Skisprung-Saison startet in Wisla
"Dunkler Punkt": Severin Freund spricht im Interview über Rücktritts-Gedanken – und wieso er sie wieder verwarf

20.11.2020 | Stand 17.09.2023, 22:05 Uhr

Sein Blick geht wieder nach oben: Severin Freund will in der bevorstehenden Weltcup-Saison wieder zu alter Stärke finden. −Foto: Eibner/imago

Er hat fast alles erreicht im Skispringen, dann warfen ihn mehrere Verletzungen aus der Bahn. In diesem Winter will der Waldkirchner Severin Freund (32) endlich wieder in die Weltspitze segeln. Die Heimatzeitung hat sich mit ihm über seinen Weg zurück, einen Weltcup-Start ohne Anhaltspunkte und Rücktrittsgedanken unterhalten.

Herr Freund, am Wochenende startet in Wisla der Skisprung-Weltcup in die neue Saison. Wie ist die Gemütslage?
Severin Freund: Es ist das große Warten. Über uns allen schwebt ein großes Fragezeichen. Wir haben bis auf die Polen und einen Teil der österreichischen Mannschaft, die wir im Sommer mal beim Training gesehen haben, niemanden getroffen. Ein Großteil von uns ist den Sommer-Grand-Prix nicht mitgesprungen. Insofern weiß niemand, wo er steht. Und natürlich wird es auch interessant, wie die Weltcups unter Corona-Bedingungen ablaufen. Ich bin mir sicher, dass alles top organisiert ist, aber es wird eine ganz spezielle Saison. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir alles vorgegeben bekommen: Wo wird getestet? Wer muss wann an der Schanze sein? Das wird uns alles gesagt und wir müssen uns nur daran halten. Aber die Gefahr ist natürlich immer da − egal, an wie viele Regeln du dich hältst.

Sie haben im Februar dieses Jahres ihr Comeback im Weltcup nach langer Verletzungspause gefeiert. Wenig später wurde die Saison wegen Corona abgebrochen. Wie sehr hat sie das auf dem Weg zurück in die Weltspitze aus der Bahn geworfen?
Freund: Eigentlich gar nicht so stark. In dem Moment des Abbruchs hat es mich schon getroffen, weil ich gerne noch das Skifliegen mitgenommen hätte. Ich war lange nicht mehr Skifliegen, das wäre ein emotionaler Wegpunkt gewesen, zum Saisonabschluss nach Vikersund zu fahren. An die Schanze habe ich ja auch nicht die schlechtesten Erinnerungen (2015 gewann Freund dort den Weltcup mit dem damals deutschen Rekord von 245 Metern, Anm. d. Red.). Es war aus mehreren Gründen eine komische Situation: Stephan Leyhe verletzt sich, zwischen Tür und Angel erfährst du, dass die Saison jetzt zu Ende ist. Karl Geiger, der als Zweiter im Gesamtweltcup die Saison seines Lebens gesprungen ist, bekommt keine Siegerehrung. Wir mussten irgendwie schauen, dass wir noch nach Hause kommen, bevor die Grenzen zumachten. Aber rein sportlich war es einfach wichtig, dass ich noch Wettkämpfe gesprungen bin und jetzt eine relativ normale Vorbereitung hatte − wenn man momentan von "normal" sprechen kann (lacht).

Sie wurden mit dem Saisonabbruch von hundert auf null heruntergebremst.
Freund: Sprungtechnisch, ja. Aber ansonsten haben wir direkt durchgezogen. Klar, ich hätte mich mal auf einen etwas längeren Urlaub gefreut, aber es war schnell klar, dass da erst einmal nichts geht. Dann haben die Trainer gefragt: "Wäre es für euch in Ordnung, gleich mit dem Krafttraining zu starten?" Zu dem Zeitpunkt hat keiner gewusst, wie es weitergeht. Bevor der Olympiastützpunkt dichtgemacht hat, habe ich mir noch eine Hantel organisiert. Da habe ich die Zeit schon gut nutzen können, auch wenn es natürlich nicht das optimale Training war.

Als Skispringer ist die Zeit daheim ja rar gesät. Durch die Pandemie wurde Ihnen diese jetzt sozusagen geschenkt. Sie haben eine kleine Tochter, haben Sie die Zeit auch ein bisschen genossen?
Freund: Auf jeden Fall. Wenn man mehr daheim ist, ist die Zeit immer sehr intensiv. Aber im Frühjahr war es natürlich speziell. Wir waren aber, ehrlich gesagt, schon froh, als die Kinderbetreuungen wieder aufgemacht haben. Wir haben recht schnell festgestellt, dass man einer Zweijährigen als Erwachsener auf Dauer nicht Herr wird. Die braucht auch den Kontakt mit Gleichaltrigen. Da kannst du dir so viele Spiele einfallen lassen, wie du willst, aber das wird alles irgendwann uninteressant (lacht). Aber die Zeit war extrem schön. Mal Zeit zu haben, ohne an etwas anderes denken zu müssen, das habe ich sehr genossen.

Sie haben eine jahrelange Leidenszeit hinter sich, mit schweren Knie- und Rückenverletzungen. Gab es irgendwann den Gedanken: Wieso tue ich mir das noch an?
Freund: Gerade die Zeit nach der letzten Knieverletzung mit der Meniskus-OP war ein dunkler Punkt. Ich war gerade dran, mich wieder ranzukämpfen. Und dann war da diese Verletzung, die auch noch so diffus war. Ich bin ja nicht gestürzt und habe mir dabei wehgetan. Die Probleme kamen schleichend und keiner kannte so recht die Ursache. Da gab es schon den Gedanken: "Willst du dir das wirklich noch einmal geben?" Eine Meniskus-OP bedeutet, dass du wieder lange pausieren und praktisch bei null anfangen musst. Trotzdem war mir schnell klar, dass ich es noch einmal wissen möchte. Ich traue mir schon zu sagen, dass ich nicht bis in das Alter hinein aktiv sein werde, in dem Noriaki Kasai immer noch springt (48, d. Red.). Aber die nächsten Jahre gibt’s schon noch etwas zu tun. Wenn es mich nicht mehr kitzelt, höre ich auf.

Was sich Severin Freund vom Saisonstart am Wochenende im polnischen Wisla erwartet und wie er nach seiner Leidenszeit auf das Skispringen blickt, lesen Sie kostenlos nach kurzer Anmeldung hier: "Über uns schwebt ein Fragezeichen"