Von der Straße in die Loipe – wieso drei Brasilianer beim IBU-Cup am Arber starten

18.01.2019 | Stand 17.09.2023, 21:55 Uhr

"Er ist immer gut drauf, arbeitet aber auch sehr hart an sich", sagt Trainer Luca Bormolini über Lucas Martins (Bild oben), der hier mit seinem Handy ein Erinnerungsvideo aufgenommen hat. −Fotos: Bastian Mühling

Brasilianische Biathleten? Hört sich kurios an, ist es auch. Beim IBU-Cup am Arbersee gehen drei Skijäger von der Copacabana an den Start. Unser Reporter hat sie am Rande der Wettkämpfe begleitet – und deren spannende Geschichte aufgeschrieben.

Hat er sich jetzt verirrt oder ist er einfach nur beeindruckt von so viel Schnee? Lucas Martins steht nun schon seit mehreren Minuten auf einem Hang. Neben ihm quälen sich die Athleten den Berg hoch, Martins’ Blick aber wandert vom Schnee über die Bäume zu einem Schild mit zwei Pfeilen. Der eine zeigt nach oben, der andere nach rechts. Schaut man aber genau hin, erkennt man, dass er gar keine Wegweiser sucht. Er umklammert sein Smartphone und nimmt auf.

In dem Schnipsel erzählt Martins, was er hier gerade macht (Biathlon) und wo er gerade ist (beim IBU-Cup am Großen Arber im Bayerischen Wald). Später wird er das Video dem brasilianischen Verband sowie Familie und Freunden in Brasilien schicken. Biathleten, die die Natur und den Schnee so zu schätzen wissen wie Martins, sind wohl eher in der Minderheit. Martins ist 20 Jahre alt und kommt aus Sao Paulo in Brasilien, wo traditionell wenig Schnee vom Himmel fällt. Er hat also allen Grund, kurz vor Trainingsschluss auf dem Hang stehen zu bleiben und ein Erinnerungsvideo zu drehen.

Noch dazu ist er zum ersten Mal bei den Männern dabei, um Erfahrungen für die Junioren-Weltmeisterchaft Ende Januar zu sammeln. Normalerweise läuft und schießt er im Junior-Cup. Vergangene Woche durfte er erstmals eine Liga höher in Polen ran, jetzt ist er im Bayerischen Wald am Start. Hier musste aber zunächst sein Umgang mit der Waffe, das "Handling", überprüft werden. Martins überzeugte. "Die Pisten hier sind sehr gut, aber es ist viel härter als beim Junior-Cup", meint der Brasilianer.

Biathlet und Brasilianer in einer Personenbeschreibung hört sich zunächst einmal nach zahlreichen Tippfehlern an, wie kommt also ein junger Mann im Land des Fußballs, des Sambas und der Sonne zum Biathlon? Die Antwort ist simpel: "ski nas ruas", portugiesisch für "Ski auf der Straße". Leandro Ribela, ein brasilianischer Biathlet, gründete in Sao Paulo das gleichnamige soziale Projekt, bei dem Kinder aus Favelas das Rollerskifahren lernen. Ribela wollte die Kinder und Jugendlichen aus den Armen-Vierteln aber auch sozialisieren und zum Studieren "zwingen": Wer nicht zur Schule geht, wird nicht in das Projekt aufgenommen.

Martins lernte bei "ski nas ruas" Rollerskifahren und drei Jahre später in einem Trainingscamp in Argentinien das Schießen. Heute fliegt er von Dezember bis März nach Italien zu Training und Wettkämpfen. Und im Sommer? "Da trainiere ich auf dem Campus der Universität von Sao Paulo auf Rollerski und schieße mit Laser-Gewehr", erzählt er.

Aus der Trainingsgruppe pflügen momentan drei brasilianische Athleten über die Pisten am Arbersee. Neben Martins gehen noch zwei Frauen an den Start. Gabriela Neres lernte mit neun Jahren Inline-Skating und war begeistert. Danach suchte die heute 22-Jährige etwas Ähnliches und kam so zum Rollerski. Erster Wettkampf im Langlauf in Argentinien, anschließend erstes Schießen in Schweden. Seit sieben Jahren nun ist die aus der Hauptstadt Brasilia stammende Biathletin schon bei der Trainingsgruppe in Italien.

Beim Mittagessen im Hohenzollern Skistadion scherzen Trainer und Athleten auf Englisch, es ist der fröhlichste Tisch in der für die Mannschaften reservierten Hütte. Trainer Luca Bormolini erklärt: "Die Brasilianer bringen eine andere Kultur in unsere Gruppe. Am Anfang war die Umstellung sehr schwer für sie. Aber jetzt sind sie europäischer geworden und wir südamerikanischer."