Seit 1. Juli ist er Assistent
Erst der Spieler, dann das System: So arbeitet Mario Himsl als U17-Nationalcoach

06.09.2021 | Stand 06.09.2021, 14:07 Uhr

Trainerteam der deutschen U17: Ex-Bundesliga-Profi Heiko Westermann (v.l.), Mario Himsl, Marc-Patrick Meister und Stefan Karow. −Fotos: Andreas Lehner

Seit dem Sommer ist er Co-Trainer der U17-Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): Mario Himsl (48). Im Interview haben wir mit dem Otterskirchner (Lkr. Passau) über seine neue Aufgabe und ein Umdenken in der Jugendarbeit gesprochen.

Herr Himsl, Sie sind seit 1. Juli Co-Trainer der deutschen U17-Nationalmannschaft. Nationaltrainer, wie klingt das für Sie?
Mario Himsl: Gut. Es ist etwas ganz Besonderes, den Adler auf der Brust zu tragen und die Nationalhymne vor Spielen zu hören und zu singen. Es ist eine absolute Ehre, mit den besten Spielern eines Jahrgangs in Deutschland zu arbeiten.

Das erste Spiel am 6. August gegen Polen haben Sie 10:1 gewonnen. Wie kam dieses ungewöhnliche Ergebnis zustande?
Himsl: 10:1 ist natürlich ein Brett, das hat uns auch überrascht, weil die Polen ziemlich stolz auf ihren 2005er Jahrgang sind. Man sollte das Ergebnis aber auch nicht überbewerten, weil das Ganze nach der Corona-Pause erst wieder anläuft und es zwischen den Spielern Unterschiede zum Beispiel beim Fitnesszustand gab.

Wie lief das während Corona beim DFB ab?
Himsl: Das Trainerteam um Marc Meister, Heiko Westermann und Stefan Karow arbeitet schon seit der U15 mit diesem 2005er Jahrgang, sie kannten viele Spieler schon. Darüber hinaus haben die Vereine weitere Spieler vorgeschlagen, die wir in zwei Nachsichtungslehrgängen getestet haben. Da war ich dann ab Juli auch dabei.

Welche Rolle übernehmen Sie im Trainerteam?
Himsl: Seit Meikel Schönweitz Cheftrainer der U-Nationalmannschaften beim DFB ist, sind alle Trainerteams gleich zusammengestellt. Es gibt einen Chef- und zwei Co-Trainer. Diese Dreierteams setzen sich aus je einem erfahrenen Ex-Profi, dem "Typ Erfahrung", einem "Typ Innovation" und einem "Altersspezialisten" zusammen, wobei Profilüberschneidungen immer möglich und sogar gewünscht sind. Ich bin der Typ innovativer "Altersspezialist".

Wie kam der Kontakt zum DFB zustande?
Himsl: Ganz klassisch: Der Sportliche Leiter der Nationalmannschaften Joti Chatzialexiou hat mich angerufen.

Sie standen also auf dem Zettel beim DFB?
Himsl: Kann man so sagen. Ich war jetzt mehrere Jahre als NLZ-Leiter in Fürth, Regensburg sowie Unterhaching und Auditor bei der Zertifizierung der Leistungszentren bei der Firma Double Pass im Hintergrund tätig und habe gemerkt, dass mich die Arbeit als Trainer auf dem Platz reizen würde. Mich hat’s also gejuckt (lacht). Und da habe ich diese Bereitschaft auch mal beim DFB fallen lassen.

Woher kam dieses Jucken?
Himsl: Mir gefällt die neue Idee beim DFB. Das "Projekt Zukunft" ist eine spannende Aufgabe und ein wichtiger Schritt für den deutschen Fußball. Und in dem Zusammenhang wollte ich auch wieder direkt am Spieler auf dem Trainingsplatz arbeiten.

Wie können Sie auf die Entwicklungen beim DFB über die Arbeit mit der U17 hinaus Einfluss nehmen?
Himsl: Ich habe alle NLZs in Deutschland im Rahmen der Zertifizierung besucht und analysiert. Dazu war ich in Mexiko, USA, Ukraine, Japan, Dänemark, Belgien und vielen anderen Ländern, um mich über deren Nachwuchsarbeit zu informieren. Dieser Erfahrungsschatz ist einzigartig und den kann ich beim DFB in internen Projekten einbringen.

Was reizt Sie konkret am "Projekt Zukunft"?
Himsl: Der DFB macht sich über die richtigen Punkte Gedanken. Ich will hier beispielhaft drei Punkte nennen. Das erste Thema ist der Spieler. Das übergeordnete Ziel ist, den Spieler im Sinne der Individualisierung mehr in den Fokus zu rücken. Wir gehen also weg vom System als Grundlage, in das der Spieler gepresst wird. Der Spieler ist keine Maschine, die zu funktionieren hat. Er ist ein Individuum, das man fordern und fördern muss.

Das verlangt aber auch eine andere Art der Trainerarbeit.
Himsl: Genau. Deshalb ist Punkt zwei die Trainerausbildung. Es besteht großer Bedarf, unsere Trainer zu schulen und vor allem auch auf ihrem Weg zu begleiten. Die Trainerentwicklung wurde in Deutschland viel zu lange vernachlässigt. Man hat seinen Schein gemacht und das war’s dann. Die Fortbildungen waren nicht wirklich produktiv. In einem ersten Schritt hat der DFB zwei Posten für Trainerentwickler geschaffen, die in die Vereine gehen und mit den Trainern dort arbeiten. Der Umbau dieser Strukturen ist ein langer Weg, aber den müssen wir gehen, um beim Vermitteln des Fußballspielens methodisch besser zu werden.

Und der dritte Punkt?
Himsl: Betrifft den viel diskutierten Bereich Wettbewerbe. Wir müssen Wettbewerbsstrukturen schaffen, die den Kindern angemessen sind. Ich verstehe nicht, warum das auf so eminenten Widerstand stößt.

Weil die Angst besteht, dass sich der Profifußball noch weiter vom Amateurfußball entfernt, wenn beispielsweise die Auf- und Abstiegsregelung wegfällt.
Himsl: Das verstehe ich, ein geschlossenes System kann nicht die Lösung sein. Der DFB ist aber bereit, diesen Punkt zu überdenken. Trotzdem: Änderungen an der Wettbewerbsstruktur sind wichtig. Wir müssen das Spiel kindgerechter machen, um nicht weiter Kinder an andere Sportarten oder an den eSport zu verlieren. Oder man schafft Synergien.

Was machen andere Nationen konkret besser?
Himsl: Nehmen wir Dänemark. Die Dänen können es sich bei der geringen Anzahl an Spielern nicht leisten, ständig Spieler auszutauschen, sie müssen viel mehr in einzelne Spieler investieren und mit ihnen arbeiten. Hier wird nicht gleich aussortiert, weil einem einer nicht passt oder weil er gerade mal eine schwierige Phase hat. Die klemmen sich an einen Spieler und müssen den nach oben bringen. Das war beeindruckend. Die Dänen sehen viel früher den Menschen und auch die Persönlichkeit. Auch das Thema der Eigenverantwortung wird viel höher gewichtet.

In Deutschland ist das anders. Liegt der Fehler hier nicht schon im System mit dem frühen Fokus auf die NLZs in den Ballungsräumen?
Himsl: Der DFB und die Profivereine der DFL haben die Pflicht, hier noch weiter in die Breite zu gehen. Das funktioniert in München vielleicht leichter als im Bayerischen Wald, aber dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Weil es kann nicht sein, dass wir nur 20 gute Spieler für die Nationalmannschaft haben, eigentlich müssten wir 200 haben.

Wenn man sich die Kader der deutschen Profiklubs anschaut, sind Spieler aus Ostbayern unterrepräsentiert. Wird der Blick auf eher strukturschwache Regionen vernachlässigt?
Himsl: Vereine, die eine gute Jugendarbeit machen, sollte man direkt an ein Bundesliga-NLZ andocken, wie es in der Schweiz üblich ist und jetzt auch in Deutschland Einzug hält. Es gibt Vereine, die ganz eng mit Amateurvereinen zusammenarbeiten und hier nicht nur die besten Spieler zu sich holen, sondern die Vereine finanziell unterstützen, mit Material ausstatten oder Trainings-Knowhow weitergeben. Hier gibt es regelmäßige, also wöchentliche Besuche der NLZ-Trainer in den zwei, drei Partnervereinen, um selbst Trainings zu leiten und auch die Trainer vor Ort weiterzubilden.

Wird man Sie in Zukunft auch wieder öfter auf den Fußballplätzen in Ihrer niederbayerischen Heimat sehen?
Himsl: Meine Aufgabe aktuell ist, den Spielerkader der U17 kennenzulernen, da bleibt wenig Zeit für andere Sachen. Was ich aber versprechen kann: Wenn wir im nächsten Jahr wieder mit der U15 beginnen, werde ich in Zusammenarbeit mit den DFB-Stützpunkten auch im niederbayerischen Raum unterwegs sein.

Wie sieht Ihr Terminplan mit der U17 jetzt aus?
Himsl: Einmal im Monat sind wir mit den Jungs unterwegs. Im Oktober findet in Rumänien die erste Runde der EM-Quali statt, Mitte März die zweite Runde und dann im Mai und Juni hoffentlich die EM in Israel.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Himsl: Zielvorgabe ist ganz klar: Quali für die EM. Und wenn man bei einem Turnier ist, dann will man maximalen Erfolg – der ist bei allem Ausbildungsgedanken in diesem Umfeld das Wichtigste!