Schon allein durch die Dauer des Wettkampfes wird klar, dass nicht alles planbar ist. Wer bei einem Langdistanz-Triathlon über mindestens acht Stunden in drei verschiedenen Disziplinen unterwegs ist, lernt schnell, dass er auch bei unvorhergesehenen Ereignissen cool bleiben muss. Der Wettstettener Triathlon-Profi Nico Wittmann kennt das, bewältigte gerade beim Challenge Roth unangenehme Magen-Darm-Probleme und einen platten Hinterreifen – und spricht dennoch von einem „sehr sehr guten Tag“.
Der Grund ist einfach: Wittmann war so schnell wie noch nie – und hat als Gesamt-27. und Zweiter in der AK30 seine bisherige Bestzeit um über eine halbe Stunde auf bemerkenswerte 8:16:18 Stunden drücken können.
Darmprobleme am Tag vor dem Rennen
„Langdistanz-Rennen sind immer ein Geduldsspiel. Auch wenn es Kleinigkeiten sind, es kann immer etwas passieren. Über die Jahre habe ich gelernt, entspannt damit umzugehen, mich auf das zu konzentrieren, was nun zu tun ist, um das Problem zu bewältigen. Vor ein paar Jahren wäre ich mit Sicherheit nicht so gut durchgekommen“, umschreibt der 29-Jährige die besonderen Herausforderungen seiner Sportart, mit denen er inzwischen so gut klarkommt, wie wohl noch nie in seinem Athleten-Leben.
Dabei war seine Erfahrung und seine Gelassenheit dieses Mal schon am Tag vor dem Start des Rennens über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen gefragt. „Ich bin um sechs Uhr aufgewacht und hatte ordentliche Darmprobleme, bei denen ich gleich wusste, dass sie ganz sicher nicht von der Nervosität kommen“, erzählt Wittmann und kann inzwischen darüber lachen. Dennoch entstand zunächst die Ungewissheit, ob ein Start überhaupt möglich ist. Eine Ernährungsanpassung und die gelungene Aktivierung auf dem Rad und beim Laufen verschafften ihm dann aber die nötige Sicherheit. Dennoch natürlich eine Episode, die in der Anspannung vor dem Start niemand braucht.
Das eigentliche Rennen begann dann aber wie gewünscht. „Beim Schwimmen habe ich schnell meinen Rhythmus gefunden, bin auf der linken Seite durchgezogen und hab unterm Strich eine faire und mental recht entspannte erste Disziplin erlebt“, berichtet er. Zur Erinnerung: Top-Favorit Patrick Lange kassierte im Wasser einen Tritt, aus dem eine Rippenprellung resultierte, die ihn wenig später zur Aufgabe zwang.
Nach einem guten Wechsel fand sich auf der Radstrecke bald eine Gruppe mit sechs bis acht gleichstarken Athleten, die es Wittmann im Rahmen der Möglichkeiten leicht machten. „Es war auch hier ein faires Miteinander, bei dem sich jeder an der Führungsarbeit beteiligt und die Abstände eingehalten hat“, erzählt er.
Bei Kilometer 155 wird der Hinterreifen weich
Als er schon rund 155 der insgesamt 180 Kilometer absolviert hatte, wartete jedoch die nächste Herausforderung: „Ich habe beim Fahren gemerkt, wie der Hinterreifen langsam weich wurde. Zum Glück verlor er die Luft schleichend, sodass ich mir noch ein oder zwei Kilometer lang überlegen konnte, wie ich jetzt vorgehe“, erzählt Wittmann. Ohne kurzen Stopp ging es jetzt aber natürlich nicht mehr. Die CO2-Notfallkartusche verschaffte erste Hilfe, brachte den Reifen wieder in Form, sodass es recht bald weitergehen konnte. „Das hat mich nur eine oder zwei Minuten gekostet. Allerdings habe ich gemerkt, dass die Luft nicht wirklich hält. Also hieß es ab da: Flott in die Wechselzone, damit ich nicht nochmal anhalten muss.“
Bemerkenswert in dieser Phase: Jeremias Gerner, ein Triathlon-Kumpel von der TSG Roth, der selbst noch unterwegs war, bekam Wittmanns Dilemma mit und übergab ihm seine eigene Kartusche – für alle Fälle. „Auch wenn ich sie nicht mehr gebraucht habe, eine ganz starke und superfaire Geste von Jeremias“, sagt Wittmann, der auf den letzten Radkilometern zwar etwas mehr Luft verlor als gewünscht, aber dennoch sicher in der zweiten Wechselzone ankam.
„Zwei Kilometer später gingen die Beine wieder auf“
Mit dem abschließenden Marathon-Lauf begann nun Wittmanns Lieblings-Disziplin – wie gewünscht mit „guten Beinen“, wie er erzählt. Zumindest auf den ersten 15 Kilometern. „Dann habe ich gemerkt, dass die Oberschenkel langsam zumachen. Also musste ich das gute Anfangstempo mit Kilometer-Zeiten zwischen 3:50 Minuten und 3:52 Minuten notgedrungen etwas drosseln“, erzählt er. Vermutlich machten sich hier die Nachwirkungen der Probleme vom Vortag bemerkbar. Erst die Elektrolyt-Tabletten, die ihm seine Trainerin Susanne Buckenlei bei Kilometer 35 reichte, brachten Linderung. „Zwei Kilometer später gingen die Beine wieder auf“, beschreibt Wittmann das erhebende Gefühl, das ihn – weiterhin angefeuert von vielen Bekannten, Freunden und Familienangehörigen – bis ins Ziel und zu einem neuen persönlichen Rekord tragen sollte. Ein Ergebnis, auf das er durchaus stolz sein kann, vor allem wenn man bedenkt, dass seine bisherige Bestzeit aus dem Jahr 2019 bei 8:47 Stunden lag.
Entsprechend wollte sich Wittmann im Anschluss auch nicht allzu lange mit den Darm- oder Reifenproblemen aufhalten und sprach lieber davon, dass dies „definitiv mein bisher bestes Rennen war. Es kann immer etwas schief gehen, das einhundertprozentig perfekte Rennen gibt es einfach nicht. Aber ich hatte schon einen sehr sehr guten Tag“, meinte er – und freut sich auf die nächste, deutlich entspanntere Zeit. „Die kommenden drei Wochen verlaufen ohne Plan und mit wenig Sport“, verspricht er, schließlich mag er sich auch mental von der Challenge erholen.
Erst im Oktober will er den nächsten Wettkampf angehen, ein 70.3-Rennen (Mitteldistanz mit den halben Streckenlängen) im portugiesischen Cascais. Wittmann hofft natürlich dort „gut zu performen“, liebäugelt bereits mit der Qualifikation für die 70.3-WM im Jahr 2025 in Marbella. Aktuell, sagt er, ist das aber noch sehr weit weg.
DK