Botschaft für alle Nachwuchstrainer
Trainer-Guru Gerland fordert radikales Umdenken: "Wir müssen Spielern beibringen zu dribbeln"

15.11.2021 | Stand 15.11.2021, 8:00 Uhr

Trägt neuerdings Vollbart: Hermann Gerland. −Foto: dpa

Trainer-Guru Hermann Gerland hat sich für eine verstärkte Ausbildung von Dribblern im deutschen Nachwuchs ausgesprochen.

"Wir müssen an verschiedenen Stellschrauben drehen", sagte der Co-Trainer der deutschen U21-Fußballer am Samstag: "Wir müssen Spielern beibringen zu dribbeln. Wenn ich immer nur sage: "Pass, Pass, Pass", dann kann ich keine Dribbler entwickeln."

Früher habe es auch in der Abwehr viele Spieler gegeben, wo "jeder ins Eins-gegen-eins gehen" konnte, sagte der 67-Jährige, der seit September zum Team von U21-Trainer Antonio Di Salvo gehört: "Heute wird meistens nur noch versucht, alles im Verbund zu lösen."

Wenn die Nachwuchskicker bis "16, 17 nur gepasst haben, dann können die mit 19 nicht dribbeln, die schaffen das nicht mehr", betonte der Entdecker vieler Nationalspieler. Außerdem müsse im Nachwuchs die Ausbildung und nicht der Erfolg der Mannschaft im Vordergrund stehen.

In der Ausbildung müsse laut Gerland daher früh der Fokus auf "Eins-gegen-eins"-Duelle gelegt werden, außerdem Zweikämpfe und der Ball in den Vordergrund gestellt werden. "Wir müssen auch wieder Mittelstürmer ausbilden", betonte Gerland. Dabei könnten auf den Flügeln mehr Dribbler helfen, "die Eins-gegen-eins-Situationen lösen können".

Dafür sei vor allem eine Veränderung der Trainingsinhalte im Nachwuchsbereich notwendig: "Gib den Kindern einen Ball in kleinen Gruppen. Lass sie Tore schießen, eins gegen eins spielen und dribbeln, auch wenn sie dem Ball oder mal ein Spiel verlieren. Das ist doch nicht so schlimm, hinterher müssen die gut sein, aber im Kindesalter einfach lernen."

Gerland war langjähriger Nachwuchs- und Assistenztrainer bei Bayern München und gilt als einer der größten Förderer und Entdecker von Stars wie Philipp Lahm oder Thomas Müller. Er hat weiterhin Spaß daran, Talente zu fördern. "Ich habe dem Fußball so viel zu verdanken, dass ich mein Wissen nicht einfach so wegwerfen, sondern es mit jungen Menschen teilen möchte", sagte der Bochumer: "Und wenn ein Spieler hinterher kundtut, dass er was gelernt hat, ist das für mich etwas ganz Schönes."

Allerdings übte der Tiger auch Kritik. Die Situation in den Nachwuchsleistungszentren wie beim FC Bayern sei teilweise fatal für die Entwicklung der Talente, die wieder dazu gebracht werden müssten, Freude für den Fußball zu entwickeln. Tugenden wie Fairness und Pünktlichkeit sollten ebenso vermittelt werden, wie die Freude am Fußball spielen.

"Die U19 des FC Bayern München hat 29 Spieler im Kader. Das heißt, wenn der Trainer nicht auswechselt und alle sind gesund, gucken 18 zu. Das ist ein Unding für die jungen Leute. Die müssen Fußball spielen", prangerte der Bochumer an, für den der Fokus der Vereine auf Spieler mit starkem Passspiel zu weit geht.

Fußballsprüche vom Tiger

An der Tafel sind die alle viel besser als ich. Powerpoint kann ich gar nicht. Aber ich kann sehen, ob einer dribbeln kann. Ich kann sehen, ob einer laufen kann. Und ich kann sehen, ob einer köpfen kann" (U21-Co-Trainer Hermann Gerland in einer Medienrunde über moderne Trainer)

"Früher haben wir 11-gegen-11 gespielt. Heute spielen wir 3-4-3, 4-4-2, 4-1-4-1, 5-4-1, und ich habe noch drei, vier andere Systeme vergessen." (über Systeme)

"In Bielefeld habe ich Morddrohungen erhalten. Das ist ja nicht so schlimm. Ich war gerade dabei, ins Bett zu gehen. Auf einmal kam ein komischer Anruf. Da will mich einer umlegen, hat er gesagt. Ich habe gesagt: "Ich komm runter, in einer Stunde, Adenauer Straße 95, ich warte. Wenn du eine Waffe hast, sieh zu, dass der erste Schuss trifft. Wenn nicht, dann wird’s schwierig für dich. Wenn du ohne Waffe kommst, dann bring ein paar Leute mit, die dich nach Hause führen können. Aber es ist keiner gekommen" (über eine Morddrohung aus Bielefeld vor vielen Jahren)

"Ich würde mich freuen, wenn im nächsten Jahr Bochum und Schalke in der ersten Liga spielen. Im Revier hält man zusammen, das ist etwas ganz Besonderes. Derbys waren immer exzellente Spiele" (über den Ruhrpott)

"Die Kinder von heute haben viel mehr Ablenkungsmöglichkeiten als wir es früher hatten. Diese ganzen komische Spiele, Playstation und so weiter, das gab es früher gar nicht. Wir hatten einen Ball. Und wenn derjenige, der den Ball hatte, im Urlaub oder krank war, dann waren wir aufgeschmissen. In den Ferien haben wir jeden Tag acht Stunden gespielt" (über Freizeitbeschäftigungen).

− sid/red