Hamilton gewinnt und zieht gleich
Adrenalin-Wahnsinn und Skandal-Basar in der Wüste: Verstappen bangt um Titelchance

05.12.2021 | Stand 05.12.2021, 21:21 Uhr

Dieses Rennen war nichts für schwache Nerven: Max Verstappen muss nach einem unsportlichen Manöver um seine Chance auf die erste Formel-1-Weltmeisterschaft bangen. −Fotos: Isakovic, afp/dpa

Im irren Premieren-Rennen von Saudi-Arabien mit Crashs, Safety-Car-Phasen und Unterbrechungen hat Lewis Hamilton die vorzeitige Krönung von Max Verstappen verhindert und das ultimative Finale im völlig vergifteten WM-Duell der Generation am kommenden Sonntag in Abu Dhabi perfekt gemacht. Verstappen musste sich nach einer Fünf-Sekunden-Strafe und mehrfacher knallharter Kompromisslos-Attacken gegen den Briten am Sonntag im Adrenalin-Achterbahnrennen dem Formel-1-Titelverteidiger geschlagen geben.

Hamilton zog nach Punkten mit dem 24 Jahre alten Niederländer mit dem dritten Sieg in Serie und der schnellsten Runde beim mitreißenden PS-Thriller mit Überlänge in der WM-Führung gleich – was für ein Hollywood-Szenario für das letzte Rennen dieser Saison. "Großartiger Job, Jungs, so mag ich das", funkte Hamilton nach seinem 103. Karrieresieg an die Mercedes-Box. Verstappen bleibt im Red Bull nur noch wegen der größeren Anzahl an Siegen vorn.

Mit einem demolierten Frontflügel nach einer unfassbaren Kollision rettete sich Hamilton auf dem Dschidda Corniche Circuit ins Ziel eines mehr als denkwürdigen Rennens, bei dem Mick Schumacher im Haas früh ausschied und auch Sebastian Vettel im Aston aufgeben musste.

Alle hatten es geahnt und befürchtet. Und schon in der Startaufstellung wurde klar, wie eng dieser Kurs ist. In der Qualifikation hatte Verstappen unliebsame Bekanntschaft mit den Barrikaden gemacht, als er auf seiner famos schnellen Runde einschlug. Nerven beim Niederländer? Im Psycho-Duell mit Hamilton bewies der einstige Heißsporn und Wüterich eigentlich: In seinem auch schon siebten Jahr in der Motorsport-Königsklasse sollte Verstappen titelreif sein. Aber auch komplett kompromisslos – und das könnte ihm den Titel wiederum kosten.

Aus luftiger Höhe sahen die Mitglieder der Königsfamilie einen Start nach Maß für Hamilton und dessen Teamkollegen Valtteri Bottas, der am Ende Dritter wurde. Keine Attacke möglich für Verstappen. An Bottas, der in diesem Jahr schon öfter mal bei seiner Helferrolle patzte, kam er diesmal nicht ran, an Hamilton erst recht nicht. Und siehe da: Anfangs nicht ein einziger Crash trotz Highspeed und wenig Platz. Vettel fuhr zunächst auf Rang 15 rum, Mick Schumacher auf Position 18.

Doch an diesem Tag unter dem Flutlicht an der Blauen Lagune galt alles Interesse nur dem Zweikampf um den Titel. Klar war, Verstappen müsste weit vor Hamilton ins Ziel kommen. Mit nur acht Punkten mehr war er gestartet, nachdem der 36 Jahre alte Brite mit seinen Siegen in Brasilien und Katar bereits aufgeholt hatte. Szenarien gab es reichlich, wie Verstappen Weltmeister würde: Doch Stand nach den ersten Runden: Hamilton würde mit Verstappen gleichziehen.

Was tun? Das Risiko einer Karambolage und damit einem möglichen Aus bei einem Überholversuch war groß und die Gefahren lauerten überall: Zum Leidwesen von Mick Schumacher, der seinen Haas frühzeitig mächtig demolierte. Das Safety Car musste raus. Mercedes holte beide Autos zum Reifenwechsel rein. Verstappen blieb draußen und übernahm die Führung vor Hamilton und Bottas.

War das die taktische Finesse, auf die Red Bull nur gelauert hatte? Nun lag das Risiko plötzlich eher beim Briten im weiterhin schwarz lackierten Silberpfeil. Und nicht nur eher: Denn es dauerte zu lange, um das Haas-Wrack zu bergen, das Rennen wurde unterbrochen. Hamilton funkte: "Heißt das, er kann Reifen wechseln?" Die Mercedes-Box antwortete: "Leider Lewis, ist das so." Mit er war Verstappen gemeint, der nun alle Vorteile bei sich hatte. "Wir haben zu sehr gezockt", motzte Hamilton. Sein Renningenieur antwortete nur noch kleinlaut. Grund für die Unterbrechung war das Herrichten der Barrieren, in die Mick Schumacher gekracht war.

16 Minuten nach dem Abbruch rollten die Wagen wieder los zum stehenden Start: Hamilton kam von Platz zwei innen besser weg, zog vor Verstappen in die Kurve, der verließ die Strecke, um die Attacke zu erfolgreich zu kontern – ein klarer Regelverstoß, weil sich Verstappen einen Vorteil verschaffte. Dafür wurden der Red-Bull-Pilot und ein Teamvertreter noch für Sonntagabend von den Formel-1-Rennkommissaren vorgeladen. Hamilton musste in der Szene sogar so bremsen, dass auch noch Esteban Ocon vorbeikam. Zeit genug, sich die Bilder anzuschauen gab es direkt danach: Hinten krachte es, unter anderem schied Mick Schumachers Teamkollege Nikita Masepin aus, auch Sergio Perez im zweiten Red Bull.

Wieder Unterbrechung. Und nun auch noch ein Funk-Hin-und-Her der Extraklasse. Rennleitung an Red Bull, Red Bull an Rennleitung, Rennleitung an Mercedes mit dem Ergebnis: Auf eine Untersuchung des Vorfalls und damit eine vermutliche Fünf-Sekunden-Strafe würde verzichtet, wenn Verstappen Ocon und Hamilton vorbeilassen würde. Das machten Verstappen und Red Bull, zogen aber die etwas schnelleren und weicheren Reifen auf.

Dritter Start beim vorletzten Rennen: Und die Gummirechung ging auf. Verstappen zeigte, dass er das Risiko auch in so einem entscheidenden Rennen nicht scheut, er kam am besten weg und schoss innen an Hamilton vorbei bis auf Platz eins. Doch Hamilton machte Druck. Und es eskalierte. Wolff krachte seine Kopfhörer wutentbrannt auf die Tisch. Verstappen hatte offensichtlich gelupft, als Hamilton erneut vorbeiziehen wollte.

Das Team hatte ihm gesagt, er solle die Position zurückgeben. Zuvor hatte der Niederländer nämlich erneut eine Attacke gekontert und dabei die Strecke verlassen. Nach den Crashs in Silverstone und Monza erreichte das vergiftete Duell noch mal eine neue Dimension. Verstappen ließ Hamilton zwar wieder vorbei, attackierte aber direkt wieder. Die Rennleitung hatte genug: Er bekam eine Fünf-Sekunden-Strafe.