Besuch in Amberg
Ein Leben für den Radsport: Bei Andreas Schillinger dreht sich auch nach der Karriere alles ums Rad

18.09.2024 | Stand 18.09.2024, 14:58 Uhr |

Voller Fokus: 2021 war für Andreas Schillinger Schluss als Radprofi. Foto: Imago

200 Tage im Jahr unterwegs, davon 30 000 Kilometer auf dem Rad. Während seiner Karriere als Profi-Radrennfahrer war das Fahrrad der ständige Begleiter von Andreas Schillinger. Heute ist das nicht anders. Der mittlerweile 41- Jährige lebt und arbeitet in seiner Heimat Amberg im eigenen Familienbetrieb. Neben dem Rad hat er aber noch weitere Leidenschaften für sich entdeckt.

  

Zusammen mit seiner Schwester Petra und sechs Mitarbeitern läuft der Betrieb von „Radsport Schillinger” auf Hochtouren. Schillinger ist jeden Tag zehn Stunden vor Ort. „Meine Eltern hatten das Radgeschäft schon, dieses Jahr haben wir 40-jähriges Jubiläum gefeiert. Ich bin damit aufgewachsen.” Auch in den Radsport wurde Schillinger hineingeboren. Die Leidenschaft hat er von seinem Vater geerbt. Bereits mit zwölf Jahren packte ihn die Lust, seine Eltern waren jedoch erst nicht begeistert. „Das kenne ich auch von meinem Sohn. Wenn man den Fernseher anmacht und die schlimmen Stürze sieht, wünsche ich mir jetzt nicht unbedingt, dass er mit dem Radsport beginnt.“

So versuchte sich der junge Schillinger erst mal nur im Tennis. Mit 14 warf er den Schläger aber in die Ecke und begann mit dem Radfahren. „Im ersten Jahr musste ich erst mal reinfinden, aber dann ging es schon los mit den Sichtungsrennen auf bayerischer Ebene, wo ich direkt das erste Rennen gewonnen habe.”

Ralph Denk als Weggefährte

Der Wechsel nach Thüringen zum damaligen Team Köstritzer ebnete ihm schließlich den Weg zum Profi. Nach anfänglichen Erfolgen hatte Schillinger jedoch eine schwierige Phase. Gesundheitliche Probleme und der Doping-Skandal rund um Jan Ullrich führten 2006 dazu, dass es mit dem Sport laut Schillinger „erst mal den Bach hinunter ging“. „Ich habe mich dann bis 2009 durch verschiedene Teams durchgehangelt. Ich habe immer daran geglaubt, dass es noch was werden kann. Ende 2010 kam dann Ralph Denk, der heutige Manager von Red Bull-Bora-Hansgrohe, auf Schillingers Teamkollegen Erik Baumann zu. „Baumanns Bedingung für den Wechsel: Nur wenn Andreas mitkommt.“

Am Ende war Schillinger elf Jahre bei Denk. „Ich identifiziere mich noch heute zu einem Großteil mit der Geschichte von Bora Hansgrohe.” Dass mit Red Bull nun sogar ein ganz großer Player bei seinem früheren Team eingestiegen ist, das findet er klasse. „Ralph hat immer dafür gekämpft, das Team größer zu machen.“

Während seiner Karriere hat Schillinger viel erlebt. Er gerät ins Schwärmen, wenn er zurückblickt. Zu seinen größten Erfolgen zählt er den Sieg von Teamkollege Peter Sagan beim Klassiker Paris-Roubaix. „In dem Velodrom in Roubaix einzufahren und diese 60 Kilometer Pflaster geschafft zu haben, das war für mich schon sehr viel wert. Das war auch das einzige Rennen, bei dem ich bei der Zieleinfahrt brutal emotional war.”

Auf die Tour de France angesprochen, erklärt er das Gefühl als „drei Wochen pure Anspannung“. „Nach den Bergetappen gehst du mit Tinnitus ins Bett. Die Leute warten Stunden oder Tage im Wohnmobil am Berg. Du riechst Grill und Alkohol. Die schreien dir den ganzen Tag ins Ohr.”

Jetzt bewegt er sich in einem ruhigeren Umfeld, die Leidenschaft ist aber geblieben. Der Ex-Profi verbringt heute fast jeden Tag auf dem Rad. „Für mich ist Radfahren Freiheit. Ich habe nur den Wind und die Geräusche der Natur um mich rum. Auch diese Geschwindigkeit. Das macht einfach Spaß. Ich kann das gar nicht so richtig beschreiben“, schwärmt er.

Seine Karriere beendete Schillinger 2021. Gründe dafür gab es verschiedene, auch sein Alter war ausschlaggebend. „Ich wollte mit 40 kein Radsportler mehr sein. Kein Radsport-Opa.” Rückblickend betrachtet vermisst der 41-Jährige seine Profizeit nicht. „Wenn ich den Fernseher einschalte, schon gar nicht.” Durch die neue Technik, wodurch die Fahrräder immer schneller werden, sieht er große Verletzungsgefahr. „Die Art und Weise, Rad zu fahren, hat sich komplett verändert.“

Trotzdem war die Umstellung nach der langen Karriere, „von 200 Tagen im Jahr im Hotel zu 360 Tagen jetzt zu Hause” groß. Gut darauf vorbereitet, schmiedeten seine Schwester und der gebürtige Kümmersbrucker allerdings schon 2011 Pläne für den Ausbau des Familienbetriebes. „Einfach aufhören und schauen, was passiert, das bin ich nicht."

Weitere Leidenschaften

Das Radfahren komplett aufzugeben, kam für ihn dabei nie in Frage. „Wenn ich will, kann ich jeden Abend Fahrradfahren gehen.” Im Gegensatz zu früher gönnt sich der Ex-Profi nun auch mal eine Zwischenpause im Biergarten oder im Cafe. Das Gefühl von Langeweile kennt der 41-Jährige nicht. Neben dem Rad haben es Schillinger noch andere schöne Dinge angetan. Für Reisen begeistert er sich. „Ich hatte mal den Ansatz, dass ich aus jedem Land, aus jeder Kultur etwas Positives mitnehme.” Schillinger hat noch eine weitere Leidenschaft. Er beschäftigt sich gerne mit dem Heimwerken. Vererbt hat ihm diese Passion wohl sein Opa, der Schreiner war.

Allgemein dreht sich bei Schillinger viel um die Familie, die stolz auf seine Leistungen ist. Im eigenen Geschäft hängen viele Trikots und Auszeichnungen des Ex-Profis. Starallüren zeigten sich bei Schillinger aber nie. „Für mich war er immer mein Bruder und nicht der Radprofi, der jetzt bei uns arbeitet“, sagt seine Schwester Petra. Sie bewundert seinen Ehrgeiz, Profisportlerin werden, hätte sie nie gewollt. „Nach dem Giro d`Italia kam er einmal heim und konnte eine Woche nicht mehr laufen. Da dachte ich mir schon, warum hörst du nicht einfach auf.“ Auch die Stürze und Verletzungen ihres Bruders machten ihr zu schaffen. „Am schlimmsten war es natürlich an dem Abend, an dem der Arzt angerufen hat, dass er am Gardasee zusammengefahren worden ist.” 2021 hatte es Schillinger bei einem Trainingsunfall schwer erwischt. Er hatte sich Verletzungen an der Hals- und Brustwirbelsäule zugezogen.

Für die Zukunft wünscht sich Schillinger eines: Dass sich der Radsport weiter etabliert und Jugendliche wieder mehr Spaß am Sport finden. Gerade der ortsansässige Verein RSG Vilstal bereitet ihm aktuell große Freude. Dort gibt der 41-Jährige Tipps aus seiner Zeit als Profi, gleichzeitig motivieren ihn die Nachwuchsfahrer zum Radeln. „Es ist einfach ein Geben und Nehmen – und es ist tierisch gut.” Eines ist klar: Mit dem Radfahren hört Schillinger erst mal nicht auf.

Dieser Text entstand im Rahmen der Lehrredaktion der Mediengruppe Bayern an der Universität Passau. Autorin: Hannah Tahedl

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