"Habe geflennt": Wie aus dem Kitz-Trauma von Streif-Held Ferstl ein Traum wurde

29.01.2019 | Stand 17.09.2023, 21:56 Uhr

Aus dem Schatten des Vaters: Josef Ferstl hat sich mit seinem Sieg in Kitzbühel endgültig vom prominenten Papa emanzipiert. −Foto: Herbert Neubauer/dpa

Schon verwunderlich, dass Josef Ferstl nach diesem Erlebnis überhaupt noch einmal auf die Ski gestiegen ist. Vor 24 Jahren, da steht "Pepi", gerade sechs Jahre alt, zum ersten Mal vor der Mausefalle. An der Stelle, wo es so steil ist, dass man an der Kante das Ende der Welt vermutet. Dort, wo Legenden geboren werden. Wie sein Vater. Sepp Ferstl, heute 64, will dem Sohn zeigen, wo und wie er 1978 und 1979 triumphiert hat. Auf der Streif in Kitzbühel. Ferstl senior schiebt kräftig an und schießt talwärts. Wie ein richtiger Abfahrer halt. "Und was ist passiert? Er verkantet und fliegt oben am Start ins Netz rein", erzählt sein Sohn heute. "Ich habe geflennt."

Knapp ein Vierteljahrhundert später bewahrt "Pepi" Ferstl, inzwischen 30 Jahre alt, die Fassung – wenn auch mit Mühe. "Ich muss mich gerade echt ein bisschen zusammenreißen." Aus dem kindlichen Trauma ist im Laufe der Jahre ein Traum geworden. Und nun, 40 Jahre nach dem zweiten Abfahrts-Sieg des Vaters hat Ferstl junior den Super-G am Hahnenkamm gewonnen, als erster Deutscher. "Ich bin ja schon ein harter Kerl, aber jetzt kommt’s ein bisschen hoch, dass es wirklich so weit ist", sagt der Tenglinger (Gde. Taching, Lkr. Traunstein) im Ziel.

Mit Nummer 1 geht Ferstl ins Rennen, eigentlich ein Nachteil in den Speed-Disziplinen. Doch ein Favorit nach dem anderen scheitert an der Zeit des Oberbayern vom SC Hammer. "Krass, ich hätte es nicht geglaubt", sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Der Sieg beim Klassiker des Weltcups. Vor den Augen des Vaters, der ihm einst so einen Schreck eingejagt hat.

Vom netten "Spitzbua" zum fokussierten Vater

Bei der Siegerehrung stehen die beiden dann zusammen. Der Senior reicht den Pokal dem Junior, dem einst selbst ernannten "Spitzbua". Ihr Verhältnis ist innig, doch lange blockiert den Sohn die Prominenz des Vaters, zumindest sportlich.

Als Ferstl Mitte 20 ist, gehört er zum Stamm des deutschen Speed-Teams. Die Leute kennen ihn. Nicht, weil er mehr oder weniger regelmäßig Weltcup-Punkte einfährt. Er ist als "Sohn von" bekannt. Ferstl habe "immer ein wenig unter der Bürde des Vaters gelitten", sagte der DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier am Sonntag.

2016 reißt sich der "Pepi", wie ihn seit der Kindheit alle nennen, das Kreuzband. In der Zeit bringt Ehefrau Veronika Tochter Leni (heute 3) zur Welt. Vergangenes Jahr folgt Hannes (1). Seit Ferstl Vater ist, agiere er viel mehr mit Köpfchen und weniger nach Bauchgefühl, heißt es. "Nett, sensibel und sehr talentiert" sei Ferstl schon immer gewesen, sagt Cheftrainer Mathias Berthold. Aber erst 2017 platzt der Knoten, mit 28. Der Tenglinger gewinnt den Super-G in Gröden, noch so ein Klassiker, aber nicht vergleichbar mit den Kitzbühel-Rennen. Nun bekommt "Pepi" eine eigene Gondel an der Hahnenkammbahn. Die trägt zwar den gleichen Namen wie die des Vaters, zeigt aber doch symbolisch, dass sich der Sohn vom Vater emanzipiert hat. Gut möglich, dass er ihn bald überholt.

Weltmeister war Sepp nie. "Pepi" zählt bei der WM in Are (ab 5. Februar) nun zum Favoritenkreis – auch in der Abfahrt, in der er am Freitag Siebter wurde. Druck? "Ich kann ganz gut damit leben." Außerdem habe er ohnehin eine ganz eigene Rangordnung, sagt Ferstl: "Ich muss diesen Sieg über eine Medaille heben, weil einfach die Familienstory dahinter steckt." Für "Pepi" begann sie mit dem Papa im Fangzaun.