Unter den Asyl- und Schutzsuchenden in Bayern sind auch immer mehr junge Menschen ohne Eltern oder andere Angehörige. Ihre Versorgung ist eine besondere Herausforderung und droht völlig zu entgleiten.
Wegen der stark steigenden Zahl an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen können diese nach Angaben des bayerischen Landkreistags nur noch notdürftig untergebracht und betreut werden. «Der Druck im System nimmt weiter zu. Es fehlt sowohl an den geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten als auch an den Betreuungskapazitäten für die jungen Menschen», sagte der Präsident des Landkreistags, Thomas Karmasin (CSU), der Deutschen Presse-Agentur in München. Wie bei der Versorgung von Erwachsenen blieben auch bei den Minderjährigen «nur noch Notlösungen beispielsweise in Form von Turnhallen».
Laut jüngsten Zahlen der Staatsregierung gab es in den vergangenen fünf Monaten einen deutlichen Anstieg von 3381 (Stand 28. April) auf bayernweit 4369 (Stand 29.09.) unbegleiteten Minderjährigen. Alleine von August auf September sei die Zahl um 400 Personen angestiegen.
Nach den Worten Karmasins gibt es derzeit nur noch «Notkonstruktionen für die erforderliche Inobhutnahme der Minderjährigen. Ein daran anschließend erforderlicher regulärer Platz in einer Jugendhilfeeinrichtung wird deutschlandweit kaum noch gefunden.» Zudem seien die Mitarbeiter in den Jugendämtern «am Anschlag», die aktuellen Aufgaben seien «nicht mehr zu bewältigen».
Karmasin fordert von der neuen Staatsregierung eine Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge «in staatlicher Verantwortung in staatlich akquirierten Unterkünften». Zudem dürften die entstehenden Kosten nicht zu Lasten der kommunalen Jugendämter fallen. Auch wenn die jungen Flüchtlinge volljährig würden, müsse der Freistaat alle Kosten vollständig erstatten. «Um unsere derzeitigen Probleme zu lösen, müssen der Freistaat Bayern und der Bund dringend die Unterbringung, die Verteilung und die Finanzen neu regeln.»
Die zuständige Sozialministerin, Ulrike Scharf (CSU), betonte auf Nachfrage, der Freistaat stehe den Kommunen tatkräftig zur Seite «und übernimmt die Kosten für unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche komplett». Der Bund sei aber auch in der Pflicht und müsse seinen Anteil an den enorm gestiegenen Flüchtlingskosten tragen. Generell sei sie wegen der seit Wochen stark steigenden Zahl an unbegleiteten Minderjährigen «zutiefst besorgt. Die Kapazitäten in der Kinder- und Jugendhilfe sind erschöpft - die Kommunen sind an der absoluten Belastungsgrenze.»
Mit Blick auf die Unterbringung müssten dringend Entlastungen bereitgestellt werden, sagte Karmasin. Dazu müsse der Bund schneller nutzbare Liegenschaften zur Verfügung stellen, ferner müsse der Freistaat zentral Container zur Unterbringung organisieren, um die Landratsämter zu entlasten.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, es sei «völlig zutreffend», dass viele Kommunen die Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit erreicht hätten. «Bestehende Unterkünfte sind nahezu vollständig ausgelastet. Die Errichtung neuer Unterkünfte wird immer schwieriger und stößt vor Ort teils auf große Vorbehalte.» Daher werde die Zahl der Unterkunftsplätze in den Anker-Einrichtungen weiter erhöht - «durch eine dichtere Belegung, aber zum Beispiel auch durch die Nutzung von zusätzlichen Hallen oder Zelten». Ziel sei es auch, dass abgelehnte Asylbewerber bis zu ihrer Rückführung in den Anker-Zentren verbleiben sollten.
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