Ann-Christin Marold und ihre Jugend auf dem Eis: "Ich wollte nicht aufgeben"

10.02.2019 | Stand 17.09.2023, 21:56 Uhr

Eine echte Eisprinzessin: Ann-Christin Marold bei den deutschen Eiskunstlauf-Meisterschaften in Stuttgart. Bei ihrem ersten Auftritt bei den Erwachsenen kurvte die 15 Jahre junge Hauzenbergerin als Drittplatzierte gleich aufs Podest. −Foto: Imago

Es war der 29. September 2018, an dem Ann-Christin Marolds Welt für einen kurzen Moment stillstand. "Ich will nicht mehr eislaufen", das war ein Satz von ihr, der in der Eiskunstlauf-Szene rasant die Runde machte. Nach einem schlechten Lauf in Ostrava (Tschechien) war sich die Läuferin aus Hauzenberg (Lkr. Passau) dessen sicher, als sie mit hängendem Kopf und Tränen in den Augen die Bahn verließ: Nie mehr würde sie eislaufen. Heute lacht Ann-Christin herzlich über ihre Sicht von damals. Tatsächlich hat sie nicht aufgehört mit dem Eiskunstlauf. Ann-Christin Marold ist wieder auf dem Weg nach oben.

Einen Beleg dafür liefert Ann-Christins Vater Reinhard. "Der Terminkalender von Ann-Christin gibt zur Zeit nicht viel her", antwortet er auf die Anfrage der Heimatzeitung. An einem Sonntag klappt es schließlich – der einzige Tag, an dem ein Treffen mit Ann-Christin Marold zu Hause in Hauzenberg möglich ist. Seit 1. August trainiert das Eiskunstlauf-Talent sechs Mal die Woche, jeweils zwei bis drei Stunden lang. Bis Ende April geht das so.

Die 15-Jährige ist wie viele andere Sportlerinnen in den Leistungssport "gerutscht". Mit nur vier Jahren stand sie das erste Mal in Eislaufschuhen auf dem Eis. Das Talent war offensichtlich, und so ging es mit Riesenschritten voran. Mittlerweile ist Ann-Christin Marold zweimalige deutsche Junioren-Meisterin. Für ihren Traum nimmt Niederbayerns Eisprinzessin nicht nur lange Trainingseinheiten in Kauf.

Im Frühjahr vergangenen Jahres zog Ann-Christin ins 80 Kilometer entfernte Linz, wo sie seither trainiert. Heimat-, Schul- und Trainerwechsel stellten Marold vor eine psychische Herausforderung, die durch anhaltende Schmerzen in der Hüfte noch größer wurde. Beim Wettbewerb in Ostrava sollte ihr die Situation zum Verhängnis werden. "Es ist einfach alles zusammengekommen – meine Verletzung, der Wechsel mit neuer Schule, neuer Wohnung, neuem Umfeld. Mein Kopf war noch nicht bereit, einen Wettbewerb zu laufen," sagt die junge Eiskunstläuferin. Als nichts so klappen wollte, wie sie es sich vorgestellt hatte, sprach sie vom Aufhören.

Ein Leben mit der Verzweiflung

Auf Ostrava angesprochen, senkt sie verlegen lächelnd den Kopf, kurz darauf lacht sie zusammen mit Mutter Astrid. Heute beteuert Marold, dass die Ankündigung vom Karriere-Ende nie ernst gemeint war. Nachdem "eine Nacht darüber geschlafen" wurde, hätten die dunklen Gedanken schon keine Rolle mehr gespielt, wie Mutter Astrid bestätigt. Momente der Verzweiflung gebe es "im Leben eines Sportlers immer", sagt Ann-Christin lapidar.

Eine Einsicht, die allerdings erkämpft werden wollte: Um sowohl mental als auch körperlich wieder stabil zu werden, nahm sich Ann-Christin eine zweimonatige Wettkampfpause. Aufzugeben war auch deshalb keine Option, um es Mitbewerberinnen zu beweisen. Seit Mitte vergangenen Jahres ist Ann-Christin Marold Teil des Perspektivkaders der Deutschen Eislauf-Union (DEU). Das bedeutet, dass für sie einen Aufstieg in den Olympiakader in Frage kommt – unter der Voraussetzung, dass sie entsprechende Erfolge vorweist. Zieht sich eine Konkurrentin zurück, wird ein Platz frei. Ann-Christin fasst zusammen: "Ich wollte nicht aufgeben, weil sich wahrscheinlich einige darüber gefreut hätten."

Mutter Astrid kennt den Ehrgeiz ihrer Tochter, versucht zu bremsen: "Ann-Christin, du hast schon so viel erreicht. Deine ganze Kindheit ist draufgegangen und jetzt auch noch deine Jugend," sagt sie. Die Tochter neben ihr schüttelt den Kopf. Ein Leben ohne Eiskunstlauf kann sich Ann-Christin nicht vorstellen. Leidenschaft und Ehrgeiz sind zu stark. Gottseidank, müsste man aus Sicht der Sportlerin wohl sagen. Denn ohne diese Eigenschaften hätte Ann-Christin Marold ihre mentale und körperliche Krise wohl nicht unbeschadet überstanden. Jetzt macht sie dort weiter, wo sie vorher aufgehört hat. Auf den ersten Juniorenmeistertitel im Frühjahr 2018 folgte nach ihrem Comeback Anfang Dezember der zweite. Zwei Wochen später durfte sich Ann-Christin Marold erstmals bei den Seniorenmeisterschaften zeigen – und lief als Dritte aufs Podest. Fast so, als wäre nur drei Monate zuvor nie etwas gewesen.

Einen entscheidenden Beitrag geleistet hat das Trainerteam Markus Haider und Denise Jaschek. Mit Gesprächen richtete das Duo seinen kriselnden Schützling wieder auf. Bei pubertierenden Sportlern müsse man nämlich nicht nur genau hinhören, sondern auch vor allem körperliche Vorgänge genau erklären, sagt Haider – denn das Erwachsenwerden macht auch vor Leistungssportlern nicht Halt. Vor eigenen allzu großen Erwartungen soll die ehrgeizige Sportlerin künftig noch besser geschützt werden. "Wir müssen generell ein bisschen längerfristiger denken, denn ich will, dass sie lange dabeibleibt," erklärt Haider. Momentan konzentrieren sich Ann-Christin Marold und ihr Team erst einmal auf das Mitte Februar stattfindende Europäische Olympische Jugendfestival. Mit zwei fehlerfreien Programmen abzuschließen, ist das Ziel. Und dann geht es um nichts weniger als um die Olympischen Spiele 2022. In Tokio will Ann-Christin Marold für Deutschland laufen – und vielleicht denkt sie dann einen kurzen Moment lang an Ostrava zurück.