Keine Macht dem Zufall: Wie Bayerwäldler Thomas Schmidberger für Paralympics-Gold schuftet

22.08.2019 | Stand 17.09.2023, 21:58 Uhr

Volle Attacke heißt es für Thomas Schmidberger auf dem Weg nach Tokio. Er will dort Gold holen – daraus macht er keinen Hehl. −F.: Eibner/imago images

Freitagnachmittag. Thomas Schmidberger sitzt am Küchentisch seines Elternhauses am Stadtrand von Viechtach. Er trägt ein legeres T-Shirt, lächelt, wirkt entspannt. Und doch fühlt er sich gerade irgendwie fehl am Platz. "Es ist schon komisch, wenn man drei Wochen vor den Europameisterschaften eine Woche zu Hause ist", sagt er. Seine Konkurrenten verbringen ihre Tage gerade an der Platte. Der amtierende Rollstuhl-Tischtennis-Europameister hat gerade seine Wäsche gemacht und überlegt, ob er abends lieber den Bundesliga-Auftakt des FC Bayern am Fernseher schauen oder zum Gäubenvolksfest-Cup nach Straubing fahren soll. Seit Tagen hat der 27-Jährige keinen Schläger mehr in der Hand gehabt. Wird der Weltranglistenerste und Paralympics-Silbermedaillengewinner jetzt überheblich?

Eher erfahren. Schmidberger weiß, wie er trainieren muss, um auf den Punkt topfit zu sein - in Blöcken. 16 Tage war er gerade Düsseldorf, wo für die Borussia Bundesliga spielt. 16 Tage Training, Regeneration – und wieder Training. Dreimal am Tag. Zuhause in Viechtach dann: Krafttraining. Schuften für sein großes Ziel: Gold in Tokio 2020. Fast auf den Tag genau ein Jahr hat Schmidberger noch bis zu seinen dritten Paralympischen Spielen. 2012, als Neuling, holte er in London Einzel-Bronze und Team-Silber. Vier Jahre später in Rio, als Favorit, gab es zweimal Silber. "Jetzt zu sagen: Mein Ziel ist, wieder zweimal Silber zu holen – das kann ich nicht machen", sagt Schmidberger. "Meine Trainer werden das nicht gerne lesen, aber sie kennen mich und meine Ansprüche." Attacke.

Auf Rio hat der Bayerwäldler, der im Rollstuhl sitzt, seit ihn im Alter von vier Jahren ein Auto anfuhr, gut ein Jahr hingearbeitet. Für Tokio wird er am Ende zwei Jahre geschuftet haben. "Alles, was ich beeinflussen kann, will ich auch beeinflussen", sagt er. Schon vergangenes Jahr ist Schmidberger in die japanische Hauptstadt gereist, um sich an Klima und Kultur zu gewöhnen. "Im Sommer ist es heiß und schwül. Die Japaner sind sehr genau, ganz anders als die Brasilianer."

Tokio 2020 bestimmt sein Leben. Voll darauf fokussieren kann er sich aber noch nicht. Zu viel hat er in den nächsten Monaten noch zu regeln. Seine Bachelorarbeit in Sportokönomie ist so gut wie fertig. Und da sind ja auch noch die Europameisterschaften im schwedischen Helsingborg (16. bis 21. September). Für Schmidberger aber nicht mehr als eine Zwischenstation: "Die EM hat keinen Einfluss mehr auf die Kaderkriterien." Heißt: Egal wie der Titelverteidiger abschneidet, auf seine Einstufung durch den Deutschen Behindertensportverband hat das Ergebnis keine Auswirkung – und damit auch nicht auf Fördergelder. Auf die ist Schmidberger aber dringend angewiesen.

Ohne finanzielle Unterstützung wäre an eine Paralympics-Teilnahme gar nicht zu denken. "Wenn ich nur von den Preisgeldern leben müsste, würde ich unter der Brücke leben", sagt er. Deswegen überarbeitet der Viechtacher gerade seine Vermarktung. Er hat ein achtköpfiges Team um sich geschart – Freunde, Verwandte, Geschäftsmänner. Sie wollen Thomas Schmidberger als Sportmarke bekannter machen, erneuern dessen Online-Auftritt, putzen Klinken bei regionalen und globalen Firmen. Die beste Werbung kann Schmidberger dann in einem Jahr selbst machen – mit Gold in Tokio.