Seit Wochenbeginn sitzt Colin Müller schon wieder fleißig bei seiner Arbeit im Röhrmooser Rathaus, als wäre nichts gewesen. Dabei hatte sich an den Tagen zuvor einiges ereignet. Richtig Erfreuliches sogar, denn der Sportschütze aus Brunnen brachte das Kunststück fertig, sich bei der Gehörlosen-Weltmeisterschaft in Hannover den Titel in der Disziplin „Kleinkaliber liegend“ zu sichern.
Immer wieder Gold bei Großereignissen
Natürlich, die Freude darüber ist beim 31-Jährigen riesengroß. Aber vor allem Dingen verspürt er große Erleichterung. „Denn der Druck, den ich mir diesmal vor allem selbst machte, war schon immens“, verrät Müller. Der Druck, frühere Erfolge nun mit einem weiteren Topresultat bestätigen zu wollen. Und frühere Erfolge gab es ja eine Menge. So hatte der Brunnener bereits von der WM 2016, damals im russischen Kasan, einmal Gold und einmal Bronze mitgebracht. Bei der Europameisterschaft 2019 in Moskau ging dann sogar dreimal Gold an ihn – ehe er sich bei den Deaflympics 2022, den „Olympischen Spielen der Gehörlosen“, zweimal fulminant auf das oberste Siegertreppchen schoss.
Ja, vor allem an diese Tage im brasilianischen Caxias do Sul denkt der Brunnener immer noch gerne zurück. „Gold bei den Deaflympics ist das Höchste, was es für mich zu gewinnen gibt“, sagt er klipp und klar. Was den Wert von Weltmeisterschaften aber nicht schmälern soll. „Der Beste in seiner Disziplin auf dem gesamten Erdball zu sein, das ist natürlich ebenfalls ein tolles Gefühl“, bestätigt Müller.
Nachdem die WM 2020 wegen der Corona-Pandemie ersatzlos gestrichen worden war, ging der Brunnener jetzt in Hannover als Titelverteidiger in Sachen „Kleinkaliber liegend“ an den Start – was den Fokus der Öffentlichkeit zusätzlich auf ihn richten ließ. Aber Müller konnte mit alledem gut umgehen, qualifizierte sich sicher für das Finale der besten Acht – und ließ es dort dann mit einem sensationellen Resultat in Höhe von 247,9 Ringen so richtig krachen.
„So gut war ich noch nie in einem Finale – nicht einmal in Caxias do Sul“, berichtet der 31-Jährige – das Ganze garniert mit einem stolzen Grinsen. Und das zu Recht, denn seine Marke konnte von keinem Mitkonkurrenten mehr geknackt werden. Sein deutscher Teamkollege Erik Hess aus dem rheinland-pfälzischen Frankenthal kam ihm zwar immer wieder bedrohlich nah, mit ihm musste sich Müller ein spektakuläres Duell bis zum Schluss liefern – aber am Ende hatte er eben doch 0,7 Ringe mehr auf der Anzeigentafel als der Silbermedaillengewinner. Bronze ging schließlich an Dmytro Petrenko aus der Ukraine.
„Immer wenn es galt, eine Schippe draufzulegen, ist mir das auch gelungen“, freut sich der Brunnener über seine erneut unter Beweis gestellte Nervenstärke: „Ich ließ mich tatsächlich durch nichts aus der Ruhe bringen, konnte mich immer wieder entscheidend pushen – und daran konnte nicht einmal der obere Knopf meiner Schießjacke, der plötzlich aufgegangen war, irgendetwas ändern.“
Dass sein Vater extra mit dem Wohnmobil angereist war, um dem Filius dann live vor Ort die Daumen drücken zu können: Müller bedeutete das enorm viel („Es gab mir zusätzlich ein gutes Gefühl“). Wobei auch Teil der Wahrheit ist, dass für ihn in Hannover nicht alles nach Wunsch lief. So fand das Finale in der Disziplin „Kleinkaliber Dreistellung“ komplett ohne den 31-Jährigen statt, er blieb in der Qualifikation hängen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass mir so etwas zuvor schon mal passiert war“, gibt Müller zu: „Aber so ist eben der Sport. Und es gibt halt auch mal schlechtere Tage.“
„Muss mit Urlaubstagen ein bisschen haushalten“
Am Sonntag ging’s für ihn zurück aus Niedersachsen. Heim in den Altlandkreis Schrobenhausen, heim zu seinen Liebsten. Natürlich sei er nach all den Strapazen bei der WM „etwas platt“ gewesen. Aber dass seine Rückkehr trotzdem im familiären Kreis gefeiert wurde, dass auch Bürgermeister Thomas Wagner zum Gratulieren vorbeischaute – das gefiel dem erneuten Goldmedaillengewinner schon. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihm die Augen regelrecht zufielen. „Ich verabschiedete mich dann ganz einfach in mein Zimmer“, verrät der 31-Jährige lächelnd: „Schließlich musste ich am nächsten Tag schon wieder in die Arbeit.“ Aber weshalb so schnell zurück ins Büro? Wieso so schnell zurück in den Alltag? „Ganz einfach: Weil für das Schießen heuer schon so viele Urlaubstage draufgegangen sind, dass ich jetzt ein bisschen damit haushalten muss“, erklärt Müller: „Außerdem ist es etwas anderes, ob man aus Hannover zurückkommt oder aus dem fernen Brasilien – wie beispielsweise vor rund zwei Jahren geschehen.“
Deaflympcis 2025 in Tokio das nächste große Ziel
Beziehungsweise aus Tokio – womit wir auch gleich beim nächsten ganz großen Ziel des Ausnahmeschützen aus Brunnen sind. In der Hauptstadt Japans werden nämlich im Jahr 2025 die nächsten Deaflympics ausgetragen – und natürlich würde Müller dort liebend gerne seine Triumphe von Caxias do Sul wiederholen. „Das wird jedoch verdammt schwer“, betont er sofort. Stand jetzt ist der 31-Jährige noch nicht einmal für das Top-Event in Asien qualifiziert – trotz seiner beiden Goldmedaillengewinne 2022 in Brasilien. „Auch für mich gilt es, immer wieder gewisse Limits zu übertreffen“, bestätigt Müller. Aber wenn es jemand schafft, mit Drucksituationen gut umzugehen und sich in den entscheidenden Momenten zu pushen, dann ist es er. Die Weltmeisterschaft 2024 soeben in Hannover hat dies ja wieder mehr als eindrucksvoll gezeigt.
SZ
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