Die deutsche Fußball-Krise

Flicks Zukunft, der Kurs der Nationalmannschaft: Die Beteiligten starten mit Versteckspiel

07.12.2022 | Stand 17.09.2023, 21:43 Uhr

Will er weitermachen? Bundestrainer Hansi Flick schritt am Mittwochvormittag ohne Unterstützung von Intimus Oliver Bierhoff zum Rapport bei DFB- und DFL-Spitze. −Foto: dpa

Von Klaus Bergmann

Vor dem Krisengipfel stand ein Versteckspiel. Vergebens warteten Reporter und Fotografen am Frankfurter DFB-Campus auf Verbandspräsident Bernd Neuendorf, DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke und Bundestrainer Hansi Flick. Doch das Trio erschien zur verabredeten großen Analyse des deutschen WM-Scheiterns in Katar erst am Mittwochnachmittag in einem neun Kilometer entfernten Luxushotel auf der Bildfläche, in dem die Fußball-Nationalmannschaft schon mal vor Länderspielen logiert.

Fotos der „Bild“-Zeitung zeigten, wie Flick mit Handy in der einen und Jacke in der anderen Hand zum Eingang schreitet. Neuendorf hatte eine Aktentasche dabei. Und Watzke kam mit einer silbernen Rollkoffer. Auf der Gesprächs-Agenda der Dreierrunde stand die nach dem WM-Vorrunden-Aus offen gebliebene Zukunft von Flick als Bundestrainer sowie die weitere Neuaufstellung der Nationalmannschaft auf dem Weg zur Heim-EM 2024. „Wir müssen den Blick nach vorne richten“, hatte Verbandschef Neuendorf gesagt.

Ursprünglich war die Krisen-Runde als Vierer-Treffen geplant. Doch mit der rasend schnell erfolgten Demission von DFB-Direktor Oliver Bierhoff war bereits zu Wochenbeginn eine erste personelle Konsequenz gezogen worden. Die Woche der Entscheidungen im deutschen Fußball ist damit aber noch lange nicht rum. Als Königsmacher gilt dabei vielen Dortmund-Chef Watzke. Beraten und diskutiert wird aber auf vielen Ebenen und in etlichen Gremien.

Am Donnerstag tagen die Präsidenten der Landesverbände mit DFB-Chef Neuendorf. Auf vier Stunden ist die Sitzung angesetzt. Die Amateure wollen aus erster Hand erfahren, wie es weitergeht – gerade auch mit Flick. Eine erfolgreiche Nationalmannschaft ist wichtig für die Arbeit an der Basis. Es geht immer auch ums Geld. Mit dem WM-Viertelfinale war beim DFB kalkuliert worden. Acht Millionen Euro an FIFA-Prämien fehlen nach dem Vorrunden-Aus. Am Donnerstag konferiert außerdem der Aufsichtsrat der DFB GmbH. Und am Freitag folgen das DFB-Präsidium und der DFB-Vorstand.

Heiß diskutiert und spekuliert wird über die Bierhoff-Nachfolge. Der medial stark gehandelte Ex-Nationalspieler Fredi Bobic winkt aber derzeit ab. „Ich habe einen Job, ich fühle mich sauwohl bei Hertha“, sagte der Sport-Geschäftsführer des Berliner Bundesligisten am Mittwoch. Der 51-Jährige riet dem DFB dazu, sich zunächst „um die Inhalte, um Profile“ zu kümmern – und nicht um Personen.

Vorrangig ist ohnehin die des Bundestrainers: Weiter mit Flick? Viel WM-Fußball hat der 57-Jährige nicht geschaut seit der Rückkehr aus Katar. Als zentrale Erkenntnis steht in seiner Analyse, dass viel mehr drin gewesen wäre bei seinem ersten Turnier als Bundestrainer – trotz der negativen Schwingungen abseits des Platzes wie die übergroße Katar-Debatte mit der „One Love“-Kapitänsbinde.

Keine Mannschaft verzeichnete in der Gruppenphase mehr Torschüsse als die DFB-Auswahl, nämlich 69. Aber es landeten nur sechs im Tor. Das Nationalteam kam nicht in den von Flick spätestens in der K.o.-Phase erwarteten Turnier-Flow. „Die Summe der Spiele hat dazu beigetragen, dass wir ausgeschieden sind“, analysierte der Bundestrainer.

Mit dem Aus von Japan und Spanien im Achtelfinale hat sich aber auch die Stärke der deutschen Gruppe im Nachhinein relativiert. Das war übrigens auch schon bei der EM 2021 unter Joachim Löw der Fall: Die Mitglieder der „Hammer“-Gruppe Deutschland, Frankreich und Portugal flogen alle im Achtelfinale raus.

Verdient Flick eine zweite Chance? Diese Frage müssen Neuendorf, Watzke und der Bundestrainer beantworten, für sich selbst und gemeinschaftlich. Aus ihr folgt, ob Flick die Europameisterschaft 2024 trotz des Katar-Makels anvertraut werden kann. Das Heimturnier eröffnet die Chance, die Nation wieder hinter der Nationalmannschaft zu versammeln.

Neuendorf und Watzke könnten auch zum Ergebnis kommen, dass ein Neuanfang mit einem anderen Trainer angeraten ist. Thomas Tuchel ist aktuell ohne Job. Und Stefan Kuntz, derzeit Nationaltrainer der Türkei, hatte in der Vergangenheit großen Erfolg mit der U21.

Flick hatte - noch in Katar - große Lust auf die EM verströmt: „Mir macht es Spaß. Wir haben eine gute Mannschaft, gute Spieler, die nachkommen.“ Er hat in 16 Monaten eine enge Verbindung zu seiner Mannschaft aufgebaut. Er war aber auch ganz besonders eng mit Bierhoff verbunden, der dann noch vor der WM-Analyse seinen Posten räumen musste.

Für Flick war das ein Schlag. Er empfindet die Fokussierung der Schuld auf seinen Freund und Vertrauten als Wahnsinn. Tief ließ Flicks öffentliches Statement blicken: „Meinem Trainerteam und mir fällt im Moment die Vorstellung schwer, wie die durch Olivers Ausscheiden entstehende Lücke fachlich und menschlich geschlossen werden kann.“ Daraus konnte auch gelesen werden, dass Flick nicht jeden Nachfolger akzeptieren würde.

Wer übernimmt Bierhoffs Aufgaben? Der frühere Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack plädiert wie Bobic zunächst für einen „Findungsprozess“. Andere Ex-Internationale oder Experten argumentieren vorzugsweise mit Namen, von Bobic und Ralf Rangnick bis hin zu Thomas Hitzlsperger oder Per Mertesacker. Und Watzke dürfte daran gelegen sein, seinen Dortmunder Chef-Berater Matthias Sammer auch beim DFB wieder einzubinden.

„Es war jetzt Zeit, dass jemand anderes kommt“, sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger zur Demission von Bierhoff nach 18 Jahren. Nahe am Team wünscht sich der Weltmeister von 2014 einen Nachfolger, „der vielleicht unbequemer ist für die Spieler, vor dem die Spieler auch Respekt haben“. Womöglich ein Kontra-Punkt zum Harmonie getriebenen Flick?

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