Strecken führen über 560 bis 2200 Kilometer
"Ein riesen Abenteuer": Das "Race Around Austria" als große Bühne für Kilometerfresser

24.07.2020 | Stand 18.09.2023, 20:34 Uhr

Traumhaftes Panorama erwartet die Teilnehmer des Race Around Austria auf ihren Strecken durch Österreich. −Foto: Roittner

Wer einen Blick in den Terminkalender des Bayerischen Radsport-Verbandes wirft, sieht Rot. Abgesagt, abgesagt, abgesagt steht dort geschrieben; hinterlegt mit roter Farbe, als würde das Wort nicht eh schon aus dem Bildschirm schreien. Das Sportjahr 2020 ist bisher ein Fiasko für Veranstalter, aber auch für die Athleten. Mit Ausbruch der Pandemie war ein Rennen nach dem anderen umgekippt wie die Steine beim Domino. Corona fegte aber nicht alle Rennen vom Kalender: Von 10. bis 16. August bieten die Österreicher mit dem Ultracycling-Rennen "Race Around Austria" (RAA) sowie einigen Sidekick-Challenges zum zwölften Mal in Folge große bis riesige Herausforderungen für Sportlerinnen und Sportler. Das laut Veranstalter "härteste Rennen Europas" blieb hartnäckig – und nicht nur manche grenznahen Bayern freut das ungemein.

Titelverteidiger Rainer Steinberger sitzt auf der Rolle, als ihn die E-Mail-Anfrage der Redaktion mit der Bitte um ein Gespräch erreicht. Eine "Rolle" erlaubt Radtraining am selben Fleck; teurere Geräte können auch die Leistung messen und Höhenmeter imitieren. "Der Zeitpunkt wäre günstig", schreibt Steinberger außerdem in seiner Antwortmail. Günstig? Während des Trainings? Naja, er will es nicht anders.

Es klingelt, der Vorjahressieger hebt ab, man hört aber nichts außer dem Surren der Kassette. Dann zwickt Steinberger ein Paar Kopfhörer in die Ohren und quatscht drauf los; fast so, als wär nix. Wie viel Watt der wohl tritt während des Telefonats? "Ganz locker, 200. Ich hab’ mir gestern schon die Keule gegeben", sagt Steinberger und lacht. Für Normalsterbliche gehören 200 Watt Leistung und der Ausdruck "locker" nicht in denselben Topf: Wer schweißfrei radelt, steht bei circa 100 Watt. Das wird eher nicht gefragt sein in Österreich: "Das RAA holt dich aus dem Alltag", wirbt die Rennleitung um Dr. Michael Nußbaumer.

"Ich war nicht mehr so fit. Dann haben’s mich runtergeholt"

Den Oberpfälzer Rainer Steinberger aus Pösing (Lkr. Cham) holte das Rennen nicht nur aus dem Alltag, es holte ihn vom Sattel: 2018, bei seiner ersten Teilnahme auf der 2200-Kilometer-Strecke. "Meine Betreuer waren übervorsichtig", meint Steinberger und man weiß nicht recht, ob er das jetzt ernst meint oder den mittlerweile zehnten Witz reißt. Jedenfalls: "Ich hatte Schlafentzug und war nicht mehr so fit. Dann haben’s mich runtergeholt. War wahrscheinlich besser so."

Gestunken hat ihm trotzdem, dem Steinberger, der sein Geld mit Radfahren und als Motivationscoach verdient. Der 44-Jährige ist keiner, der schnell aufgibt. 2019 gehen er und sein Team die Sache vorsichtiger an – mit maximalem Erfolg. "Das Rennen ist ein riesen Abenteuer, und wenn man gewinnt, ist die Euphorie natürlich größer", sagt Steinberger, in seiner Schwärmerei kaum zu bremsen. "Das ist sportlich die Elitegegend und eine Traumlandschaft, genauso wie der Bayerische Wald: Da hat der Herrgott besonders gut hing’schaut. Ich bin total begeistert, dass die Veranstalter das Rennen trotz Covid-19 ermöglichen können." Freilich ist die Austragung des Rennens weiterhin abhängig von den Infektionszahlen.

Top-Nachwuchsfahrer Marco Brenner mit dabei

Mit seiner Begeisterung ist Rainer Steinberger nicht allein. 16 weitere Fahrer aus dem Freistaat haben die stolze Startgebühr von 350 bis 750 Euro berappt und werden antreten; fünf davon aus Niederbayern, elf aus Oberbayern. Hinzu kommen unter anderem deutsche Top-Nachwuchsfahrer wie Marco Brenner (17/Team Sunweb), der in der "Team Challenge" vorn zu erwarten ist.

Während des Anmeldezeitraums (am 1. Juli ausgelaufen) wählten die Teilnehmer ihre Strecke und damit auch zwischen den Schwierigkeitsgraden. Wer sich zutraut, innerhalb von sechs Tagen die österreichischen Grenzen abzufahren, wählte das Extreme Race Around Austria – mit 2200 Kilometern und 30000 Höhenmetern. Die längste Strecke kann auch in Zweier- und Vierer-Teams gefahren werden. Wer topfit ist, aber Bedenken hat, wählte eine Nummer kleiner: das RAA 1500 mit weniger Höhenmetern (17500) und 1500 km Strecke.

Strecke führt durch Schärding und Ulrichsberg

Eher geeignet für ambitionierte und sehr gut trainierte Hobbyfahrer sind die verschiedenen Challenges. Diese Rennen deshalb als Mini-Formate abzutun, würde der Herausforderung allerdings nicht gerecht. Die RAA Challenge sei laut Veranstalter das "Einstiegsrennen in den Ultraradsport". Eine 560 Kilometer lange Strecke entlang der oberösterreichischen Landesgrenzen führt unter anderem durch Ulrichsberg nahe dem westlichen Passauer Landkreis, durch Schärding sowie durch Braunau am Inn. Dabei sind 6500 Höhenmeter zu überwinden. Die Strecke kann auch im Team gefahren werden. Maximal zwei Teammitglieder teilen die Strecke individuell unter sich auf, außerdem ist maximal ein Begleitauto zugelassen. Wer auf sich alleingestellt sein möchte, fährt nur mit Begleitfahrzeug – oder ganz ohne Helferlein die "Unsupported Challenge": 560 km, nonstop – ein echtes Abenteuer. Start und Ziel aller Strecken befindet sich jeweils in St. Georgen im Attergau.

Wer den Sportlern aus der Region so lauscht, hört große Vorfreude heraus. "Das ist heuer das einzige große Rennen, das europaweit stattfindet. Alle schauen heuer da hin!", sagt Rainer Steinberger. Noch tritt er entspannt auf der Rolle. Die Keule gibt er sich erst im August wieder – dann aber so richtig.

Der Artikel erschien bereits am 13. Juli in den niederbayerischen Ausgaben Ihrer Heimatzeitung, Sport.