult habe. Danach sagt er, ohne damit groß Werbung zu betreiben: „Sportlich habe ich für mich jetzt alle Ziele erreicht.“

− kk