Mit 130 Sachen auf dem "Fahrrad" bergab: ein Marcher Geschwisterpaar und die Faszination Skibob

09.02.2019 | Stand 09.02.2019, 8:00 Uhr

Autobahn-Niveau: Nicht selten erreichen die Skibobfahrer, hier Silvia Steininger, Geschwindigkeiten von über 100 km/h. −Foto: Plohe

Am Wochenende steigt am Geißkopf (Bischofsmais, Landkreis Regen) der Skibob-Weltcup. Mit dabei: Die Lokalmatadoren Silvia und Simon Steininger. Wir haben sie getroffen

René Röthke ist schuld. Und er weiß es nicht einmal. Unter dem Helm des Eishockeyspielers vom Deggendorfer SC spitzen lange Haare hervor. Bei Simon Steininger spitzen sie nicht nur, sie wehen und wirbeln. Denn: Röthke ist schuld daran, dass Steininger seit Dezember 2017 nicht mehr beim Friseur war. Und mittlerweile sind sie schon länger als die von Röthke.

Steininger ist Helmsportler. Macht er Sport, trägt er Helm. Ganz gleich ob beim Skibob oder beim Eishockey. "Das schaut cooler aus", erklärt er die Verweigerung des Friseurbesuchs und fügt schmunzelnd hinzu: "Die Besten beim Eishockey haben immer lange Haare." Der 18-Jährige spielt Eishockey bei den Regener Drachen und fährt wie seine ältere Schwester Silvia Skibob – im Weltcup. Und trotzdem müssen sie ihren Freunden erklären, was das eigentlich ist, dieses Skibobfahren. "Ich sage immer: Skifahren mit Fahrrad", meint die 21-Jährige. "Und dann zeige ich ein Video."

Skibobfahrer rasen mit ihrem "Fahrrad", dem Skibob, und zwei Fußski in einem abgesteckten Kurs die Piste hinunter – teilweise sogar schneller als die alpinen Rennfahrer. Ein Skibob kann bis zu 24 Kilogramm wiegen. 104 Kilometer pro Stunde hat Simon Steininger mit seinem Handy gemessen. Normal sei es aber noch schneller, "so 120, 130 vielleicht". Stundenkilometer auf Autobahn-Niveau. Silvia Steininger lacht und sagt: "Da geht mir manchmal schon ein bisschen die Düse."



"I hab die Silvia als kloans Madl herangeführt"


Schon als kleine Knirpse fahren die Marcher Silvia und Simon fast jeden Tag Ski am Geißkopf, ehe sie an einem Schnuppertag des Bayerischen Skibobverbandes 2009 in Bischofsmais Skibob kennenlernen. Simon und Silvia sind gerade einmal neun bzw. elf Jahre alt und begeistert.

Ein Anruf bei Martin Würmseer, ihrem ersten Trainer. Stolz erzählt der heute 82-Jährige: "I hab die Silvia als kloanes Madl herangeführt." Von Grund auf habe er den Steiningers das Skibobfahren beigebracht, damals war er Leiter der Sparte Skibob beim SC und Vizepräsident des Bayerischen Verbandes. "Die haben sich auch nicht so dumm angestellt", schmunzelt er. Würmseer trainiert sie so lange, bis sie vom Verband entdeckt werden. Und das gleich beim ersten Wettkampf überhaupt.

Ab da ging es für Silvia Steininger relativ schnell relativ weit nach oben. Erstes Weltcup-Rennen mit 14, erster Weltcup-Sieg mit 16. 2018, mit 20, holte sie sich den Weltcup-Gesamtsieg – ihr bisher größter Erfolg. "Wenn wir einmal wenig zu fahren haben, sind es 600 Kilometer hin und zurück", erzählt Monika Steininger, Mutter und Spartenleiterin Skibob beim SC. Von Oktober bis Weihnachten ist Training angesagt, nach Weihnachten bis März Wettkämpfe.

Wie sich Weltcup am Wochenende mit einem Studium vereinbaren lässt, beweist Silvia Steininger, die an der Universität in Regensburg Grundschullehramt studiert. Ihre Kurse legt sie so, dass am Freitag frei ist – um auf Wettkämpfe nach Österreich, Frankreich oder Polen fahren zu können. "Es gibt Weltcupfahrer, die sich das nicht so leicht einteilen können", erzählt sie.

"Anstrengend wird es im Februar, weil da Hochphase im Skibob und in der Uni ist." Vergangenes Wochenende war sie in Österreich beim Weltcup, unter der Woche vier Prüfungen in Regensburg und jetzt der Heim-Weltcup. In Bischofsmais. Am Geißkopf. Ihrem Berg. Zum ersten Mal. Druck? "Das hört sich jetzt blöd an, aber jetzt muss ich erstmal an meine Prüfungen denken", sagt Steininger am vergangenen Sonntag. Ein Satz, bei dem Professoren dahinschmelzen würden.

Aber natürlich sei sie motiviert: "Es ist schon eine Ehre, dass alle von mir denken: Die könnte etwas gewinnen." Und: "Ein bisschen nervös bin ich schon", gibt sie zu. Ihr Ziel: das Podest. Unterhält man sich mit ihrer Mutter oder ihrem Trainer, wird schnell klar, warum sich Silvia im Weltcup etabliert hat: Ehrgeiz. "Ich glaube, der ist angeboren", sagt sie selbst. "Ich liebe Wettbewerbe. Es gibt, glaube ich, einfach so Wettbewerbsmenschen. Egal, ob Ortsmeisterschaft oder Weltcup, ich bin immer angespannt und nervös."

Technisch anspruchsvoll müsse es sein, dann sei immer mit dem Wettbewerbsmenschen zu rechnen, meint Bundestrainer Clemens Müller. "Ihre Stärken liegen in der Technik, nicht in der Geschwindigkeit." Ein großer Entwicklungssprung sei nicht mehr zu erwarten, weil Platz eins schon jetzt immer greifbar sei. Ihre Lieblingsdisziplin: Slalom. Simon dagegen liebt Riesenslalom und Super-G. "Er hat Spitzen und Tiefen und die lotet er jedes Jahr aus", meint der Augsburger Müller, der auch für Bischofsmais startet.

Bei der Frage, was den Skibob besonders mache, muss Silvia Steininger nicht lange überlegen: Geschwindigkeit, der Adrenalinkick und die Kräfte in der Kurve. Kräfte, die einen nach außen ziehen. Das hat man beim Skifahren aber auch. Aber: "Ski fährt man aus den Beinen, beim Skibob ist der ganze Körper gefordert." Und: "Skifahren macht jeder, aber Skibob ist etwas Spezielles."

Finanziell werden die Steiningers von ihren Eltern unterstützt, denn professionelle Weltcupfahrer hat der Skibob nicht. Jeder hat seinen Beruf, mit dem er sich das Material für sein Hobby verdienen muss. Ein Bob kostet ungefähr 4000 Euro. Dazu kommen die Ski, die immer mal wieder ausgetauscht werden müssen. Der Verband zahlt Übernachtung, Liftkosten und Startgeld.

Wenn der Skibob kaputt geht, wird der Werkzeugkasten ausgepackt. "Der Simon interessiert sich da auch für die Technik und will schon selbst an seinem Bob basteln", erzählt Monika Steininger. Seit er 16 ist, fährt er Weltcup. Er kämpfe sich heran, meint seine Mutter. Aber: "Da sind einige Tschechen und Österreicher dabei, an denen man erst einmal vorbeikommen muss."

Monika Steininger fiebert dem Weltcup entgegen, Druck gibt es keinen: "Die sollen da einigermaßen locker runterfahren, wobei das sowieso kaum möglich ist, wenn Leute neben der Piste stehen, die man kennt." Den Druck mache er sich selbst, meint Simon. Denn: "Meine Freunde fragen immer, was das ist, deswegen habe ich sie eingeladen." Wenn am Samstag also der Startschuss fällt, geht es für die Steiningers nicht nur wie bei jedem anderen Weltcup ums Gewinnen. Es geht auch darum, ihren Freunden ihren Sport zu zeigen.

Wobei Skibob nicht Simons einziger Sport ist. Es gibt da ja noch die René-Röthke-Gedächtnis-Haare. Skibob oder Eishockey? "Da kann ich mich nicht festlegen", sagt Steininger. Er geht in die 12. Klasse des Gymnasiums Zwiesel und will danach in Regensburg studieren, Tendenz: Mittelschullehramt. "Dann muss ich schauen, ob das weiter so möglich ist. Und wenn nicht, stehe ich vor einer sehr schweren Entscheidung." Tobias Himmelstoß, Vorstand des ERC Regen und langjähriger Begleiter von Steininger, meint: "Wenn er so weiter macht, ist er irgendwann vorne dabei in Regen."

"Simon kann eine madige Stimmung hochpushen"

Zeit für seine Sportarten findet Simon Steininger fast immer: "Selbst wenn man Schulaufgaben und Stress hat, hat man trotzdem ein bisschen Zeit und die muss man nutzen und nicht nur..." Pause. Simon schaut Silvia an. Beide lachen und beenden den Satz: "...rumjingeln." Was im Skibob-Team so viel heißt wie entspannen.

Trainer Clemens Müller sieht die Steiningers als zentrale Figuren in seiner Mannschaft. "Bei Silvia ist ihre Sozialkompetenz hervorzuheben. Sie weiß genau, wie man mit anderen umgeht." Und Simon? "Der kann mit seiner Witzigkeit eine madige Stimmung immer nach oben pushen."

Skibob und Eishockey sind für Simon Steininger keine doppelte Belastung. Doppelter Spaß trifft es besser. "Es hängt schon einiges dran, aber es ist keine wirkliche Belastung", sagt Simon. Silvia wirft lachend dazwischen: "Na ja, das Ausschlafen kommt schon ein bisschen zu kurz."