Ultra-Trails statt Fußball: Er kickte in der Bezirksliga – jetzt läuft er 130 (!) Kilometer am Stück

19.07.2018 | Stand 25.10.2023, 11:05 Uhr

Auf Gran Canaria: Karge Landschaft, felsige Wege – so ging’s für Martin Grill im Februar über 128 Kilometer und 7500 Höhenmeter quer durch die Atlantik-Insel vor der Küste Westafrikas. − Fotos: Privat

Wer sich schon einmal als Bergwanderer "gemütlich" in zwei Tagen übers Kaitersberg-Massiv, über Kleinen und Großen Arber und dann im Künischen Gebirge übers Zwercheck auf dem felsigen Grenzkamm zwischen Bayern und Böhmen zum Osser gequält, sich dabei Blutblasen und schmerzende Gelenke geholt hat, der kann ungefähr erahnen, was es bedeutet, den Lamer Ultra Trail in weniger als sechs Stunden zu bewältigen. 54 Kilometer über Stock und Stein, über Wurzeln und Sturm-Holz, 2700 Höhenmeter bergauf, 2700 bergab, fast immer im Laufschritt – und doch war die ultimative Bayerwald-Berglauf-Schinderei vor wenigen Wochen eigentlich ein Klacks für Martin Grill (35).

Den Mittdreißiger aus Tiefenbach im Landkreis Passau, für den sich sportlich bis 2014 alles nur um Fußball drehte, reizen nach anfänglichen Halbmarathons und Marathons (der erste 2015 im Dreiburgenland) jetzt nämlich die ganz großen Herausforderungen. "Kurze Rennen oder Straßenläufe sind mir zu stressig, ich mag es lieber, auszuloten, wie weit mein Körper ausdauermäßig solche Herausforderungen mitmacht", sagt der einstige Außenverteidiger des FC-DJK Tiefenbach, der für seinen Heimatverein von der Jugend weg einige Hundert Spiele absolvierte, davon immerhin 74 in der Bezirksliga.

Und sein eher schmächtiger, aber durchtrainierter Körper (1,70m/68 kg) macht weit mehr mit, als sich der Hobbysportler früher selbst hätte vorstellen können. 2017 wagt er sich an den Zugspitz-Ultratrail (102 km/5480 Höhenmeter) – und muss nach 80 Kilometern entkräftet aufgeben. Dann an den Großglockner-Ultratrail (110 km/6500 hm) – und muss nach 60 Kilometern mit Magenproblemen aufgeben. Das

Ausloten der Grenzen scheint ihn an seine Grenzen gebracht zu haben. Zeiten und Platzierungen sind ihm egal. "Mir geht’s nur ums Durchkommen."

Und Martin Grill beißt sich trotz erster Rückschläge durch: Ende Februar finisht er als achtbester Deutscher unter rund 1100 Startern beim ultraharten "Transgrancanaria"-Rennen – und das nach knapp 21 Stunden (genau: 20:55:58) über 128 beinharte Kilometer einmal quer über die zu Spanien gehörende Felsen-Insel im Atlantik vor Westafrika. Nicht zu vergessen dabei sind die 7500 Höhenmeter, die es dabei zu erklimmen gilt – das entspricht dreimal dem Höhenunterschied von Passau (ca. 300 m Meereshöhe) hinauf auf die Zugspitze (2962 m) – jenseits der Vorstellungskraft jedes Freizeitläufers.

Wie so etwas zu schaffen ist? Grill erinnert sich: "Wir sind um 23 Uhr Ortszeit in Las Palmas gestartet, du läufst mit Stirnlampe, immer voll konzentriert, damit du auf dem holprigen Weg nicht umknickst. Um 10 Uhr früh, nach gut der Hälfte der Strecke, war ich schon komplett fertig, wieder nah am Aufgeben. Aber dann bin ich ein Stück gegangen, hab’ mich etappenweise immer so zehn Kilometer von einer Verpflegungsstation zur nächsten gerettet – und bei Kilometer 80 war ich plötzlich so gut drauf, als hätte ich das Laufen gerade angefangen. Dieses coole Gefühl hat mich bis ins Ziel in Maspalomas getragen."

Seit er 2014 seine Fußballstiefel an den Nagel gehängt hat, bestimmt Trail-Running das Leben des 35-Jährigen, der als Betriebsmittel-Konstrukteur bei der Zahnradfabrik Passau arbeitet. "Ich hab’ einen sitzenden Beruf, da brauche ich einen sportlichen Ausgleich" – begründet Grill seinen Wechsel vom kickenden Teamplayer zum einsamen Dauerläufer in unwegsamem Gelände.

Gibt’s nach Gran Canaria noch ein Traumziel in seinem Trailrunner-Leben? "Ende Juli geht’s nochmal zum Großglockner Ultratrail – mit dem hab’ ich ja noch eine Rechnung offen", lacht der bescheidene Ausdauerspezialist. Aber sein Start über Schotter, Geröll und teils sogar Schneefelder rund um den höchsten Berg Österreichs (3797 m) – vorbei an 14 Gletschern und 300 Dreitausendern – hat auch ganz pragmatische Gründe. Grill sammelt mit jeder Zielankunft bei seinen Extremläufen Qualifkationspunkte für seinen ganz großen Traum. "Wenn ich den Großglockner-Trail schaffe, habe ich die Punkte beisammen für die Anmeldung zum Ultra-Trail de Montblanc" – also rund um den mit 4810 Metern höchsten Alpen-Gipfel.

Das ist zumindest in Europa der König der Ultratrails, da geht’s heuer Ende August über 171 Kilometer und 10300 Höhenmeter rund ums Montblanc-Massiv, gelaufen wird auf einer Höhe meist um die 1500 bis 2500 Meter. Das Problem dabei, so Grill: "Trailrunning wird immer beliebter, der Montblanc-Lauf ist bei rund 4000 Startern über verschiedene Strecken jedes Jahr doppelt überbucht und die Teilnahme entscheidet sich im Losverfahren." Frühestens 2019 also kann Martin Grill sich auf den Gipfel der Schinderei in den französischen Alpen freuen. Aber er steht ja auch erst am Anfang als Trailrunner – und eins ist sicher: Der Montblanc läuft ihm nicht davon.