Auch TV Passau und TSV Deggendorf betroffen
Stillstand in den Sportvereinen: Mitglieder gehen verloren – Kinder und Jugendliche leiden

15.11.2020 | Stand 12.10.2023, 10:31 Uhr

Im Moment ist es auf dem Sportplatz des TSV Schnaitsee ruhig, dem Verein bleiben die Mitglieder trotzdem treu. Bei anderen Vereinen sieht es deutlich schlechter aus, der BLSV erwartet einen herben Mitgliederschwund. −Foto: Herbert Reichgruber

Der Bayerische Landes-Sportverband (BLSV) stellt sich aufgrund der Corona-Krise auf einen erheblichen Mitgliederschwund ein. "Insgesamt steht den im BLSV organisierten Sportvereinen ein schwieriges Jahr 2021 bevor. Dort werden die Mitgliederzahlen nach ersten Erkenntnissen deutlich rückläufig sein", erklärte BLSV-Präsident Jörg Ammon der Deutschen Presse-Agentur. Auch die Sportvereine müssen während des Lockdowns ruhen, seit gestern darf in Innenbereichen kein Individualsport gemacht werden. Manche Mitglieder wollen sich deshalb ihre Beiträge sparen – für die Vereine ist das ein großes Problem.

Richard Schwarz, Kassier des TSV Deggendorf, hat den Mitgliederrückgang schon zu spüren bekommen. Normalerweise gehen dort jedes Jahr rund 100 Kündigungen und 100 Neuanmeldungen ein. Dieses Jahr haben alleine im Oktober rund 80 Leute ihre Mitgliedschaft gekündigt, Neuanmeldungen gab es quasi keine. "Wenn diese Kinder nächstes Jahr wieder beim Sportverein angemeldet werden, entsteht durch die vielen zusätzlichen An- und Abmeldungen ein erheblicher Mehraufwand für uns", sagt Schwarz. Der Jahresbeitrag soll in diesem Jahr verspätet abgebucht werden; außerdem wird überlegt, den Beitrag zu halbieren, sollte der Sportbetrieb erst nach April wieder beginnen.

Auch im TV Passau gingen in den vergangenen Wochen mehr Kündigungen ein als gewöhnlich. Die Mitgliedschaft kann man dort jedoch nur zum Jahresende beenden – wie viele Mitglieder in diesem Jahr den Verein wirklich verlassen, wird sich noch zeigen. Statt zu kündigen, forderten manche Mitglieder eine Rückzahlung des Mitgliedsbeitrages. "Wir machen das natürlich, auch wenn wir nicht müssen", sagt Jutta Seewald, Leiterin der Geschäftsstelle des TV Passau. Noch kann der Verein die weniger werdenden Beitragszahler verkraften, trotzdem sei die Situation schwierig. "Viele wissen nicht, dass wir am Jahresanfang die Versicherung und die Verbandsbeiträge für unsere Mitglieder zahlen müssen", sagt Seewald. Diese Ausgaben werden dem Verein nicht zurückerstattet, auch wenn im Verein gerade kein Sport gemacht werden kann.

Andere Erfahrungen macht ein Verein auf dem Land: Der TSV Schnaitsee im Landkreis Traunstein verzeichnet überhaupt keine Austritte. "Wir sind ein extrem kleines Dorf, und ungefähr 30 Prozent der Einwohner sind Mitglieder im Sportverein. Die Vereinstreue ist bei uns deshalb sehr groß", sagt Vorsitzender Udo Verbega. Einfach austreten, um sich während des Lockdowns die Mitgliedsbeiträge zu sparen, würde hier niemand. Die bloße Vereinstreue sei jedoch nicht der einzige Grund für die stabile Mitgliederentwicklung. "Man muss weg von alten Strukturen und schauen, was gefragt ist", sagt Verbega. Der Verein altere – nicht, weil es keinen Nachwuchs gebe, sondern wegen der generellen demografischen Entwicklung. Deshalb bietet der TSV neben Fußball, Volleyball und Karate auch Fitnesskurse an. Auf dem Programm stehen Langhantel-Training und Crossfit, aber auch "Fit bis ins hohe Alter" und "Bewegen statt schonen". Auf dieses Angebot wollen die Schnaitseer auch nach dem Lockdown nicht verzichten – und bleiben im Verein.

Glaubt man der Prognose des BLSV, ist die Mitgliederentwicklung des TSV Schnaitsee eine Ausnahme; viele Vereine teilen die Erfahrung des Passauer und Deggendorfer Vereins. Trotzdem müssen die konkreten Zahlen erst abgewartet werden: "Das genaue Ausmaß des Mitgliederrückgangs werden wir zu Beginn des neuen Jahres erkennen, wenn die jährliche Bestandserhebung der Mitgliederzahlen abgeschlossen ist. Was sich bereits jetzt abzeichnet, ist ein deutlicher Rückgang der Mitgliederzahl im Kinder- und Jugendbereich", sagt Jörg Ammon.

Unter dem Lockdown leiden nicht nur die Vereine, sondern auch ihre Mitglieder – allen voran Kinder und Jugendliche. "In den dunklen Monaten vollzieht sich ein hormoneller Prozess, wir stellen uns auf die Dunkelheit ein", sagt Ingo Froböse, Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Das ist anstrengend für den Körper und führt zu schlechter Laune, teilweise sogar zu depressiven Phasen." Körperliche Aktivität kann ein Ausgleich sein und "das Serotonin hochhalten". Doch das ist nicht alles: Auch das soziale Netz des Sportvereins fehlt, sagt Froböse: "Der Verein ist ein Stück Heimat, vor allem im Dorf."

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