„Katastrophaler Trend“
Nagelsmann kritisiert seine Stars und ist selbst angezählt: Alarmstufe Rot beim FC Bayern

18.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:35 Uhr

„Mache mir meine Gedanken“: Julian Nagelsmann. −Foto: afp

Seinen ersten Oktoberfestbesuch als Bayern-Trainer hatte sich Julian Nagelsmann völlig anders vorgestellt.

Doch statt ausgelassener Wiesn-Gaudi im schicken Käferzelt gab es reichlich Anlass für den Derby-Verlierer, Frust hinunterzuspülen. „Die Stimmung ist am Boden“, sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic ernüchtert, der „fassungslose“ Wortführer Thomas Müller sprach angesichts der schwärzesten Serie seit über 20 Jahren von einem „katastrophalen Trend“.

Und Nagelsmann? Der Coach wirkte nach dem niederschmetternden 0:1 (0:0) beim mutigen FC Augsburg und dem vierten Sieglos-Spiel in Serie ratlos und angeschlagen. Er antwortete auf Fragen ungewohnt einsilbig und kritisierte den Auftritt der Mannschaft. „Ich sortiere meine Gedanken“, sagte er sichtlich angespannt. Worüber er da grübelt? „Über alles denke ich nach – über mich, über die Situation, über alles.“

Das tun auch die Bosse. Salihamidzic wurde gefragt, was die erste Saisonniederlage für Nagelsmann bedeute. „Genau das Gleiche, was es für uns alle bedeutet“, sagte er und stellte ein Ultimatum: „Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, jetzt müssen Siege her!“ Zunächst gegen Leverkusen, Pilsen und im Klassiker in Dortmund.

Die Lage ist finster. „Es wird immer dunkler, das ist gerade auch unsere Gefühlswelt“, sagte Müller passend zum verregnet-kühlen Wetter, das die Lust auf die Wiesn endgültig verdarb. „Die macht mir jetzt keinen Spaß, muss ich ehrlich sagen“, meinte Salihamidzic bedröppelt, „bei drei Punkten aus vier Spielen weiß ich nicht, ob mir die Maß schmeckt“. Klare Tendenz: nein.

Nagelsmann wollte den Besuch sogar ganz absagen. „Wenn die Mannschaft hingeht, dann muss ich mit“, sagte der 35-Jährige genervt. Sinn mache der erste Oktoberfestbesuch des FC Bayern seit 2019 seiner Meinung nach nicht, „das werde ich auch dem Club mitteilen“, sagte der frustrierte Trainer. Er wisse zwar nicht, welche vertraglichen Verpflichtungen es gebe und über politische Themen wolle er sich nicht äußern. Aber: „Grundsätzlich habe ich keine Lust.“

Am Sonntag erschien der Trainer schon um kurz nach 8 Uhr auf dem Vereinsgelände. Noch vor dem Wiesn-Besuch will er laut Berichten von „Bild“ und „Sport1“ möglichst viele Gespräche mit seinen Spielern führen. Diese düsen demnächst zu ihren Nationalmannschaften, in der Liga geht es erst am 30. September gegen Leverkusen weiter.

Nagelsmann hatte in Augsburg vor den Augen seiner Familie alles versucht. Er versetzte zwischenzeitlich den verdutzten Joshua Kimmich nach rechts hinten, er ließ Torhüter Manuel Neuer stürmen. Der Kapitän scheiterte per Kopf in der Nachspielzeit (90.+5) mit der siebten und letzten guten Bayern-Chance am überragenden FCA-Torwart Rafal Gikiewicz.

„Ich bin schon ein wenig beunruhigt. So reicht es nicht“, sagte Salihamidzic und forderte: „Wir müssen gieriger sein!“ In den Zweikämpfen, wie beim Augsburger Siegtreffer durch Mergim Berisha (59.), als sich Leroy Sane von Vorlagengeber Iago übertölpeln ließ. „Wir haben brutale Probleme gegen Mannschaften, die gegen uns körperlich spielen und uns auf die Socken hauen“, stellte Salihamidzic verwundert fest.

Der letzte Biss fehlte aber erneut auch vor dem Tor. „Es fließen viele Chancen einfach so aus dem Stadion“, analysierte Nagelsmann, „wir spielen es sehr laissez-faire im letzten Drittel“. Das Passspiel sei zu „schlampig“, die „Abschlusstechnik“ ungenügend.

Am abermals schwachen Superstar Sadio Mane wollte Nagelsmann nicht herumkritteln. „Über Einzelspieler sprechen wir jetzt nicht, das mache ich in der Kabine.“ Müller assistierte im ZDF: „Ne, stopp! Er läuft nicht neben der Spur. Das Fass brauchen wir nicht aufzumachen.“

Salihamidzic wurde deutlicher. „Wir reden viel, wir sprechen ihm zu und versuchen, ihn auf den richtigen Weg zu bringen.“ Aber: „Auf dem Platz muss er das schon selber machen.“ An einem echten Neuner fehle es nicht. „Wir können das, wir haben auch Spieler dafür.“

Nagelsmann wollte die leidige Frage, ob ihm ein Torgarant wie der nach Barcelona abgewanderte Robert Lewandowski fehle, nicht beantworten. „Wenn ich nein sage, sagt ihr, er erkennt die Probleme nicht. Wenn ich ja sage, heißt es, er vermisst Lewandowski.“

Doch er weiß: „Der Trend verheißt nix Gutes.“ Muss er reagieren? „Ich mache mir meine Gedanken“, sagte er düster, „und entscheide dann, wie es weitergeht“. Auch für ihn selbst.

− sid/red